Mustafa İnan war mein Freund, zu ihm hatte ich uneingeschränktes Vertrauen. Er starb im Sommer 1967. Cavit Erginsoy, einer unserer Physiker, den ich – nach Mustafa Inan – am meisten schätzte, starb relativ jung. Nach dem Tod dieser beiden Freunde stand ich unter der Wirkung eines Humanitätsbegriffs, von dem Nikos Kazantzakis in seinem Roman »Alexis Zorbas« erzählt; ein Begriff, der sich gewissermaßen mit unserem Sprichwort, man sterbe nicht gleich, wenn ein Freund dahingegangen sei, zusammenfassen lässt, und ich versuchte, mich diesem Humanitätsideal entsprechend zu konditionieren.
Diese Todesfälle lösten nicht nur bei mir, sondern auch in meinem Umkreis tiefe Trauer aus. Während ich mich bemühte, die Schmerzen über den Verlust und die Mühen, mich so zu konditionieren, wie ich sagte, miteinander in Einklang zu bringen, war ich mit dem Vorschlag konfrontiert, die Lebensgeschichten von Mustafa İnan und Cavit Erginsoy mit der Unterstützung von TÜBITAK, der Türkischen Gesellschaft für wissenschaftliche und technische Forschung, in Romanform veröffentlichen zu lassen.
Im Rahmen jener Konditionierung, von der ich sprach, ließ ich mich auf diesen Vorschlag unter dem folgenden Aspekt ein:
Nach einem grundlegenden Naturgesetz, das ich akzeptiere, gehen die Individuen in der Natur nur gegen einen starken inneren Widerstand eine wechelseitige Beziehung ein, um ihre innere Organisation zu schützen. Gleichzeitig suchen auch die Menschen mithilfe dieses inneren Widerstands ihr Glück im Gefühl der Grenzenlosigkeit und Unsterblichkeit.
Da ihnen die Unsterblichkeit im materiellen Sinn misslingt, hoffen manche, ihre Kinder als Fortbestand ansehen zu können. Wieder andere hoffen, diese Unsterblichkeit durch die Hinterlassung ihrer Erinnerungen zu erreichen.
Ich vermute, dass sowohl Mustafa Inan als auch Cavit Erginsoy in ihrem Leben diese zweite Art von Hoffung hegten. Andererseits bin ich der Überzeugung, dass die grundlegenden Beiträge der optimistischen und glücklichen Wissenschaftler eindeutig die Erinnerungen sind, die sie den Gesellschaften hinterlassen, sei es im materiellen Sinn, sei es im Sinne des erweiterten Glücksbegriffs, den ich oben erwähnte.
Dementsprechend war ich der Ansicht, dass die Veröffentlichung der inneren Konflikte solcher Persönlichkeiten sehr nützlich ist, um zu zeigen, dass solcherart Hoffnungen durchaus berechtigt sind, und um späteren Generationen ein Beispiel zu geben, was alles aus einem solchen inneren Konflikt werden kann. In Zeiten wie diesen, in denen das Gefühl dominiert, sich in eine Nische zurückziehen zu müssen, betonte ich umso mehr, wie wichtig solche Lebenserinnerungen sein können.
Die gesetzlich verankerte Hauptaufgabe von TÜBITAK bestand darin, das wissenschaftliche Niveau unserer Gesellschaft zu heben und sicherzustellen, dass immer mehr Menschen ihr Glück darin suchen, künftigen Generationen ebenfalls wissenschaftliche Erinnerungen zu hinterlassen. Die damalige Wissenschaftskommission von TÜBITAK stimmte dem Vorschlag von Erdal Inönü zu, eine Lebensgeschichte von Mustafa Inan schreiben zu lassen.
Man konnte jedoch lange Zeit keinen Autor finden, der bereit gewesen wäre, diese Dinge, die ich hier zu erläutern versuchte, in einem Lebensroman zu schildern. Der Schriftsteller, der diese Aufgabe übernehmen würde, musste sich zumindest für die Wissenschaft interessieren, wenn nicht sogar begeistern können. Schließlich nahm Oguz Atay diesen Auftrag an, er war ein Schüler von Mustafa İnan und hatte eine Ausbildung auf dessen Fachgebiet absolviert.
Mustafa Inan hatte von Geburt an ein außerordentliches Gedächtnis, zudem konnte er Dinge erahnen, die sich in keinster Weise manifestierten. Abgesehen davon war er ein hervorragender Mensch. Oguz Atay hörte auch andere Ansichten über Mustafa Inan an, und das Resultat war die Lebensgeschichte des Mathematikers.
Eines möchte ich noch eingestehen: Ich bin nicht der Meinung, dass dieses Resultat haargenau mit dem Ergebnis übereinstimmt, das ich mir erträumt hatte. Was kann man schon dagegen tun? Unsere Fantasien werden nie ganz und gar wirklich!
Cahit Arif, geb. 1910 in Saloniki, gest. 1997 in Istanbul; gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker der Türkei.
In: Oguz Atay, Bir Bilim Adaminin Romani
1. Auflage 1975, Bilgi Yayinlari, 20. Auflage 2004.
Aus dem Türkischen von Monika Carbe