Als ich gebeten wurde, das Nachwort zu diesem Buch von Rubem Fonseca zu schreiben, habe ich das als große Ehre empfunden. Seit ich im Alter von fünfzehn Jahren seinen ersten Roman, O caso Morel, gelesen habe, hat mich der Gedanke, Schriftstellerin zu werden, nie wieder losgelassen.
Ich erinnere mich daran, daß Chico Buarque de Hollanda, einer der hervorragendsten brasilianischen Komponisten, anläßlich der Veröffentlichung seines ersten Buches von einem Journalisten gefragt wurde, ob er von Rubem Fonseca beeinflußt sei. Chicos treffende Antwort lautete: »Gibt es denn irgendeinen brasilianischen Autor, der das nicht ist?«
Damit hat Chico alles gesagt. Kein Schriftsteller meiner Generation, noch der vorangehenden, ist Rubem Fonseca nicht in irgendeiner Weise Tribut schuldig.
Obwohl wir in Brasilien bereits in den sechziger Jahren eine ausgeprägte urbane Kultur besaßen, war unsere Literatur bis dahin in erster Linie eine Regionalliteratur. Zur Illustration dessen sei hier nur eine der wichtigsten Publikationen jener Zeit, der Roman Grande Sertão, Veredas von Guimarães Rosa, erwähnt.
Rubem Fonseca hat dazu beigetragen, mit dieser Tradition zu brechen, und er ist damit der Begründer einer urbanen Schule, die unserer Prosa ein Universum von Möglichkeiten eröffnet hat. Die Stadt, wie wir sie heute kennen, mit ihrem Reiz und ihrer Perversität, wurde in seinen Büchern auf eine zuvor nie dagewesene Weise dargestellt, die sich von dem blassen ätherischen Bild der Stadt bei Machado de Assis stark unterscheidet.
Was in der Wirklichkeit schrecklich ist, sagt Aristoteles irgendwo in seiner Poetik, kann in der Kunst bezaubern. Genau das hat Rubem getan, indem er Einsame, Mörder, Arbeiter, gewöhnliche Leute und verrückte Millionäre, Prostituierte und Hausfrauen, eben all die Geschöpfe der Stadt mit ihren Ängsten und ihren pathologischen Zügen, ihren Frustrationen und ihren Wünschen, zu den Figuren seiner Prosa gemacht hat. Seine Themen und sein Stil haben so nachhaltigen Einfluß ausgeübt, daß Rubem Fonseca seither als der Erfinder des »brutalen« Stils gilt.
Es liegt etwas Prophetisches in seiner Literatur. Sein Buch Feliz ano novo aus dem Jahr 1975, in dem er in der gleichnamigen Erzählung beschreibt, wie eine Gruppe von Outlaws während der Silvesterparty eine Villa überfällt, wurde wegen seiner Brutalität und Obszönität von der Regierung verboten.
O cobrador (Der Abkassierer), eine Erzählung aus dem Jahr 1979, in dem die Geschichte eines jungen Mannes aus armen Verhältnissen erzählt wird, der durch die Straßen läuft und all das einfordert, was die Gesellschaft ihm vorenthält - Geld, Bildung, Fleisch, Blondinen, Autos und so fort -, wurde wegen seiner für unglaubhaft befundenen Darstellung der Gewalt kritisiert. Vierzig Jahre später ist ebendiese Gewalt zum Standardbild in unseren Zeitungen geworden.
Doch Rubem ist nicht nur im Hinblick auf seine Thematik ein Erneuerer. Mit seiner ganz eigenen Art, Elemente der Popkultur mit gehobener Sprache zu vermischen, mit seinem schwindelerregenden Erzählduktus und seiner nüchternen Sprache fesselt Rubem den Leser und versetzt ihn in eine perverse und grausame Welt, die dennoch voller Mitgefühl und Menschenliebe ist.
Der Roman Bufo & Spallanzani ist vielleicht sein humorvollstes Werk. In ihm werden die Experimente des berühmten Wissenschaftlers Bufo Spallanzani aus dem neunzehnten Jahrhundert von dem Schriftsteller Gustavio Flávio (eine Hommage an Flaubert) aufgegriffen, der in die Peripetien eines mysteriösen Affektmordes verwickelt wird. Den Rest darf ich nicht erzählen. Schließlich möchte ich dem Leser nicht den Spaß an einem der wichtigsten Romane der modernen brasilianischen Literatur verderben.
Januar 2003
Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita