Zur Blütenlese aus allen Editorials
1975 begann es mit »Erzählungen aus dem Kampf der Schweizer Arbeiterklasse«, gesetzt auf einer IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine, mit Schere, Leim und Pinsel gelayoutet: Lisel Bruggmanns Ich wünsche euch des Weltenalls Erbeben war das erste Buch. Der Verlag residierte in Küche, Keller und Estrich der Verlegerwohnung, das Lager fand Platz unter dem Ehebett. Das Gründungskapital belief sich auf zweitausend Schweizer Franken. Über das Programm debattierte ein Komitee. Verlagserfahrung hatte niemand. An seiner ersten Frankfurter Buchmesse belegte der Unionsverlag zwei Bretter des kleinen Gemeinschaftsstands der Gruppe »Schweizer Kleinverlage«.
Allmählich fand der Verlag zu einem kontinuierlichen Editionsrhythmus. Neben Wiederentdeckungen von Schweizer Autorinnen und Autoren (Elisabeth Gerter, Hans Mühlestein) und ersten politischen Sachbüchern (Schweizer Klassenkämpfe) entfaltete sich aus dem Geist der internationalen Solidarität das Programm internationaler Literatur. Als erster namhafter Autor schenkte 1978 Yaşar Kemal (Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1997) dem noch etwas fantastischen Verlagsprojekt sein Vertrauen. Zum ersten, dramatischen Bestseller jener Jahre wurde Nichts geht mehr von Dora Koster.
1975–1980: Das Programm | Autoren
1980 wagte man den großen Schritt: das erste eigene Büro im Haus von Maria Becker. In anderthalb Zimmern zog eine gewisse Professionalität ein. Eine zweite Schreibmaschine! Hansjörg Bahl im Nebenbüro gewährte großzügig Zugang zu seinem Fotokopierer.
Als einer der ersten Schweizer Verlage begann 1983 der Unionsverlag eine Ratgeberreihe. Als erster Titel erschien Wenn zwei zusammenleben. Ratgeber für Paare ohne Trauschein – das Konkubinat war damals vielerorts verboten. Ratgeber zu Arbeitsrecht, Mietrecht, Pensionskasse, Mehrwertsteuer, Behindertenrecht, Patientenrecht, Operationen, Impfungen etc. folgten. Zum Bestseller wurden 1985 der Schweizer Medikamentenführer und 1986 der Bericht von Roger Schawinski (Vergiftet) über sein mit Wohngift verseuchtes Haus. Als dann Konzernverlage wie Beobachter und Tagesanzeiger in diesen Markt vorstießen, zog sich der Verlag aus der Ratgeberliteratur zurück.
Weiterhin erschienen Bücher zu aktuellen Schweizer Themen wie zum Beispiel das aufsehenerregende Standardwerk Swiss Connection zur Geldwäscherei in der Schweiz von Gian Trepp (mit einem Register von über 2000 Firmen und Personen). Mehrere Gerichtsverfahren von diversen Genannten wurden ehrenhaft bestanden, und bis heute stehen in den Betreibungsauszügen von Verlag und Autor die erheiternden (erfolglosen) Schadensersatzforderungen eines zwielichtigen Financiers über 8 Millionen Schweizer Franken.
1983 stieß der Buchgestalter Heinz Unternährer zum Unionsverlag und prägte seinen Auftritt. Er verschrieb dem Verlag für alle Zeiten auf Umschlägen und Werbemitteln die Bodoni: eine klassische, fantasiereiche, beschwingte, nie alternde Schrifttype, die vom genialen Giambattista Bodoni aus Parma im 18. Jahrhundert geschaffen wurde.
Zu Zeiten, als das unter Kulturmenschen noch verpönt war, wurde 1984 der erste Computer angeschafft: ein IBM XT mit 256 kB Arbeitsspeicher und einer 10–MB-Festplatte. Für den Verlag war dies insgesamt ein gemischter Segen, weil der Verleger eine Leidenschaft für Algorithmen entwickelte, die Verlagssoftware EDDY schrieb und sie bis in die Neunzigerjahre mitbetreute. Zudem besteht er darauf, die Website des Verlags selbst zu programmieren, und baut, zusammen mit den Informatikern von le-tex, Leipzig, an der voll-digitalen E-Book-Produktionsmaschine des Unionsverlags.
Übersetzungen aus der internationalen Literatur wurden zu einem festen Programmbereich. Von Anfang an suchte der Verlag die Literatur auch außerhalb der gängigen Literaturregionen und entdeckte früh Autorinnen und Autoren, die oft bald, oft aber auch erst nach Jahren hierzulande den Durchbruch erreichten: Tschingis Aitmatow, Nagib Machfus (Nobelpreis 1988), Assia Djebar (Friedenspreis 2000), Salim Alafenisch, Sahar Khalifa, Driss Chraïbi, Juri Rytchëu, Mahmud Doulatabadi, Galsan Tschinag, Mia Couto und viele andere.
Gemeinsam mit den Verlagen Peter Hammer und Lamuv wurde 1982 das Pionierprojekt Dialog Dritte Welt gestartet. Bis 1987 erschienen in dieser Reihe Romane aus allen Kontinenten des Südens.
Die Jahre 1987/88 brachten einen Durchbruch. 1987 wechselte Tschingis Aitmatow mit seinem ganzen Werk vom Bertelsmann Verlag zum Unionsverlag. Sein Perestrojka-Roman Der Richtplatz wurde zum aufsehenerregenden Bestseller. 1988 wurde der ägyptische Autor Nagib Machfus mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. »In 3 Jahren 300 Exemplare, in 3 Minuten 30’000 Exemplare«, kommentiert man bis heute dieses erste unter den Nobelpreis-Wundern. Bis heute sind 26 Werke von Nagib Machfus im Unionsverlag erschienen.
1981–1990: Das Programm | Neue Autoren
Im Jahre 1990 beschlossen der Unionsverlag und der Limmat Verlag zu fusionieren und zogen an der Rieterstrasse ein. Die Programme blieben unabhängig, die Betriebsstrukturen wurden vereinigt. Zehn Jahre lang gedieh die Verlagsgemeinschaft Union & Limmat AG, dann beschlossen die Partner in aller Freundschaft, wieder selbstständig ihren Weg zu gehen.
Im Herbst 1990 startete der Verlag seine eigene Taschenbuchreihe. Als »Unionsverlag Taschenbuch« (UT) erschienen zunächst die eigenen Erstausgaben (»das Feinste aus unserem Fundus«). Bald kamen zahlreiche Lizenzen von anderen Verlagen und Neuausgaben vergriffener Werke hinzu. Die Genres sind vielfältig: Die Reihe pflegt auch das Abenteuer zu Land und zur See, den Piratenroman, die Kunst des Schmökers und das erzählende Sachbuch. UT ist eine der letzten Taschenbuchreihen aus einem Independent-Verlag und auf über 600 Bände gewachsen. Das hauseigene Taschenbuch ist eine Säule des Programms und auch der Verlagsökonomie geworden.
1997 feierte der Verlag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Yaşar Kemal, 2000 den Friedenspreis für Assia Djebar.
1990–2000: Das Programm | Neue Autoren
Seit dem Jahr 2000 hat die internationale Spannungsliteratur einen festen Platz im Programm. Die Reihe metro (Hardcover und Taschenbücher) wurde begründet und viele Jahre herausgegeben vom Krimikenner Thomas Wörtche. Über 200 Titel von Autoren wie Jean-Claude Izzo, Garry Disher, Leonardo Padura, Claudia Piñeiro, Nii Parkes, Pablo De Santis, Bruno Morchio, Domingo Villar, Petra Ivanov, Mitra Devi, Xavier-Marie Bonnot präsentieren die Vielfalt und Weite moderner Spannungsliteratur aus aller Welt. Von Friedrich Glauser sind hier alle Bände der einzig verlässlichen Edition aus dem Limmat Verlag erschienen.
Seit 2007 bietet die Reihe Bücher fürs Handgepäck Lesestoff und Hintergründe zu Destinationen aus aller Welt für neugierige Reisende an. Geschichten, Essays, Berichte beleuchten das, was auf einer Reise auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist. Über 50 Bände zu Reisezielen aus allen Kontinenten sind bereits erschienen.
Die Türkische Bibliothek machte bisher unbekannte, bahnbrechende Autoren der reichen türkischen Literatur zugänglich. Dieses Großprojekt umfasste 20 sorgfältigst editierte Bände, herausgegeben von Erika Glassen und Jens-Peter Laut, und wurde unterstützt von der Robert Bosch-Stiftung.
Seit 2009 erscheint die Reihe der »Passionen«: liebevoll ausgestattene Leinenbändchen, die sich auch bestens als literarische Geschenke eignen, weil sie Hirn wie Herz ansprechen.
2012 feierte der Verlag den Nobelpreis für Literatur für Mo Yan und 2013 den Jugendliteraturpreis für Abzählen von Tamta Melaschwili (Georgien).
Der Unionsverlag (rechtlich eine Aktiengesellschaft) ist unabhängig. Als Independent-Verlag ist er Mitglied von SWIPS. In Zürich arbeiten fünf Festangestellte, unterstützt von zwei Volontärinnen und zahlreichen freien Mitarbeitern, ohne die das Tagespensum nicht bewältigt werden könnte.
Seit 2000: Das Programm | Neue Autoren
Bildergalerie: Besuche | 40 Buchmessen | Preise gewinnen | Reisen gewinnen | Teams
»Bericht aus dem Lokalblatt Zürich-Enge: »Der intellektuelle Leuchtturm steht furchtlos, kämpferisch, ja heroisch an der Rieterstrasse 18. Hier beim Unionsverlag treffen sich Buchautoren von Weltruf, gibt der Postbote täglich Romanmanuskripte an und die Crew liest, brütet und telefoniert in den bis oben mit Büchern verstellten Zimmern.«
»Ein seltener Glücksfall, wenn ein im kompromisslosen Geist der 68er geborenes Projekt nicht an seinen eigenen Idealen scheitert, wenn der mühsame Prozess von der ambitionierten Idee bis zur Realisierung und Etablierung mit solcher Beharrlichkeit und Leidenschaft für Literatur vorangetrieben wird.«
»Der Zürcher Unionsverlag verlegt vor allen Dingen Literatur aus dem Ausland, also internationale Literatur. Weil der Verlag dabei auf Qualität setzt und viele der Autoren sich später durchgesetzt haben oder wie Nagib Machfus sogar mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden sind, kommt der anspruchsvolle oder besser: neugierige Leser am Unionsverlag nicht vorbei. Das gilt auch für die Kriminalliteratur – seit dem Jahr 2000 gibt der Krimikenner Thomas Wörtche in der Reihe metro beim Unionsverlag internationale Spannungsliteratur heraus, wie sie besser nicht sein könnte.«
»Seit diversen Jahren schon bin ich Fan des Unionsverlags, der wie kein zweiter Fernweh literarisch stillt und auch unser massenmediengeprägtes Meinen durch die Erzählungen aus aller Welt zurechtrückt.«
»Für seine Tätigkeit ist der Verlag im vergangenen Jahr mit der Verlagsprämie der Pro Helvetia und des Migros-Kulturprozent ausgezeichnet worden. Die Verleihung dieser Prämie betrachte er als Würdigung der kontinuierlichen Arbeit und kreativen Tätigkeit, meinte Leitess, plädierte aber gleichzeitig für eine langfristige, für Verlage berechenbare Förderung, für Initiativen, die den ganzen Weg vom Autor zum Leser stärken.«
»Man kann sich in Deutschland glücklich schätzen, dass es den Schweizer Unionsverlag gibt, der unsere Buchwelt immer wieder mit wahren Perlen aus den im Osten gelegenen Ländern bereichert.«
»Wenn es gelingt, ungewöhnliche Bücher aus anderen Kulturkreisen bei uns zu Bestsellern zu machen, steht nicht selten das Wort ›Unionsverlag‹ auf dem Umschlag.«
»Auf der Suche nach guten Büchern spürt der Unionsverlag ganz erstklassige Autoren auf: den Türken Yaşar Kemal etwa, oder den Tschuktschen Juri Rytchëu und vor allem den später mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Ägypter Nagib Machfus. Eine weitere Pioniertat war das verlagsspezifische EDV-Programm, das Lucien Leitess, Leiter des Unionsverlags, 1988 verfasste: Mittlerweile arbeiten über 100 weitere Verlage damit.«
»In 40 Tagen um die Welt, 1000 Stunden Weltliteratur: Das Antiprovinzialismusprogramm des Unionsverlags in Zürich. Das Programm des kleinen Verlages ist mittlerweile zum Glücksfall geraten.«