Strand Magazine: Erzählen Sie uns, wie alles angefangen hat. Wie haben die Geschichten um Inspector Morse begonnen?
Colin Dexter: Ich war mit meiner Familie im Urlaub, im August, wie immer. Dieser August war wie üblich ziemlich verregnet, und wir wohnten in einem Ferienhaus. Gibt es etwas Schlimmeres als bei Regen in einem Ferienhaus festzusitzen? Alle wollten nach Hause, wir hatten den Regen gründlich satt. Ich hatte gerade einen Krimi ausgelesen, den ich im Haus gefunden hatte. Ich glaubte zwar nicht, dass ich einen besseren Krimi schreiben könnte, aber vielleicht einen genauso guten. Also ging ich in die Küche, schloss die Tür hinter mir und begann zu schreiben. Und nach dem ersten Absatz, nach der ersten Seite, nahmen mein Ideen langsam Gestalt an. Das muss 1972 oder 1973 gewesen sein. Im Studium hatte ich gelernt: Initium est dimidium facti – Gut begonnen ist halb gewonnen. Einen Text sollte man nicht mit der Erwartung beginnen, den besten ersten Satz aller Zeiten zu schreiben. Ich dachte immer, ich würde den fürchterlichsten ersten Satz aller Zeiten schreiben. Aber auch das ist immerhin ein Anfang! Dann hat man schon mal was Fürchterliches geschrieben. Beim zweiten Lesen ist es meist gar nicht so schlimm. Man schubst die Wörter ein bisschen hin und her, buchstabiert die schwierigen dieses Mal richtig, setzt ein paar Punkte – und schon läuft es. Für mich war der Anfang immer die größte Hürde. Ein Wort zustande kriegen, irgendein Wort. Sobald ich das erste Wort zu Papier gebracht hatte, lief es wie von selbst.
Folgen Sie beim Schreiben einem Fahrplan? Sind alle Kapitel bereits von Anfang an durchdacht oder lassen Sie sich von Ihrer Geschichte leiten?
Außer bei einem einzigen Buch wusste ich immer, was passieren würde. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo ich anfangen sollte, aber wo ich hinwollte, stand immer fest. Was im letzten Kapitel passieren würde, war mir klar, aber in der Mitte? Keine Ahnung. Ich bin ein Verfechter des klassischen Kriminalromans. Ich konzentriere mich vor allem darauf, wer den Mord begangen hat, und weniger darauf, warum er es getan hat. Aristoteles sagt, ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Ich halte mich in dieser Hinsicht eher an Philip Larkins Definition eines Ganzen – ein Anfang, ein Wirrwarr und ein Ende. Ich liebe es, von einem Krimi an der Nase herumgeführt zu werden. Wie bei Agatha Christie. Bei ihren Büchern weiß man schon auf der ersten Seite, dass nichts so ist, wie es scheint, dass Sie den Leser überraschen wird. Aber bis zum letzten Kapitel hat man keine Ahnung, wie sie das machen wird. Sie hatte ein unglaubliches Talent dafür, den Leser zu verblüffen. Diese Überraschungen am Ende eines Krimis liebe ich.
Was haben Sie mit Inspector Morse gemeinsam? Die Liebe zur klassischen Musik?
Definitiv. Die Walküre könnte ich in Dauerschleife hören, genau wie der gute alte Morse. Wir beide lieben Wagner. Was ich an Morse am bedeutsamsten finde, ist sein Sinn für das Schöne. Wenn der Allmächtige – so es ihn denn gibt – mir irgendetwas mit auf den Weg gegeben hat, dann ist es der Sinn für die Künste, für Musik und Literatur.
Morse ist großer Fan von Glenfiddich, ein Single Malt Scotch, und von Real Ale. Das bin ich auch. Ich habe immer schon zu gerne getrunken.
Ich bin nicht so schlau wie Morse. Ich wollte eine Figur erschaffen, die außergewöhnlich klug ist. Und der klügste Mann, den ich kenne, ist ein Mann namens Sir Jeremy Morse, ehemals Vorsitzender der Lloyds Bank und Fellow am All Souls College der Universität Oxford. Ein wunderbarer Mann, und ein sehr guter Freund von mir. Ich selbst bin nicht annähernd so klug wie Inspector Morse. Glücklicherweise bin ich auch nicht so gemein wie er, und auch nicht so geizig. Der arme Sergeant Lewis muss mit seinem schlechteren Lohn fast jede Runde im Pub zahlen.
Morse ist den Frauen verfallen, meistens den Bösen. Er ist sehr pessimistisch. Immer geht er davon aus, dass etwas schiefgehen könnte. Ich bin da ähnlich. Wenn ich morgens aufwache, denke ich seltsamerweise sehr häufig, dass etwas Schreckliches passieren wird. Wie bei Pferdewetten – man glaubt immer, dass das eigene Pferd verliert, obwohl man ja vorher darauf gewettet hat, dass es gewinnt.
Warum haben Sie Inspector Morse umgebracht?
Ich habe ihn nicht umgebracht. Er ist eines natürlichen Todes gestorben. Er hat zu viel getrunken, seine Leber war hin, und er hat viel zu viel geraucht, seine Lungen waren in keinem guten Zustand. Außerdem hat er praktisch überhaupt keinen Sport gemacht. Es war abzusehen, dass er nicht sehr alt werden würde.
Agatha Christie hat Poirot am Leben erhalten, bis er über hundert Jahre alt war.
Das stimmt. Aber sie hatte eine Zeit lang die Nase voll von ihm, oder? Sie hat mit Miss Marple und zwei Jüngeren weitergemacht. Von Morse hatte ich nie die Nase voll, aber ich hatte das Gefühl, dass die Luft raus war. Wenn ich zeigen wollte, wie gemein er ist, musste ich noch eine Szene mit ihm und Lewis im Pub schreiben, in der Morse mal wieder feststellt, dass er blöderweise sein Portemonnaie vergessen hat. Das hatte ich alles schon mal erzählt. Ich will mich nicht mit Arthur Conan Doyle vergleichen, aber in dieser Hinsicht ging es mir wie ihm. Er hatte genug gesagt über die Beziehung zwischen Holmes und Watson, also hat er Holmes umgebracht. Naja, dann hat er ihn natürlich wieder auferstehen lassen. Aber ich finde, nach Holmes’ Auferstehung hat Conan Doyle nicht mehr so geschrieben wir vorher. Ich hatte einfach das Gefühl, das ich alt werde, und ich glaube, die wenigsten Schriftsteller werden besser, je älter sie werden. Ich war erschöpft und hatte viel anderes im Kopf. Aber vor allem hatte ich das Gefühl, dass ich keine guten Ideen mehr hatte. Ich bin nicht wie Agatha Christie. Wie viele Krimis hat sie geschrieben? Fünfundachtzig? Eine außergewöhnliche Frau. Ich bewundere ihre Fähigkeit, Handlungen scheinbar intuitiv zu kreieren. In dieser Hinsicht ist sie wohl die größte von uns allen.
Erstmals erschienen in The Strand Magazine.