Liebe Kollegin
Lieber Kollege
Gehören Sie zu jenen Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die den Vertreter fragen: »Welches Hardcover brauche ich denn unbedingt vom Unionsverlag?« Dann hätten Sie unserer letzten Vertreterkonferenz beiwohnen sollen.
Der letzte Flug des Falken wird abheben, prophezeit der große Skeptiker unter den Vertretern. Ewig fragt man mich nach dem letzten Memed-Band. Unbedingt in die Vorschau reinschreiben, dass wir mehr als eine Viertelmillion Memeds verkauft haben. Tut nicht immer so vornehm und bescheiden! Im Herbst wird Kemal achtzig. Dazu der Friedenspreis. Ein absoluter Muss-Titel. Warum hat das eigentlich so lang gedauert?
Und Izzos Clochard-Roman?, tönt es im Chor. Unwiderstehlich wie die Bände der Marseille-Trilogie. Wie der einem die Menschen nahebringt! Das wird bestimmt der Publikumstitel. Unbedingt ein Kofferraum-Exemplar — den muss man den Buchhändlern direkt in die Hand drücken.
Wieder mal kein Sinn für komplexe Texte in dieser Runde, brummelt der Literat unter den Vertretern. Yitzhak Laor natürlich, das Enfant terrible der israelischen Literatur. Das reinste Feuerwerk. Das ist der Feuilleton-Titel, garantiert. Kommt Laor eigentlich zur Messe?
Leonardo Padura muss sein! Der ist zurzeit die Nummer eins, was Kuba betrifft. Wenn Castro so weitermacht, habt ihr ihn bei der Lesereise garantiert in allen Medien. Wir brauchen ein Türöffner-Leseexemplar für das Havanna-Quartett. Unbedingt reinschreiben, dass jeder Roman in sich abgeschlossen ist! Da kann man mit jedem Band einsteigen. — Na, aber hallo, jubelt der metro-Herausgeber über den Vertreterzuspruch, Cream of Crime!
Ach, die Männer ... Die Vertreterin schüttelt den Kopf. Ihr habt natürlich den wunderbaren neuen Machfus nicht gelesen. Einer seiner allerbesten! Haargenau erzählt, total modern und gnadenlos beobachtet, diese Midlife-Crisis alternder Männer. Sie schaut in die Runde.
Ist Euch eigentlich aufgefallen, dass Patricia Grace’ Maori-Roman aufgebaut ist wie ein Familienstellen nach System Hellinger? Existenzielle Bezüge zwischen Lebenden und Toten in der Sippe. Unbedingt dieses leicht spirituelle Umschlagbild! Ich bin übrigens kein Hellinger-Fan ... Aufatmen in der Runde, denn sie sieht Grace doch eher als große Literatin. Aber das spirituelle Umschlagbild wird genehmigt.
Hat jemand den Englischen Patienten gesehen? So müsste man Garry Disher verfilmen! Und er hat den Vorteil, dass sein Buch wirklich gut lesbar und unglaublich spannend ist. Disher ist schwer im Kommen, beste Presse für den Drachenmann. Unbedingt Leseexemplar.
Und für die Originalausgaben bei UT metro muss man auch etwas machen, die gehen ja sonst glatt unter! Moses Wine ist wieder da! Und der Fengshui-Detektiv ...
Der große Realist unter den Vertretern grübelt: Was soll ich jetzt dem Buchhändler sagen, was er weglassen kann? Ich sag ihm einfach, dass wir diesmal die Streich- und Weglasstitel selbst weggelassen haben. Schreib das so ins Editorial! Das wird gelesen.
Dem Verleger schwirrt der Kopf bei so vielen Sorten von Titeln. Doch er frohlockt, denn seinem Herzen ist ohnehin jedes Buch frei und gleich geboren. Darum gibts diesen Herbst auch vier Leseexemplare.
Mit vielen Grüßen aus dem Unionsverlag
Lucien Leitess