Mia Couto kenne ich nun seit gut zwanzig Jahren. Da wir beide eher schüchtern sind, waren unsere Begegnungen jeweils nicht privater, sondern beruflicher Natur, nämlich im Zusammenhang mit Projekten der professionellen Schauspielgruppe »Mutumbela Gogo« in Maputo in Moçambique, für die ich viele seiner Kurzromane dramaturgisch bearbeitet und bei den Aufführungen Regie geführt habe. Es war jedesmal eine inspirierende Erfahrung, sowohl für mich wie auch – so nehme ich zumindest an – für ihn.
Über all die Jahre hinweg habe ich Mia Coutos Weg als Schriftsteller verfolgt. Von Anfang an war mir klar, dass er eine eigene Stimme hat. Jede seiner Geschichten kam aus seinem innersten Wesen, auch wenn er über durchschnittliche Menschen schrieb, deren Lebensweise eine völlig andere war als die seine und deren Würde er immer verteidigte.
Mia Couto wurde als Weißer in einem schwarzen Land geboren. Seine Geschichten und seine Erzählweise sind jedoch zutiefst afrikanisch. Immer wieder bin ich Menschen begegnet, die erstaunt waren, wenn ich erwähnte, dass Mia Couto ein Weißer ist. Das hat mich jedesmal irritiert. Was hat es mit der Hautfarbe eines Menschen auf sich, dass sie bestimmen kann, wie jemand schreibt? Weshalb könnte Shakespeare nicht auch ein Schwarzer gewesen sein, oder Ben Okri ein Chinese? Diesbezüglich gibt es leider immer noch eine Menge Vorurteile.
Ich sage, dass Mia Couto ein afrikanischer Autor ist. Der Grund dafür liegt nicht bloß darin, dass er dort geboren ist und dort lebt. Er liegt in seiner Art zu erzählen. Auch ich verbringe einen Teil meines Lebens in Afrika, aber das macht mich noch lange nicht zu einem afrikanischen Autor.
Was ich jetzt sagen werde, mag ein wenig vereinfacht scheinen. Seis drum. Allerdings bin ich überzeugt, dass darin einige wichtige Wahrheiten stecken. Ich will versuchen, diese im Folgenden zu umreißen.
Die europäische Tradition des realistischen Erzählens ist im Grunde nichts anderes als das lineare Erzählen einer Geschichte. Ob man nun Dostojewski oder Joseph Conrad liest, die Geschichte wird vom Anfang zum Ende hin erzählt. In Afrika, das heißt in der afrikanischen Tradition des Erzählens, scheint mir die Erzählweise nicht einfach linear, sondern sie gründet auf etwas, das ich die »Formel der Träume« nennen will.
Wir alle wissen, dass unsere Träume anderen Arten von Logik folgen. Normalerweise nehmen wir dies einfach hin. Die geträumten Geschichten sind verworren, chaotisch, längst Verstorbene kommen darin vor, als ob sie lebendig wären, ich selbst kann älter oder jünger sein, als ich wirklich bin. Die Welt des Traums ist absurd und oft surreal, aber nichtsdestoweniger wahr und voller Komik und Tragik.
In Mia Coutos Texten meine ich Ähnlichkeiten mit diesem nicht linearen Erzählen gefunden zu haben. Er bedient sich nicht ausschließlich der »Es war einmal …«-Erzählweise. Er bewegt sich frei zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen dem Heute und dem Gestern, zwischen dem Hier und dem Dort, zwischen Realität und Traum. Als Leser akzeptiert man dies, man hat sein Vergnügen daran und verliert nie – oder zumindest tut Mia Couto dies nie – den Kern der Geschichte aus dem Blick.
In afrikanischen Gesellschaften, so verschieden sie untereinander auch sein mögen, ist fast immer eine Dimension des Animismus präsent. Am einfachsten läßt sich das so beschreiben, dass kein Tod gänzlich natürlich ist. Selbst wenn die eigene Großmutter friedlich in ihrem Bett stirbt, kann es gut sein, dass irgendwelche dunklen und geheimen Mächte ihren Tod verursacht haben. Es wäre ganz und gar unaufrichtig, diese Tatsache zu verheimlichen, wenn ich über meine Erfahrungen in Afrika spreche. Genauso falsch wäre allerdings die Behauptung, dies beweise, dass afrikanische Gesellschaften auf dem Glauben der Menschen an übernatürliche Kräfte und deren verborgenes Spiel mit den Menschen gründen. In seinen Erzählungen gelingt es Mia Couto immer, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen diesen verschiedenen Kräften, die die afrikanischen Gesellschaften und ihre Denkweise prägen. Europäische Autoren hingegen tappen meist in diese Falle, indem sie die magischen Dimensionen im afrikanischen Leben überbewerten.
Ich habe Mia Couto immer als Forscher betrachtet, nicht nur in der Art und Weise, wie er seine Geschichten aufbaut, sondern auch, wie er mit der Sprache arbeitet. Wir müssen uns bewusst sein, dass das vorrangige koloniale Erbe, die Sprache, kein »portugiesisches Portugiesisch« ist. Die Sprache, wie sie in Moçambique gesprochen wird, unterscheidet sich von der, die in Portugal – und übrigens auch in Angola oder in Brasilien – gesprochen wird. Es gibt immer verborgene Bedeutungen zwischen den verschiedenen regionalen Sprachen und dem moçambiquanischen Portugiesisch. Mia Couto erkundet, was dies für seine Sprache bedeutet. Wenn nötig erfindet er Wörter. Er geht mit der Sprache um wie mit Lehm und formt sie seinen Bedürfnissen entsprechend. Seine Arbeit als Autor macht die moçambiquanische Sprache eigenständiger, formbewusster, eigenwilliger.
In erster Linie jedoch ist Mia Couto ein außergewöhnlich talentierter Autor. Seine Geschichten sind einzigartig und faszinierend und man kann sie nur schwer – oder vielleicht gar nicht – vergessen.