Sechs Jahre haben Sie an Ihrem Buch gearbeitet. Wie kamen Sie überhaupt zur Literatur?
Ich gab früher in Izmir einmal ein Fanzine heraus und schrieb schlechte Gedichte. Meine Gedichte waren wie Pamphlete, so wütend war ich damals. Dann setzte ich mich an ein langes Gedicht, eine Fantasie, dreißig Seiten lang sollte es werden. Doch ich kam nicht damit zurecht. Ich versuchte, die Verse fortlaufend zu schreiben, da sah ich, dass das Ganze eher zur Prosa tendierte. Das war Mitte 1997. Ich arbeitete als Kellner und Koch und bemühte mich nebenbei zu schreiben. Dann kündigte ich eines Tages, holte mir aus einem Supermarkt zwanzig, dreißig Pakete Nudeln, so viel Alkohol, dass es für eine Weile reichen würde, und schloss mich zu Hause ein. Zwei Monate lang bin ich nicht auf die Straße gegangen. Die Verlage, denen ich meinen Text vorlegte, erklärten, es sei der Entwurf eines Romans und wollten ihn nicht drucken. 2000 setzte ich mich hin und machte aus dem Entwurf einen Roman. Er ist also die Frucht von sechs Jahren schriftstellerischer Auseinandersetzung.
Ist »Zorn« ein Abbild Ihres Lebens?
Ich wäre gern so mutig wie die Männer und Frauen in dem Buch. Doch wenn ich mutig genug wäre, hätte ich wohl kein Buch geschrieben, sondern etwas anderes getan. Ich konnte meine Wut auf diese Weise zum Ausdruck bringen. Denn hätte ich nicht den Blick auf mich selbst gerichtet und geschrieben, so hätte ich vermutlich meine Wut auf andere, sinnvollere Weise ausdrücken können.
Sie sagen, Ihr Roman sei aus einer Wut heraus entstanden. Wut auf wen und auf was?
Meine Wut ist die Wut auf das System, auf den Kapitalismus, den Faschismus, die Herrschenden, Wut auf eine Hand voll Menschen, die unter miserablen Bedingungen lebt und es nicht einmal bemerkt, extreme Wut auf jene, die keine Wut empfinden. Die Menschen in diesem Land müssten furchtbar wütend sein, denke ich. Ich glaube nicht, dass die da oben sich auch nur eine Minute halten könnten, wenn nicht jeder Kopf, der sich nach draußen wagt, niedergeknüppelt würde. In den Gesprächen, die ich in Istanbul mit Taxifahrern führte, stellte sich heraus, dass sie alle davon träumten, die Parlamentarier umzubringen. Es war ja nicht so, dass ich für das Buch extra Wut hätte produzieren müssen, ich habe schlicht die vorhandene beim Schreiben ästhetisiert.
Ihr Roman handelt von Irren, Dichtern und Aufbegehrenden. Worauf haben Sie bei der Wahl der Charaktere vor allem geachtet?
Manche Schriftsteller können, wenn sie ein Buch zu schreiben beginnen, schon sein Ende absehen. Bei mir spielte in der Zeit, da ich an »Zorn« geschrieben habe, das Unterbewusstsein eine große Rolle. Ich ließ dem Schreiben freien Lauf und erlaubte ihm, mich mitzureißen. Die Charaktere haben sich beim Schreiben herauskristallisiert. Ich habe nicht geplant, von Dichtern oder Verrückten zu schreiben. Wenn eines klar war, dann dies: Ich wollte von revolutionären Linken schreiben. Bevor ich mich an den Roman setzte, schrieb ich Gedichte – ohne viel Erfolg. Die Figur des Dichters könnte aus dieser Zeit stammen.
Sie wurden oft nach dem Titel des Buches gefragt, der auf Kurdisch Rache bedeutet. Warum ausgerechnet dieser Titel?
Die meisten Leser staunen in der Tat über diesen Titel. Manche halten es für eine Verkaufsstrategie. Die Fahne der Aufklärung halten heute in der Türkei die Kurden hoch, und sie sind es auch, die am meisten lesen. Hinter dem Buchtitel steckt folgende Geschichte: Ich war auf der Suche nach einem Titel. Das Buch hieß bis dahin »Furcht vor Barbarei«, das war ein schlechter Titel, und er gefiel mir auch nicht. In der Zeitungsredaktion war unter den Kollegen auch ein Zaza-Kurde. Ihn fragte ich, was Rache denn auf Kurdisch heißt, und er sagte: »Tol.« Ich hörte das Wort und wusste, ja, das ist es. Das Buch setzt sich ja insbesondere mit dem Schicksal der Kurden auseinander. Der Fanatismus, die Härte des Wortes stimmen. Auch wäre es wunderbar, wenn eine Geschichte der Rache der letzten zwanzig Jahre einen kurdischen Titel hätte. Wenn von der Rache der vergangenen zwanzig Jahre die Rede ist, sollte es in der Sprache der Menschen mit dem größten Leid sein.
Das Buch erzählt von einer Reise nach Diyarbakir. Warum haben Sie dieses Motiv gewählt?
Als ich überlegte, dass eine Bahnreise sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen solle und wie sein Rückgrat, musste dies vor allem eine lange Reise sein. Das Buch erzählt von Revolutionären, und wenn der Zug nicht nach Diyarbakir fahren soll, ja wohin denn dann? Ich habe nicht einen Augenblick lang überlegt, wohin die Reise gehen sollte. Dieser Zug musste ganz einfach in Istanbul abfahren und sich auf den Weg nach Diyarbakir machen. Ich besorgte mir eine Karte vom Schienennetz und sah mir die Stationen an. Zuerst wollte ich die Namen der Stationen nennen, ließ es dann aber bleiben. Meines Erachtens ist nicht Ankara die Hauptstadt dieses Landes. Es gibt zwei Hauptstädte: die eine mit ihrem historischen Reichtum ist Istanbul, die andere Diyarbakir. Ich wollte also, dass es eine Bahnreise von Hauptstadt zu Hauptstadt wird.
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren.
Erschienen in der Zeitung »Yeniden Özgür Gündem« (22. März 2003)
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe.