Nach dem Ende des »Opiumkrieges« 1842 sahen die Friedensverhandlungen die Rückgabe der Halbinsel Kowloon an China vor, mit Ausnahme eines kleinen bewohnten Teils von zirka 2,6 Hektar, der 1898 ummauert wurde. China beanspruchte politische Souveränität für diesen Teil, die die Briten allerdings nicht anerkannten, weil Kowloon zum Territorium Hongkong gehörte. Die unklaren und politisch sensiblen Verhältnisse schufen einen de facto rechtlosen Raum, der seinen Bewohnern schöne Entfaltungsmöglichkeiten bot: Die Ummauerte Stadt galt bald als Laster- und Opiumhöhle, Spielhölle und Vergnügungsviertel. Die ursprüngliche Ummauerung wurde 1943 abgerissen, um auf die ungeheure Bevölkerungsdichte – schon damals die höchste der Welt – zu reagieren.
Als 1949 die Volksrepublik China gegründet wurde, ließ sich noch zusätzlich eine große Anzahl Emigranten hier nieder. Die Walled City wuchs nach oben. Zwischen drei- und fünfhundert Hochhäuser, jeweils zwischen zehn und vierzehn Stockwerken hoch, standen eng gedrängt aneinander. Die Abstände zwischen den schnell und billig hingestellten Betonklötzen betrugen teilweise nicht einmal einen Meter. Ungefähr fünfzigtausend Menschen lebten hier, dazu kamen rund tausend »Sweatshops«, Fabriken, in denen billige Exportgüter zu Niedriglöhnen hergestellt wurden.
Unter diesen Verhältnissen blühte natürlich jede Art von Illegalität, Schwarzmarkt und sozialen Elends. Aber nicht nur: So hatte die Walled City zum Beispiel 87 Zahn- und 63 Allgemeinärzte, die in der Regel während der Schönwetterperiode zwischen Moskau und Peking in der Sowjetunion ausgebildet worden waren und während Maos Kulturrevolution die Volksrepublik China verlassen mussten. Für die Kronkolonie selbst waren ihre Lizenzen nicht gültig, also konnten sie nur in Kowloon praktizieren, was der dortigen Bevölkerung zugute kam. Eine Gestalt wie der Weise Wong San-bor ist für die Walled City eine absolut plausible Erscheinung.
Als Temutma von den städtischen Kanalarbeitern geweckt wird, steckt das ganze Biotop Walled City tief in der finalen Krise. Walled City wurde seit 1991/92 regelrecht »entmietet« – man versuchte, die Bevölkerung ganz einfach »umzusetzen« –, und schließlich 1993 total abgerissen. Da, wo vielleicht auch Temutma ruht, ist jetzt ein schöner, »authentisch« chinesischer Park zu besichtigen.