Leser, die Machfus’ Werke kennen, werden wissen, dass es sich bei ihm besonders lohnt, auf Details zu achten. Karnak-Café macht hier keine Ausnahme. Ein Vermerk am Ende der Originalausgabe scheint mir besonders wichtig: Dort heißt es, dass der Text bereits im Dezember 1971 fertiggestellt wurde.
Ein Blick auf Machfus’ andere Werke reicht, um festzustellen, dass der Autor selten das Datum der Fertigstellung angab. Machfus musste wohl einen Grund dafür gehabt haben. Dieser erschließt sich, wenn man den politischen Kontext beleuchtet, in dem Karnak-Café entstanden ist.
Die Lage in Ägypten war nach dem Sechstagekrieg äußerst angespannt, und dies nicht nur wegen des Ausmaßes der Niederlage und wegen der Landverluste. Den Menschen setzte vor allem zu, dass der ägyptische Staatsapparat als große Lügenmaschine entlarvt worden war. Die Triumphmärsche und Siegeszüge verwandelten sich plötzlich in Trauerzüge. Was war die Antwort auf dieses Desaster, auf den Verlust der Soldaten auf der Sinaihalbinsel, auf diesen dreisten und unverhüllten Betrug? Wo war der Nationalstolz geblieben, den die Ägyptische Revolution von 1952 entfacht hatte? Sollte wieder alles von vorne losgehen? Welche Regierung sollte und konnte nun die Zügel in die Hand nehmen? Was war die Rolle jedes Einzelnen? Und was war die Rolle der Intellektuellen, insbesondere der Schriftsteller? Die Ära nach 1967 war eine Zeit der tiefen Betroffenheit, des Nachdenkens, der gegenseitigen Schuldzuweisungen und des nachträglichen Grolls.
Die Reaktionen der Intellektuellen waren sehr unterschiedlich. Einige Schriftsteller gaben an, dass sie damals zu kraftlos und völlig außerstande waren, etwas zu schreiben. Bei Machfus jedoch verhielt es sich anders. Er begann sofort, eine Reihe von Kurzgeschichten zu verfassen, viele von ihnen erschienen 1969 in der Anthologie Tahta al-mizallah (deutsch: Unterm Schutzdach). Der Verweis auf das Datum der Fertigstellung von Karnak-Café ist nicht weniger wichtig als die Angabe auf dem Einband der Erzählanthologie, dass alle Texte zwischen Oktober und Dezember 1967 verfasst wurden; der Bezug auf den Juni 1967 ist also nicht von der Hand zu weisen.
Machfus’ Geschichten zeichnen überwiegend das Bild einer aufgewühlten Welt, in der keiner versteht, was vor sich geht, und in der auch keiner gewillt scheint, Verantwortung zu übernehmen. Weitere Geschichten erschienen in den Jahren 1968 und 1969 regelmäßig in der ägyptischen Presse und wurden 1971 gesammelt in den Bänden Hikaya bi-la bidaya wa-la nihaya (deutsch: Erzählung ohne Anfang und Ende) und Shahr al-’asal (deutsch: Der Honigmond) publiziert.
Nach den verheerenden Auswirkungen des Sechstagekriegs (im Arabischen als al-naksa bezeichnet, »die Schlappe«) bot Präsident Gamal Abdel Nasser, die bis dato unangefochtene Repräsentationsfigur der arabischen Welt, seinen Rücktritt an. Ein Sturm der Entrüstung brach daraufhin los, weshalb er sein Amt vorerst behalten konnte. Er bezahlte dafür jedoch mit seiner Gesundheit und starb im Jahr 1970 an den Folgen eines Herzinfarkt. Sein Nachfolger wurde sein langjähriger Vizepräsident Anwar (später Mohammed Anwar) Sadat.
Noch heute erinnere ich mich gut an die Atmosphäre, die damals in Kairo herrschte. Hitzig debattierte man die Gründe und Auswirkungen des Sechstagekriegs, analysierte die neue Regierung und die Wege, die sie wohl gehen würde, um die sozialen, politischen und religiösen Klüfte innerhalb der Gesellschaft zu überwinden. Kennzeichnend für diese neue Ära war auch der Freimut, mit dem man über die Ära Abdel Nasser und vor allem über die Sechzigerjahre sprach, die die Niederlage des Jahres 1967 angekündigt hatten.
Machfus selbst nahm lebhaft an den Diskussionen über die Folgen der Ägyptischen Revolution teil. Auch seine Romane, die er in den Sechzigerjahren verfasste, zeugen davon: Al-Liss wa-l-kilab (1961; deutsch: Der Dieb und die Hunde) über das pessimistische Bild, das er in Tharthara fawq al-Nil (1966; deutsch: Geschwätz auf dem Nil) gezeichnet hat, bis zum düstersten Roman von allen, Miramar (1967; deutsch: Miramar, 1989).
Die Datierung von Karnak-Café auf den Dezember 1971 legt nahe, dass der Roman zu diesem Zyklus gehört, also genau genommen eine Fortführung der oben genannten Romane der Sechzigerjahre ist. Eine schriftliche Stellungnahme von Nagib Machfus, die dies belegen könnte, gibt es leider nicht. Auch sind seine Manuskripte in keinem Archiv öffentlich zugänglich. Sie sind wohl, mit Ausnahme von Miramar, bei seinem Verlag hinterlegt.
Einige Hinweise gibt es dennoch. Ich habe bereits die Kurzgeschichten erwähnt, die Machfus unmittelbar nach dem Sechstagekrieg verfasste und die 1971 in drei Bänden publiziert wurden. In diesem Sommer war ich in Kairo und erhielt einen Anruf von Machfus. Er teilte mir mit, dass er mir gerne etwas Neues zeigen würde, eine Reihe von Porträts, Al-Maraya (deutsch: Spiegel), die verschiedene ägyptische Persönlichkeiten vorstellen sollten und zu denen sein Freund, der Künstler Sayf Wanli aus Alexandria, Bilder anfertigte. Weil diese in Farbe abgebildet werden sollten, übergab er die Rechte für die Erstveröffentlichung der Fernsehzeitschrift Al-Idha’a. Im Wochentakt wurden die Texte vom 1. Mai 1971 bis Ende September veröffentlicht, als Buch erschien die Serie 1972. Machfus muss wohl mit Karnak-Café kurz danach begonnen und den Roman sehr schnell fertiggestellt haben, woraus zu schlussfolgern ist, dass Karnak-Café und Al-Maraya zur selben Schaffensphase gehören, einer Phase, die einen unmittelbaren Einblick in die Zeit vor und nach der Niederlage von 1967 gewährt.
Bemerkenswert ist ferner, dass Karnak-Café im Gegensatz zu der Mehrheit seiner Bücher nicht binnen eines Jahres veröffentlicht wurde, sondern erst 1974 erschien. Weil eindeutige Beweise fehlen, was in der Zwischenzeit mit dem Manuskript passierte, ist anzunehmen, dass die politische Lage der frühen Sadat-Ära für den späten Veröffentlichungstermin verantwortlich war. Auch die Porträtserie der frühen Siebzigerjahre kam zu einem abrupten Ende. Zudem wird gemutmaßt, dass der Roman, der 1974 erschien, etwas kürzer ist als die ursprüngliche Fassung (im Originaltext soll es einen Abschnitt gegeben haben, in dem der Erzähler den jungen Kommunisten Hilmi Hamada befragt, denn er ist der Einzige der drei jungen Stammgästen des Cafés, der in der vorliegenden Fassung kein eigenes Kapitel bekommt). Es ist nicht bekannt, ob die Kürzungen vom Autor gewollt waren oder auf die Zensur zurückzuführen sind.
Das Veröffentlichungsdatum von Karnak-Café folgt einer eigenen Chronologie. Seit Sadat die Präsidentschaft übernommen hatte, war viel Wasser den Bach hinuntergeflossen. Es gab Säuberungsaktionen unter den Linken und ein Erstarken der Religion (Sadats Beiname »Mohammed« zeugt von dieser Wende). Memoiren, in denen die misslichen Zustände der Bürokratie während der Sechzigerjahre geschildert wurden, konnten nur anonym veröffentlicht werden. Die ägyptische Wirtschaft, zuvor streng kontrolliert, wurde für ausländisches Kapital geöffnet. Diese sogenannte Infitah-Politik führte hauptsächlich dazu, dass die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer wurden und die Mittelschicht sich irgendwo dazwischen platzierte (all dies waren Themen in Machfus’ Romanen, in denen er seinem Ärger Luft machte).
Der Sueskanal bildete die Linie, an der sich die Ägypter im Westen und die Israelis im Osten gegenüberstanden (Bar-Lew-Linie), und war beiden Seiten ein Dorn im Auge. Im Oktober 1973 spitzte sich der Konflikt zu, als es den Ägyptern gelang, diese Linie zu überqueren. Ihr Vormarsch wurde jedoch bald gestoppt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die israelische Armee von den Vereinigten Staaten massiv aufgerüstet worden war. Aber die Ägypter hatten zumindest, wie der französische Wissenschaftler Jacques Berque schrieb, eine Art psychologischen Sieg errungen (vor allem im Vergleich zur Niederlage von 1967). Ägypten, Sadat und die Armee wurden von einer Welle der Euphorie erfasst; der 6. Oktober wurde zum nationalen Feiertag erklärt. Sadat, der einstige Vizepräsident und Handlanger von Abdel Nasser (und als solcher Zielscheibe vieler Witze) wurde nun als wahrer Führer der Nation angesehen.
In Karnak-Café zeigt Machfus auf, was falsch gelaufen war: Akribisch beschreibt er die Atmosphäre des Argwohns, die omnipräsente Geheimpolizei und die denkbar straffste Kontrolle von Presse, Wirtschaft und Kultur, drastisch stellt er die Auswirkungen der Ereignisse dar.
1975 wurde Karnak-Café verfilmt mit Su‘ad Husni als Zainab in der Hauptrolle, eine der berühmtesten Schauspielerinnen Ägyptens (sie kam 2001 auf tragische Weise in London ums Leben). Nahm man sich bei früheren Romanadaptionen schon gewisse Freiheiten bei der Handlungsstruktur heraus (vielleicht am meisten beim Roman Miramar, der im Film glücklich endet), so ging man bei der Verfilmung von Karnak-Café noch viel weiter und nutzte sie für eine rigorose politische Abrechnung mit Nassers Regierungszeit, die erst durch den zeitlichen Abstand zwischen der Niederschrift und der Publikation möglich wurde. Der Film zeigt zunächst die unmenschlichen Lebensbedingungen der Studenten während der finsteren Tage der Sechzigerjahre auf. Der Überraschungsangriff von 1973 wurde als großer Wendepunkt in die Handlung eingebaut, der alles Vorherige als längst vergangene Geschichte abtut.
Ich erinnere mich noch genau an die Filmvorführung in einem ägyptischen Kino im Jahr 1975. Eine Gruppe junger Studenten, im selben Alter wie die Protagonisten in Karnak-Café, saß direkt hinter mir und kommentierte (wie üblich) den Film lautstark. In einer effektvoll inszenierten Szene fährt ein Militärlastwagen vor. Das Bild einer ägyptischen Armee wird gezeichnet, das mit der damaligen Zeit (Juni 1967) sicherlich nicht übereinstimmt. Und die jungen Leute hinter mir nahmen an, dass es sich dabei um die Überquerung der Bar-Lew-Linie handelte, und taten dies kund. Wahrscheinlich hätte ich mich in diesem Moment umdrehen und sie darauf aufmerksam machen müssen, dass die Niederlage von 1967 gezeigt wurde. Ich hätte ihnen auch sagen müssen, dass ihre Gefühle auf denkbar schändlichste Weise missbraucht wurden. Stattdessen überließ ich es dem Film zu zeigen, wie Soldaten geschlagen und erschöpft von der Sinaihalbinsel zurückkehrten. Aufgrund solcher Manipulationen hatte der Film einen großen Erfolg in Sadats Ägypten und warf einen schwarzen Schatten auf die Präsidentschaft von Abdel Nasser. Die Vergewaltigung von Zainab im Gefängnis wurde gemeinhin als Metapher für die Vergewaltigung des gesamten ägyptischen Volkes in den Sechzigerjahren betrachtet.
Karnak-Café ist sicherlich einer von Nagib Machfus zornigsten und auch eindeutigsten Romanen. Das Verhalten, zu dem die jungen Leute getrieben werden, die politischen Diskussionen vor und nach dem Sechstagekrieg, das Personal, das ein Gesamtbild der ägyptischen Gesellschaft abgibt – alles wird mit großer Genauigkeit geschildert.
Die Kulisse ist ein Café, und wie immer sind Machfus’ Schilderungen der Atmosphäre so lebendig wie von keinem anderen Autor. Bis auf seine letzten Lebensjahre liebte es Machfus, seine Zeit in Kaffeehäusern zu verbringen, sich dort mit Freunden zu treffen und mit ihnen über Politik und Literatur zu diskutieren. Bei meiner ersten Begegnung mit ihm in den Sechzigerjahren war sein bevorzugter Ort das berühmte Café Riche in der Stadtmitte von Kairo, davor und danach hatte er noch andere Lieblingsorte. Laut einer Anekdote beruht das Auftauchen von Chalid Safwan im Karnak-Café auf einer Begebenheit, die sich in einem Café in der Nähe der Oper zugetragen haben soll.
Dass Machfus ausgerechnet den Bösewicht des Stücks Chalid Safwan die Alternativen aufzeigen lässt, die dem ägyptischen Volk nach der Niederlage von 1967 bleiben, ist große Ironie. Gleichzeitig bringt er auch die schwierige Lage der Menschen zum Ausdruck, die die Religion als einzige Rettung ansehen. Gerade weil der Roman sehr in seiner Zeit verankert ist und diese genau zu beschreiben weiß, sind die Lösungsansätze, die er vorgibt, und die Gefahren, die er beleuchtet, heute für die Lage in Ägypten und im Nahen Osten genauso relevant wie damals.
Nachwort von Karnak-Café, erstmals erschienen 2007 in der englischen Ausgabe.