Dies ist ein Roman, der von einer erschreckenden Unversöhnlichkeit erzählt, von einer pechschwarzen Verzweiflung. Der Roman eines Mannes, der sich aufmacht, einen von Generation zu Generation überlieferten Fluch zu verfolgen. Als er erschöpft am Ende des Weges anlangt, am liebsten spurlos verschwinden und sich in Dampf auflösen würde, erhält er ein Geschenk: das Abenteuer seines ihm unbekannten Vaters. In den Heften, die ein anderer Verfluchter ihm in die Hand drückt, liest er während einer langen Zugreise diese bittere Abenteuergeschichte, gewoben aus Verwandlung, Zerbrechen und Auflösung.
Es ist geradezu abenteuerlich, wie der Autor sich beim Schreiben selbst erschafft. Dies ist ergreifender als die raffinierte Struktur des Romans, die einzigartige Sprache und das unerträgliche Leid. In einem unendlichen Rausch erzeugt Uyurkulak Realitäten. Bereit, auf alles zu verzichten, was ihn zum Schriftsteller macht, steht er in nervöser Verletzlichkeit vor uns. Er ist ein Autor, der das letzte Wort für die Menschlichkeit fordert und aus protziger Gottlosigkeit zarten Glauben zaubert. Seine Feder spitzt sich zusehends beim Erzählen von der Gewalt der Menschen, deren Haut rissig ist vom vielen Sich-Häuten, die sich verflüchtigen, je genauer sie betrachtet werden. Beim Schreiben seines Romans erschuf sich der Autor offenkundig selbst neu. So steht »Zorn« außerhalb der klassischen Definition eines Debütromans.
Uyurkulaks Art, den Leser nicht zu Atem kommen zu lassen, jeden Moment, jedes Verhalten zu zerpflücken, malt ein finsteres Bild von der Welt. »Zorn« ist ein grantiger, unverschämter Roman, der gar nicht daran denkt, aus Gründen der Lesbarkeit den Leser in Bann ziehen zu wollen, und in das Abenteuer seiner Entstehung mit einzubeziehen. Dafür gibt er lauthals wohl all die Geheimnisse preis, die sich seit dreißig Jahren in dieser Gesellschaft hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert werden. Die totale Armut dieses Landes unterlegt er in einer von der analytischen Tradition des Westens losgelösten Syntax mit einer höchst persönlichen historischen Lesart. Das Versinken, Verschwinden im Nichts, die Änderung der Identität, die Verstümmelung werden zu Metaphern für die dröhnende Seelenlage dieser Gesellschaft. Wenn er die Geschichte von Menschen erzählt, die neue Welten zu gestalten versuchen, dabei aber vor allem sich selbst vernichten, erzählt er gleichsam vom rauschhaften Enthusiasmus, vom Glauben, von der Liebe, von Repression, Verrat, von Feindschaft und Rache. In diesem unergründlichen Rausch mutieren Sarkasmus zu grenzenloser Bewunderung, Suizid zu Lebensleidenschaft und Wahnsinn zu Prophetie. Erniedrigte, die sich in gegenseitigem Wundenlecken aufzurichten versuchen, zerfallen, um aus ihren Träumen als andere zu erwachen.
»Zorn« ist ein starker Roman, weil er uns fühlen lässt, dass alles zerbrechen kann. Weil er uns die Leidenschaft des Schreibens, des Schaffens und Seins spüren lässt. Weil er imstande ist, die Phasen politischer Erschütterungen zum Leben zu erwecken, ohne auch nur einen Augenblick in das Gestammel der Politik zu verfallen. Weil er keinen Ausweg zeigt, sondern das Leben als Reise an sich darzustellen vermag.
Yildirim Türker
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Erschienen in der Zeitung »Radikal« (3. November 2002).
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe