Was war das für eine lange, seltsame Reise. Fast dreißig Jahre sind vergangen, seitdem Roger L. Simon begann, schadenfroh mit einem Stöckchen in dem weichen, weißen Unterbauch der Mythen der Endsechziger rumzustochern, als er Moses Wine einführte, seinen zynischen Los-Angeles-Hippie-Schlaumeier, in dem klassischen Roman Das Geschäft mit der Macht (1973). Für ein Land, in dem immer noch diese verdrießliche Dekade und ihr Niederschlag herumschwirren, war es ein beherzter Schritt, ein wahrer Schlag ins Gesicht, der zeigte, dass sich die Zeiten keineswegs so sehr oder notwendigerweise auf die Art und Weise verändert hatten, wie es sich jedermann vorstellte. Oder hoffte.
Nun kommt Moses in Die Baumkrieger zurück, die siebte Folge in dieser Langzeit-Serie. Obwohl zunächst als Hardcover 1997 veröffentlicht, wurde es durch den vorherigen Verleger »ohne viel Aufhebens auf den Müll geworfen«, wie Simon im Vorwort der neuen Paperback-Ausgabe des ibook-Verlages erklärt.
Aber Moses ist ein Überlebenskünstler. Obwohl er eine Midlife-Crisis nach der anderen durchmacht, trägt er sein Herz – und seine Ideale – immer noch auf der Zunge. Trotz seines hart erworbenen Zynismus hat er den Glauben nicht verloren.
Wie seine Brüder und Schwestern aus den Sechzigerjahren, hat Moses einige Veränderungen durchgemacht: Heirat, Kinder, Scheidung und Desillusion. Oh – und Schuldgefühle. Wenn es eins gibt, von dem dieser ehemals kiffende und Jeans tragende »Detektiv des Volkes« eine ganze Menge hat, dann sind das Schuldgefühle. Er mag nun gut gekleidet sein und an seinem Chardonnay nippen, eine Luxuskisten fahrende große Nummer sein mit seiner eigenen kleinen, aber lukrativen Detektei mit einem »halben Dutzend Angestellter« – doch er ist immer noch aufrecht genug, um zuzugeben, dass er »jene Art von gutbürgerlichem Leben lebt, das er einst verachtete«. Einige seiner Weggefährten haben sich mit der großen Ernüchterung abgefunden, nicht aber Moses. Auf seine eigene Weise hat er dagegen gekämpft (und kämpft immer noch) auf jedem Schritt seines Weges. Wenngleich nicht immer mit Erfolg - und genau dort kommen seine wirklichen Schuldgefühle ins Spiel. Und verdammt, wenn sich diese Schuldgefühle nicht auf der ersten Seite von Die Baumkrieger aufbäumen und ihm einen Tiefschlag versetzen. Ein »Weckruf aus der Hölle« (tatsächlich vom Los Angeles Police Departement) informiert Moses darüber, dass sein zwanzig Jahre alter Sohn Simon – scheinbar ein friedfertiger, unpolitischer Kunststudent, sicher untergebracht an einer Universität in Oakland – von der Allied Lumber Company des Mordes an einem Holzfäller angeklagt ist. Ohne das Wissen seines Vaters hatte sich Simon offenbar mit den »Hütern des Planeten« zusammengetan, einer radikalen Umweltgruppe, die Redwoods in einer umstrittenen nordkalifornischen Holzfällergegend mit Metallbolzen bestückt, in der Hoffnung, die Bäume so vor ihrer Zerstörung zu bewahren. Das Schicksal will es, dass, als ein unglückseliges Sägeblatt eines Holzf ällers auf einen dieser Metallnägel trifft, die Kettensäge wie ein Bumerang zu ihm zurückfliegt. »Hat den armen Mann praktisch in zwei Hälften geteilt«, wird Moses von dem Spezialagenten Nicholas Bart mitgeteilt, einem wenig freundlichen FBI-Mann, der nicht gerade ein Freund von Umweltschützern ist, und erst recht nicht von Ökoterroristen.
Plötzlich schwimmt Moses, der Vater, in einem Meer von Schuld (was habe ich falsch gemacht?), Ablehnung (warum sollte mein Sohn so etwas tun?), Paranoia (warum hat irgendjemand meinen Sohn dazu verleitet?) und Angst (war er wirklich schuldig?).
Das sind harte Fragen. Aber natürlich hat diese Serie immer auch einen Blick in die Vergangenheit getan – und zwar nicht nur, um familiäre Bindungen zu untersuchen, wie es Ross Macdonald getan hat, sondern auch um die Generationenkonflikte aufzuzeigen zwischen Kindern und ihren Eltern, die Mythen und Lügen, die von der einen zur anderen Generation übertragen werden beim Versuch, das eigene Verhalten zu erklären und zu rechtfertigen. Und so wie die Herkunft nicht verleugnet werden kann, so tauchen alte Vorurteile wieder auf, um neuen Ärger in neuen Zeiten zu bereiten. Moses knietiefes Misstrauen gegenüber dem FBI z. B. hängt nicht nur damit zusammen, dass ihn Agent Bart feindselig abqualifiziert als »ein Arschloch von einem Altachtundsechziger, der jeden ans Kreuz nageln würde, nur um den eigenen Jungen aus der Scheiße zu ziehen.«
Moses ist zweifelsohne willens, außergewöhnliche Maßnahmen zur Rettung seines Sohnes zu ergreifen. Nachdem er sich wieder mit seiner sarkastischen Exfrau zusammenrauft, in dem (zumindest zeitweisen) Einvernehmen, alte Ehestreitigkeiten zu begraben, fährt das Paar gen Norden, um den Sohn zu finden – bevor ihn das FBI erwischt. Aber in der kleinen Küsten- und Holzfällerstadt Humboldt werden sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Die Stadt, die ohnehin in zwei Lager geteilt ist – einerseits die »Baumknutscher«, auf der anderen Seite diejenigen, die vom großen Wald leben müssen –, wird durch die letzte Tragödie noch tiefer gespalten, und Moses und Suzanne sind immerhin die Eltern eines angeklagten Mörders. Nicht genug, dass die Eltern keinen blassen Schimmer haben, wo sich ihr Sohn aufhält. Sie müssen auch die Verdächtigungen der Einwohner von Humboldt aushalten und der unerwünschten Aufmerksamkeit der lokalen und der staatlichen Polizei entrinnen, den Terroristenjägern des FBI und einer obskuren, aber gut bewaffneten Wachtruppe, der »California Forest Protection«, welche behauptet, als private Sicherheitsfirma die Interessen der Holzfäller zu vertreten.
Während das seltsame Paar auf den kurvigen Highways zwischen riesigen Redwoods und Douglas-Tannen die Gegend absucht, um seinen Sohn zu finden, bevor das Gesetz es tut, schleicht sich die »Make love not war«-Ära wie ein ungebetener Gast ein. Mitreisende sowie alte Überlebende und Gelegenheitsbekanntschaften tauchen auf: Daniel Springer, ein ehemals aufstrebender Silicon-Valley-Journalist, der ausstieg, um die Humboldt-Zeitung herauszugeben, die die örtliche Gerüchteküche mit alternativen Pressemeldungen vermischt. Ein vormaliger Holzbaron, der seine Karriere aufgegeben hat, um seinem Weingut zu widmen. Springers Assistentin, Samantha Backus, eine idealistische junge Reporterin, die ihre eigenen Wege geht; und die schwer einzuordnende Claire Hannin, eine ehemals Radikale, die seit einer verdächtigen, aber lange zurückliegenden Autobombe auf der Flucht ist. Ebenfalls in Erscheinung tritt der frühere beste Freund von Moses, Gabriel Levine, der sich vom Drehbuchschreiber zum kommerziellen Dope-Züchter gewandelt hat, und der dem Detektiv damals die Frau abspenstig gemacht hat. Kein Wunder, dass sich Moses auf Nordkalifornien als das »Sibirien der Sechziger« bezieht.
Ich bin sicher, dass es eine Menge Leute gibt, die das alles sehr schnell abtun werden, um Moses (und den Autor Simon) zu bezichtigen, sie würden in Nostalgie für eine verflossene Ära versinken und Generationennabelschau betreiben. Aber Simon ist zu gescheit und zu ehrlich (und oft auch zu witzig), um es Lesern so leicht zu machen. Die Grenzen zwischen »uns« und »ihnen« waren in dieser Serie nie so verwischt wie sie es in The Lost Coast sind, und beide Seiten kriegen ihr Fett weg. Beachten Sie diesen Ausschnitt von Moses' Seelensuche:
»Ich redete mir schon immer ein, mich frei und offen mit meinen Söhnen unterhalten zu können. Bei uns sollte es nicht sein wie bei früheren Generationen, wo Abgründe strenger Traditionen eine unüberbrückbare Kluft schufen. Wir wären Freunde, und gleichzeitig könnte ich immer noch ihr Vater sein, je nach Situation Ratschläge geben oder Pflaster verteilen. Warum also war es so weit gekommen? Warum diese extreme Übertreibung all dessen, wofür ich stand – oder, schlimmer noch, dessen absolute Zurückweisung? Warum schien es mit einem Mal als sei meinen Lenden ein völlig fremder Mensch entsprungen? Brauchte jede Generation ihre eigene Rebellion? Hatten wir ... hatte ich ... sie in eine Ecke gedrängt und ihnen keinen Spielraum gelassen, sich anders und eigenständig zu entwickeln, indem ich stets beifällig im Hintergrund stand, als sie sich ihr erstes Kondom kauften oder ihren ersten Joint rauchten? War diese angeblich so offene Kommunikation in Wahrheit nichts anderes als eine bequeme, sich selbst viel zu wichtig machende Lüge, die ich mir und ihnen erzählte? Waren tiefere Kräfte, älter als Abraham und Isaak und so unveränderlich wie unsere DNA, die ganze Zeit am Werk und meldeten sich nun zurück, um mich zu quälen?«
Der Autor Simon verdient großes Lob dafür, dass er die Dinge nicht vereinfacht oder allzu glatte Beweggründe anführt - obwohl die Verführungskraft groß sein muss. Wie eine Figur Moses versichert: »Das Leben ist kein Oliver-Stone-Film, Mr. Wine. Leider ist es in Wirklichkeit meistens ziemlich genau so, wies auf den ersten Blick aussieht.« Moses selbst gibt reuevoll zu, »... das wirklich Ärgerliche an Alltagsweisheiten ist, dass sie häufig zutreffen. Ich habe mein ganzes Leben dagegen rebelliert – mir erschienen sie immer wie eine Schachtel, die meine Freiheit einengte –, aber am Ende musste ich doch meistens klein beigeben.«
Wie auch immer – Moses Wine gibt trotz seines Zynismus nicht einfach auf. Trotz aller Hindernisse existiert die Wahrheit vielleicht tatsächlich. Und es sind die unermüdliche Suche des Privatdetektivs nach ihr, kombiniert mit dem nicht ganz so blinden Glauben an seinen Sohn und seinem Festhalten an Idealen, die andere schon vor langer Zeit als unbequem und unmodisch abgelegt haben, die ihn vor allem zu einem Helden machen.
Unglücklicherweise verfällt Moses einer alten Detektivgeschichten-Tradition, die weiter als die Sechzigerjahre zurückgeht: die nervende, aber offenbar nötige Traumsequenz, die dazu dient, den Leser in die Gedanken und Ängste des Detektivs einzuführen. Diese übernatürlichen Vorahnungen sind unangebracht. Moses ist kein Hippie-Luftikus, sein Idealismus wurde immer von der unbeirrbaren Anerkennung der Sinne und seiner sowie der anderen Schwäche abgemildert. Wenn seine Exfrau ihm vorwirft, er sei einmal nur deshalb in eine politische Organisation eingetreten, weil er einem Mädchen an die Wäsche wollte, so gibt er – wenn auch mit Bedauern –zu, dass dies der Wahrheit entspricht.
Es ist diese Art von schonungsloser Ehrlichkeit und wildem Humor, der Wille, die Vergangenheit gleichzeitig zu umarmen und herabzuwürdigen, die einen in der Moses-Wine-Serie gefangen hält. Bei all seiner unerschütterlich Selbstreflexion, seiner vor nichts zurückschreckenden Ehrlichkeit und seiner Desillusionierung, glaubt der Privatdetektiv doch immer noch, dass es Dinge gibt, für die es zu kämpfen lohnt. Er mag nicht immer daran glauben, aber tief drin hält sich Moses immer noch an solch antiquierte Werte wie Friede, Liebe und Verständnis.
Wie auch immer die etwas kurvige Veröffentlichungsgeschichte von Die Baumkrieger aussehen mag, dies ist ein beachtenswerter Roman, couragiert genug nicht nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern ohne Zwinkern in den Spiegeln zu schauen. Es ist eine Schande, dass die immer gescheite und oft provokative Serie mit Moses Wine aus der Mode gekommen zu sein scheint, denn es ist eine der wenigen, die es gewagt hat, nicht nur das Leben eines Mannes, sondern einer ganzen Generation nachzuzeichnen. Das Geschäft mit der Macht – The Big Fix (der Titel war eine deutliche Anspielung auf Raymond Chandlers The Big Sleep), hat zur Zeit seiner Erstveröffentlichung einen gehörigen Eindruck hinterlassen und sich die Lobpreisung solch verschiedener Quellen wie des Rolling-Stone-Magazines und Ross Macdonalds verdient, der ihn den »brillantesten neuen Autor von Privatdetektivgeschichten seit Jahren« genannt hatte. Die folgenden Bücher der Serie setzten Moses' Angriff auf das gähnende Loch zwischen Ideal und Realität dieser Generation fort. Sie behandelten die sexuelle Revolution (Hecht unter Haien), Kommunismus und die nordamerikanische Linke (Die Peking-Ente, in der wir Moses und seine geliebte Tante Sonya in der Tat nach China reisen sehen), die Yuppifizierung der Woodstock-Generation (Kurzschluss im Silicon Valley), Therapie- und Improvisationskomödie (Schwarzer Schnee) und religiöser Fanatismus und Terrorismus (Auferstanden von den Toten), das in Jerusalem spielt. Hier gibt es richtig guten Humor und manchmal ein bisschen Schmerz. Vielleicht ist es das, was die schwindende kommerzielle Nachfrage erklären kann. Simon hat nie den einfachen Weg gewählt, ist nie Kompromisse eingegangen bei der bisweilen unangenehmen Ehrlichkeit, mit der Moses auf seine Generation geblickt hat. Seine Charaktere waren immer wirkliche Menschen, mit wirklichen Beweggründen, wirklichen Fehlern und wirklichen Tugenden. Aber sein Zugriff ist nicht gerade das, was man heute liest, wenn die Sechziger bereits beginnen, zerpflückt, entstellt und abgetan zu werden, wie ein harmloser Comic aus der Vergangenheit, ausschließlich von langhaarigen Possenreißern und bekifften Clowns bevölkert. Glück für uns, dass Moses da gewesen ist und gelebt hat, um uns die Geschichte seiner Leute zu erzählen, mit verschlagenem Witz und – wie Chandler es einmal sagte »mit Ekel vor Heuchelei und Verachtung für Kleinlichkeit«.
Dass diese jämmerlich unterbewertete Serie gerade etwas von ihrem längst verdientem Respekt bekommt, ist eine gute Nachricht für alle Fans von Detektivgeschichten. Und mal ehrlich, was ist eigentlich so komisch an Frieden, Liebe und Verständigung?
January Magazine, Mai 2000
Kevin Burton Smith ist Erfinder und Herausgeber der »Thrilling Detective Web Site«, die der Anerkennung von fiktionalen Detektiven gewidmet ist - hartgesotten oder nicht - in Literatur, Film, Fernsehen und anderen Medien. Er lebt in Montreal, klemmt zwischen den Baby-Boomern und der Generation X.