Jizchak Kummer ist ein hochrangiger Offizier des israelischen Inlandsgeheimdienstes, übergewichtig, mit Brille und einer Narbe hinter dem Ohr. Er ist zum Islam übergetreten und von seinem letzten Einsatzort Gaza nicht abgemeldet verschwunden, nachdem ihm Ismail, ein palästinensischer Häftling und wichtiger Informant, entwischt ist. Ismail war in terroristische Anschläge in Israel verwickelt. Die beiden verbindet eine gemeinsame Vergangenheit – vielleicht hat der Palästinenser mit Jizchak Kummer zusammengearbeitet, oder Jizchak Kummer mit den Palästinensern. Der Roman beschreibt mittels dieser Ambivalenz die Auflösung von Jizchak Kummers innerem Selbst, eine Ambivalenz, die durch das Umfeld von Spionage und Untergrund noch verstärkt wird.
Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass Jizchak zusammen mit Ismail aufwuchs. Später, während seines Dienstes im besetzten Gazastreifen, versuchte er vergeblich, Ismail zu fassen. Stattdessen verhaftete er Ismails Frau und sperrte sie in eine Zelle. Ihr kleiner Sohn, Yazid, lief von zu Hause weg, um seinen Vater Ismail zu suchen oder vielleicht auch, um dem geheimnisvollen Mahdi zu folgen, der den »Kinderkreuzzug« organisierte, der die Kinder aus den palästinensischen Flüchtlingslagern der Nachbarländer nach Israel zurückbringen sollte. Gemäß dem Erzähler scheint dies der Grund zu sein, weshalb der Staat Israel den Libanonkrieg beginnt, einen Krieg, den Jizchak Kummer aus der Ferne beobachtet, von einer kleinen Stadt aus, wo er sich versteckt als Lehrer für Literatur (und meistens Nietzsche zitiert) und mit dem Hausmeister der Schule diskutiert, der vorwiegend aus marxistische Autoren zitiert (Walter Benjamin?). Der Krieg dauert mehrere Jahre. Die Jungen müssen nach Ende der Schulzeit in den Krieg. Jizchak versucht sie davon abzuhalten.
Schlussendlich verhaftet die Polizei den Hausmeister. Er wird wegen Terroranschlägen angeklagt und verurteilt. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Ungewissheit im Bericht des Erzählers der Geschehnisse nicht der Gewissheit widerspricht, mit der diese Begebenheiten im Laufe der Erzählung geschehen. Einerseits spürt Kummer Ismail auf. Andererseits verschwindet er selbst, weil er seinen Bruder nicht fassen und ausliefern will. Beide verschwinden sie: der eine im Gefängnis, der andere, indem er sein eigenes Bewusstsein auslöscht. Der Geheimdienst bestreitet, dass es in seinen eigenen Reihen einen Verräter gibt oder dass ein Mann namens Jizchak Kummer überhaupt existiert. Die Zeitung, die die Affäre aufdeckt, veröffentlicht sie nicht. Gab es wirklich einen Mann, der seine eigene Erinnerung ausgelöscht hat? Möglich – aber der Preis dafür ist die Auslöschung des eigenen Selbst.
Der Roman hat sechs Kapitel:
1.
»Je-ru-sa-lem, Je-ru-sa-lem« beschreibt die Massenbewegung für den Krieg im Libanon. Vier Panzer haben sich auf dem Weg in den Libanon verirrt und bleiben mitten in Tel Aviv stecken. Sie werden aufgehalten von Jizchak Kummer, der zur Universität von Tel Aviv zu gelangen versucht, um dort einen Reserveobersten zu treffen. Kummer drängt den Offizier, ihm zu helfen, aus Tel Aviv an einen Ort zu fliehen, der fernab vom Kriegsgeschehen liegt. Hier beginnt sich bereits das Netz von Möglichkeiten zu spinnen, das sich durch den ganzen Roman hindurchzieht: Was ein zufälliges Treffen zu sein scheint, entpuppt sich als Begegnung mit einem alten Bekannten. Der Reserveoberst ist Geologieprofessor, die beiden Männer dienten zusammen in Gaza, und nach und nach erfahren wir, dass die Frau des Professors/Obersten einst verliebt war in den Protagonisten Kummer. Über den Protagonisten wissen wir nur, dass er stottert, dass er eine Narbe im Nacken hat, und dass er harsche Kritik am Krieg übt, der eben erst begonnen hat.
2.
»Konfetti« beschreibt Jizchak Kummers Laufbahn als Lehrer. Was wissen wir jetzt über ihn? Nicht viel mehr. Dass er stottert, dass er eine Narbe im Nacken hat, dass das Haus, zu dem er im ersten Kapitel gebracht wurde, wahrscheinlich das Haus seiner Großmutter ist und dass sie kaum miteinander sprechen. Handelt es sich bei Kummers Arbeit als Lehrer um eine Tarnung? Entflieht er dem Geheimdienst? Ist er im Dienst? (Wann ist er eigentlich nicht im Dienst?) Kummer versucht seinen Schülern beizubringen, jeden Aufsatz, den sie schreiben, zu zerreißen. Je mehr sie sich mit ihren Aufsätzen identifizieren, desto eher müssen sie sie zerreißen.
3.
»Die Affäre Schibboleth«, benannt nach einem Gedicht von Paul Celan, das in diesem Kapitel zitiert wird, beschreibt eine Nacht auf einer Polizeiwache auf dem Land. Kummer wird verhaftet, weil er es versäumt hat, einen Einbruch in sein Haus zu melden. Es ist aber auch möglich, dass er auf die Wache gekommen ist, um den Mann zu finden, den er schon so lange sucht. Er verbringt die Nacht mit anderen Häftlingen, die die ganze Zeit miteinander sprechen, ohne sich zu sehen, indem sie von einer Zelle zur andern rufen. Im Zentrum der Gespräche steht Kummers Zellengenosse: ein alter Mann, der in vielem an den biblischen Patriarchen Abraham erinnert. Er beansprucht, der Vater aller anderen Häftlinge zu sein. Sie wollen ihn alle umbringen, wie er behauptet, sind aber zu feige. Am nächsten Morgen versucht ein Polizist, die jüdischen Häftlinge von den arabischen zu trennen, um die Juden in den Krieg im Libanon zu schicken und die Araber im Gefängnis zu lassen. Er befiehlt ihnen, die Hosen auszuziehen, um die beschnittenen Männer von den unbeschnittenen zu unterscheiden. Natürlich ist der Versuch zwecklos, weil sie alle beschnitten sind. Die Juden im Gefängnis versuchen sogar, sich als Araber auszugeben, um nicht in den Krieg zu müssen.
4.
In »Efraim kehrt zurück zur Armee« geht Kummer nach seiner kurzen Laufbahn als Lehrer in die Stadt zurück. Er versucht, seinen Schwager Efraim zu finden, einen Oberbefehlshaber bei den Fallschirmjägern. Kummer erfährt, dass sich Efraim einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, zumindest gibt er sich als Frau aus. Er ist eine schöne Frau.
5.
»Der Mahdi Muhammad Bashi Utrak« schildert Kummers Vergangenheit im Gazastreifen. Ismails drei Kinder und ihre Beziehungen mit den Bewohnern des Flüchtlingslagers, in dem sie leben, werden beschrieben. Ebenfalls wird vom Verhör von Ismails Frau berichtet, von ihrer Furcht vor den revolutionären Aktivitäten ihres Mannes, von ihrer Einsamkeit.
6.
Das sechste und letzte Kapitel »Ich denke DICH, ich benenne DICH, aber ich kenne DICH nicht« konzentriert sich auf Nissim, den Hausmeister der Schule, der sich tief im seinem Innersten nach seinen Tagen mit Che Guevara sehnt, irgendwo zwischen Tansania und dem Kongo 1965. Nissim ist der ewige Außenseiter. Ist er Ismail? Möglich. Der Geheimdienst glaubt es jedenfalls. Hat Kummer ihn gefasst? Nissim glaubt es. Aber Nissim sitzt da, in der kleinen, verregneten Stadt, in die Kummer jetzt zurückkehrt, zu seiner Großmutter und zu seinen Schülern, die während des Krieges erwachsen geworden sind, um sie zum Fluss zu bringen (Ist er der Rattenfänger von Hameln? Nein. Er will sie zu einem Ort führen, wo Eichen und Birken wachsen.) und sie vor dem Krieg zu bewahren. Kummer verschwindet. Nissim kommt ins Gefängnis. Die Menschen sollten sich vor der Bewunderung für die Helden hüten. Der letzte Satz des Buches lautet: »Vielleicht existieren um jede Familie aus nur zwei oder drei Personen noch mehr Menschen, die auf sie Acht geben und sie lieben, denn schließlich trennt zwischen dem Leben und dem Nichts nur ein dünnes Häutchen, und den pulsierenden Körper gilt es zu schützen wie einen zarten Säugling, wie eine Vene.«
Kummers Identität (er ist benannt nach dem zentralen Protagonisten der modernen hebräischen Literatur in Samuel Josef Agnons Roman Gestern, vorgestern, 1945, aber das ist für das Verständnis des Romans nicht entscheidend) löst sich auf vor dem Hintergrund eines allgemeinen Zerfalls. Im Roman gibt es jedoch noch viele weitere Figuren. Gelegentlich bemerkt der Autor zu diesen Figuren, dass »über ihn/sie ein eigener Roman hätte geschrieben werden können«. Wir machen die Bekanntschaft einer Mutter, deren Sohn Gadi seit Jahren vermisst wird. Sie lässt sein Zimmer vollkommen unverändert, selbst dann, als sie mit ihrem Mann in eine neue Wohnung umzieht. Täglich geht sie in die alte Wohnung zurück, um zu schauen, ob ihr Gadi vielleicht endlich zurückgekehrt sei. Wir machen die Bekanntschaft einer Biologielehrerin, die für ihren alten Vater sorgt und ihn jeden Abend ins Bett bringt. Er vermisst seinen Sohn, der vor Jahren an der syrischen Grenze getötet wurde.
Wir werden den »drei Eltern« eines Soldaten vorgestellt, der im Libanon schwer verwundet wurde: seinem Vater, seiner Mutter und einem »guten Freund« (möglicherweise sein richtiger Vater), Willi. Zusammen verhindern die drei, dass die Ärzte die Maschinen abstellen, die ihn am Leben erhalten, und gemeinsam bringen sie ihn nach Hause (wie eine »Pflanze«) und feiern seinen Geburtstag zusammen mit den Einwohnern der Stadt. Wir lesen von einem Polizisten, dessen Vorgesetzter hinter einer Frau her ist, ohne zu wissen, dass sie die Frau seines Untergebenen ist. Der Polizist weiß nicht, ob die Romanze, die seine Frau mit seinem Vorgesetzten hat, Tatsache ist, oder, in anderen Worten, wer kennt die ganze Wahrheit, er, seine Frau oder sein Chef? Wer kennt die ganze Wahrheit?