Als genauer Beobachter der kubanischen Gesellschaft hat sich Leonardo Padura auch imWesten einen Namen gemacht. (Bild: Peter Groth
GFDL 1.3)
Leonardo Padura Fuentes ist Kubas international populärster Schriftsteller. Mit seinen Krimis aus der kubanischen Realität hat sich der 55-jährige Autor einen Namen gemacht, und er gilt als genauer Beobachter des gesellschaftlichen Wandels auf der Insel.
Am 12. Januar bebte die Erde in Haiti. Was bedeutete das Beben für Ihr Heimatland?
Das Beben ist in Kuba aus mehrfacher Perspektive ein Thema, denn nicht nur Haiti, auch der Osten Kubas gilt als erdbebengefährdet, und etwas Ähnliches könnte auch dort passieren. Es ist zwar kein Hochrisikogebiet, aber es gibt damit doch einen konkreten Grund, weshalb die Situation in Haiti ein omnipräsentes Thema ist, das die Menschen bewegt. Über den Grad der Zerstörung wissen die Leute hier genauso Bescheid wie über die Tatsache, dass der haitianische Staat alles andere als gut organisiert ist. Zudem ist in Haiti eine grosse Gruppe kubanischer Ärzte im Einsatz, die oftmals unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Ich denke, dass ausserhalb von Kuba wenig über diese Tatsache bekannt ist, und das ist unfair, denn die Ärzte leisten dort hervorragende Arbeit.
Kuba hat den USA Überflugsrechte eingeräumt, damit sie Haiti schneller anfliegen können. Eine humanitäre Geste in der alles andere als entspannten Beziehung der beiden Länder?
Die Situation ist nicht die gleiche wie früher, denn es gibt kleine Veränderungen. So dürfen die Exilkubaner nach Kuba reisen, und auch bei den Reisen von Kuba in die USA hat es Fortschritte gegeben. Der akademische Austausch hat merklich zugenommen. Das sind Anzeichen für einen Wechsel. Wir haben zwar noch nicht das Niveau der Clinton-Ära erreicht, aber es ist deutlich besser als zu Zeiten von George W. Bush. Was wir jedoch brauchen, sind deutlich weiter gehende Schritte. Von einer realen und tiefgreifenden Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und Kuba würden beide Seiten profitieren – wir Kubaner aber sicherlich deutlich mehr.
Ist es leichter geworden, Visa zu bekommen, obwohl Kuba auf der Liste der Terrorstaaten steht?
Leicht ist es nicht, aber es ist möglich. Ich bin im Januar 2010 in den USA gewesen und habe den Antrag ein Jahr vorher gestellt. Ein Fortschritt, denn in den Jahren zwischen 2001 und 2008 war es nahezu unmöglich, ein Visum zu erhalten. Bei meinem zweiten Antrag für eine Reise im Mai ging es dann deutlich schneller.
Sehen Sie Chancen, dass die Kultur eine Brücke in die Vereinigten Staaten baut?
Die Kultur kann helfen, kann Kontakte schaffen, aber das letzte Wort haben die Politiker. Die müssen letztlich ihre Mentalität, ihre Einstellung ändern, und das betrifft in erster Linie die Vereinigten Staaten. Es ist offensichtlich, dass die USA mit ihrer Politik gegenüber Kuba nicht erfolgreich waren, denn es gelang schliesslich nicht, den Sozialismus in Kuba zu beenden. Eine intelligentere Politik ist nur mit einem Wechsel der Einstellung möglich. Dieser Wechsel hat noch nicht stattgefunden.
Hat es denn einen Wechsel in Kuba selbst gegeben? Kubanische Sozialwissenschafter verweisen gern darauf, dass es mehr Raum für Debatten auf der Insel gibt. Stimmt das, und gilt das auch für die Literatur?
Es gibt eine langsame Öffnung. Ein Beispiel dafür ist mein letztes Buch, das im Sommer in Kuba erscheinen wird. Es heisst «Der Herr, der die Hunde liebte» und handelt von dem Mord an Leo Trotzki; es nimmt kritisch Bezug zur Geschichte des Sozialismus in der Sowjetunion in der damaligen Zeit. Früher wäre so ein Buch wohl kaum in Kuba erschienen, und ich bin sehr gespannt, wie es in Kuba aufgenommen wird. Generell gibt es jedoch in der kubanischen Presse wenig Platz für eine kritische Auseinandersetzung mit aktueller Literatur. Wir haben eine Presse, die auf die Interessen der Regierung, der Partei reagiert, die in erster Linie propagandistische Aufgaben erfüllt und weniger informative und analytische. Ich kann mir insofern kaum vorstellen, dass sich viel Platz für eine Debatte über mein Buch in den Medien finden wird.
Es hat den Anschein, dass Sie den Fokus Ihrer Romane allmählich verändern – Ihre Werke werden weniger kriminalistisch und deutlich sozialer.
Ja, das ist eine Richtung, die ich verfolge.
Aus welchem Grund?
Ich glaube, dass ich immer den Rahmen des Kriminalromans bewusst gedehnt habe. Ich war nie ein orthodoxer Krimiautor, und meine Romane hatten immer einen starken sozialen Bezug. Das ist zunehmend in den Vordergrund gerückt: Mein Konzept beruht auf einer detaillierten historischen Recherche, auf deren Basis ich meine Geschichten aufbaue, und der historische Bezug hat dabei eine steigende Bedeutung.
Fürchten Sie keine Fehlinterpretationen?
Man kann meine Bücher falsch interpretieren, falsch verstehen oder gar nicht verstehen. Vielleicht wird das eine oder andere auch überraschen oder stören. Das sind aber Risiken, die ein Autor eingehen muss. Ich glaube nicht, dass es vollkommen freie Autoren gibt, wenn es ans Schreiben geht. Es gibt Scheren im Kopf, Grenzen, die man akzeptiert oder auch nicht, die aber existieren. Das können religiöse, politische oder sonst welche sein, zum Beispiel, dass man sich scheut, in dieser oder jener Form über Homosexualität zu schreiben. Immer gibt es gewisse Grenzen, und der Autor muss sich entscheiden, ob er sie verletzen, niederreissen oder respektieren will.
Und ein Autor in Kuba?
Bezogen auf Kuba heisst das, dass es eine politische Realität gibt, die nahelegt, dass es delikat sein kann, über die dunklen Seiten des Sozialismus im 20. Jahrhundert zu schreiben.
Das klingt nicht nach Öffnung. Die haben viele Kubaner vor allem im wirtschaftlichen Bereich von Raúl Castro erwartet, oder?
Die Situation ist sehr schwierig, denn wir leben in einer ökonomischen Depression, die auf vielen Faktoren beruht: auf dem US-Embargo, der globalen Finanzkrise und vor allem auf einer latenten wirtschaftlichen Ineffizienz Kubas, die ihre Ursache in den Strukturen hat. In den letzten drei, vier Jahren wurde viel über die Notwendigkeit gesprochen, strukturelle Änderungen in der kubanischen Wirtschaft durchzuführen, und es wurden viele Hoffnungen in bestimmte Personen gesetzt. Diese Reformen haben dann allerdings nicht stattgefunden; das hat einen Vertrauensverlust nach sich gezogen. Wir sprechen über Veränderungen der Besitzverhältnisse, Modifizierung der Produktions- und Vertriebswege, die Vereinfachung von Ein- und Ausreise – es wurde über viele Dinge gesprochen, aber in der Realität hat sich nichts verändert.
Effizienz ist eine der Parolen, die man vom Staatschef Raúl Castro häufig hört. Erinnert er nicht an einen Rufer in der Wüste?
So scheint es, aber wir Kubaner haben gar nicht ausreichend Informationen, um diesen Eindruck zu überprüfen – wir sind nicht in der Lage, uns ein eigenes Urteil zu bilden, weil die Grundlage fehlt. Mit mehr Informationen, so denke ich, hätten wir in Kuba eine sehr viel breitere soziale Diskussion, als wir sie derzeit haben.
Allerdings häufen sich doch die Meldungen über Probleme im Bildungs- und auch im Gesundheitssystem, über Korruption und Ineffizienz. Sind das Phänomene, die Kuba heute prägen?
Ja, wir hatten und haben viele Probleme, die vor allem mit der komplizierten wirtschaftlichen Situation zu tun haben. Das unterstützt nicht nur die Korruption, sondern hat auch Auswirkungen auf ethischer und moralischer Ebene. In Kuba ist alles kompliziert. Es gibt derart viele Gesetze, die alles und jedes regeln, dass der Raum der Bürger für eigene Entscheidungen minimal ist. Alles hängt vom Staat ab, und die Abhängigkeit vom Wohlwollen der staatlichen Funktionäre begünstigt die Korruption.
Interview: Knut Henkel