Heute.de: Niemand weiß ja genau, wie es um Fidel Castro wirklich steht. Wenn er stirbt - werden Sie ihn vermissen?
Padura: Natürlich, ja. Sehr. Schau mal: Wenn Du 50 Jahre lang einen Vater hattest, so streng er auch gewesen sein mag, und dann ist er plötzlich nicht mehr da, dann wirst Du ihn sehr vermissen. Und das ist oft passiert in vielen Ländern. Nach dem Tod eines autoritären Führers haben ihn viele Menschen erst einmal vermisst. Ich weise nur auf den schlimmsten Fall hin: Stalin. Es gab viele Menschen in Russland, die viele Jahre lang immer sagten: "Unter Stalin wäre das nicht passiert" oder "Unter Stalin war alles besser". Und Stalin hatte nun wirklich Millionen Menschen umgebracht. Das ist - Gott sei Dank - unter Castro nicht passiert, dass er Abertausende umgebracht hat. Er hat immer eine intelligente Politik gemacht. Aber Fidel hat einfach Charisma, er hat die Sympathien des Volkes und eine Autorität, die viele Menschen sicher vermissen werden.
heute.de: Wie ist momentan die Stimmung auf Kuba?
Leonardo Padura: Es hängt gespannte Erwartung in der Luft. Schließlich gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass Fidel Castro an die Macht zurückkehrt im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte. Oder aber, er wird nicht völlig gesund und muss wegen seiner Krankheit Macht abgeben - so wie er es jetzt auch schon gemacht hat seit Beginn der Erkrankung. Was auch immer passiert, es wird nicht mehr sein wie vorher.
heute.de: Die meisten Kubaner sind ja zu jung, um ein Kuba ohne Fidel überhaupt erlebt zu haben. Für sie ist er der Garant jener Welt, in der sie leben. Ist Nervosität auf den Straßen zu spüren? Aufregung über kommende Veränderungen?
Padura: Nein. Momentan ist die Lage absolut normal, die Menschen sind sehr ruhig. Sie warten ab und sehen, was passiert. Wir haben dieselben Probleme, Erwartungen, Hoffnungen, Frustrationen, Vergnügungen, Illusionen wie immer. Es sind kürzlich einige Programme zur Besserung der sozialen Lage begonnen worden - einfach, damit die Leute ruhig bleiben und sich nicht ängstigen.
Zur Person:
Leonardo Padura, geboren 1955 in Havanna, schrieb nach seinem Lateinamerikanistik-Studium erst für die Zeitschrift "El Caimán Barbudo", dann wurde er aufgrund "ideologischer Probleme" strafversetzt zur Zeitung "Juventud Rebelde". Aber auch hier griff er weiterhin entlegene und unbequeme Themen auf. Bald gehörten seine Reportagen zu den meistgelesenen in Kuba. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen Romane, Erzählbände, literaturwissenschaftliche Studien sowie Reportagen und Interviews. International bekannt wurde er mit seinem Kriminalromanzyklus "Das Havanna-Quartett". Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt er den Premio Café de Gijón sowie zweimal den spanischen Premio Hammett. Sein neues Buch "Adiós Hemingway" wurde mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet. Leonardo Padura lebt in Havanna.
heute.de: Was heißt überhaupt "Normalität" in einem Land wie Kuba?
Padura: Nun, dass die Menschen weiterleben, so wie sie das immer getan haben. Sie versuchen, Lebensmittel zu organisieren zum günstigsten Preis. Sie machen Geschäfte am Rande der Legalität, um durchzukommen. Die Strategien des Überlebens, die sich von den 90er Jahren bis jetzt so entwickelt haben - sie sind unsere Normalität geworden.
heute.de: Haben Sie Angst, dass nun die reichen Exil-Kubaner aus Miami zurückkehren und die Insel gnadenlos kapitalisieren? Oder wird es vielleicht eine US-"Invasion light" mit Starbucks und McDonalds?
Padura: Das ist schwierig zu sagen. Eines der unbestritten wichtigsten Verdienste der Revolution war es, das Unabhängigkeitsgefühl der Kubaner gestärkt zu haben. Die Exilanten aus Miami werden vielleicht zurückkommen, aber sie werden Probleme haben. Zum einen ist es sehr schwierig, aus der Ersten in die Dritte Welt zurück zu kehren. Von einem Ort, an dem alles funktioniert, heim zu kommen an einen Ort, an dem nichts funktioniert - das ist fast unmöglich.
heute.de: Sie sind ein international bekannter Schriftsteller. Sie hätten längst in den Westen gehen können und dort ein materiell gesichertes Leben führen können. Warum lieben Sie Kuba so sehr? Was gefällt Ihnen dort am besten?
Padura: Am besten gefällt mir auf Kuba, in meinem Haus zu wohnen. In Paris wohnte ich in einem bequemen Apartment, das mir eine Freundin zur Verfügung gestellt hat. Alles war luxuriös, aber so geschlossen, so anonym. Das erste, was ich zu Hause mache nach dem Aufstehen, ist Fenster und Türen zu öffnen. Ich lebe nahe einer Avenida, aber umgeben von Bäumen und offenen Türen, mit meinen Hunden, die hinein und hinaus können und mit vielen Menschen, die ständig ein- und ausgehen. Ich musste zum Beispiel mein Telefon sperren, sonst hätten ständig Nachbarn von meinem Apparat aus Ferngespräche von Havanna bis nach Santiago de Cuba (Stadt an der Südküste nahe Guantánamo, Anm.d. Red.) geführt. Aber so ist Kuba, wir sind zu offen und spontan, und manchmal übertreiben wir es halt. Andererseits liebe ich es, dass wir so sind. In Europa berührt man sich nicht, man spricht nicht miteinander auf der Straße. Im Bus in Kuba wird über alles mit jedem heftigst diskutiert, ob das Fidel Castro, das Essen oder die Frauen sind. Letzteres mögen die Frauen übrigens sehr, sie wären beleidigt, wenn man es nicht täte.
heute.de: In Ihren Büchern wird das Alltagsleben auf Kuba liebevoll, aber auch sehr bitter beschrieben als täglicher Kampf mit und gegen ein abgewirtschaftetes System, das den Anschluss längst verpasst hat. Hoffen Sie darauf, dass es in der Nach-Castro-Ära besser wird?
Padura: Die Zukunft zu prophezeien, das ist sehr kompliziert. Ich kann nicht sagen, ob es schlimmer oder besser werden wird. Ich weiß nur eines sicher: Dass es anders werden wird. Castros Art des Regierens ist die Konzentration von Macht auf eine Person. Fidel hatte bisher alle Fäden des gesamten kubanischen Lebens in seiner Hand. Das weiter zu führen, wird schwierig werden. Und: Es wird keinen anderen Präsidenten geben, der sieben Stunden Reden hält, so wie Fidel es zu tun pflegte. Am Tag, bevor sie ihn operierten, hielt er eine Rede von zwei Stunden und eine weitere von drei Stunden. Und er war sehr krank. Siehst Du, was ich meine: Das Reden liegt ihm im Blut.
Literatur-Hinweis:
"Havanna-Quartett" und"Adiós Hemingway"
von Leonardo Padura
erschienen im Unionsverlag,
Februar 2004 und Juli 2006