Als ich den Auftrag bekam, Francisco Coloanes Erzählungsband »Feuerland« zu übersetzen, wußte ich nichts von Francisco Coloane und nichts über Feuerland. Ein halbes Jahr später – die Übersetzung war mit Hilfe allerlei Phantasieanreger wie Bildbänden, Reiseberichten und Gesprächen mit Chilenen zum Abschluß gebracht worden – kannte ich Francisco Coloane schon recht gut, nur persönlich nicht. (Daran arbeite ich aber noch.)
Doch in Feuerland war ich inzwischen gewesen. Die Teilnahme am 1. Lateinamerikanischen Kongreß für Übersetzen und Dolmetschen, der im Herbst 1996 in Buenos Aires stattfand, hatte ich als Sprungbrett für einen kurzen Abstecher zur Tierra del Fuego genutzt. Ich wollte mir doch einen sinnlichen Eindruck vom Ende der Welt verschaffen, um den zweiten Band mit Erzählungen, der unter dem Titel »Kap Hoorn« jetzt vorliegt, noch besser ins Deutsche zu übertragen. Aber was heißt besser.
Nun, was man mit eigenen Augen gesehen, was man gerochen, angefaßt, kurz, sinnlich erfahren hat, wird man in andere, wahrhaftigere Worte fassen als das, was man aus zweiter Hand kennt. Ich weiß nicht, ob ich dem Leser das vermitteln kann; ob der aus eigener Anschauung erlebnishafter gefaßte Text den Leser tiefer berührt. Ich glaube aber, daß das, was zum Beispiel zwischen den Zeilen eines literarischen Textes mitschwingt, wenn man aus eigenem Erleben – oder nach der Begegnung mit dem Autor, seinem sinnlichen Wahrnehmen – schreibt, dem Leser der Übersetzung auf eine Weise zugute kommt, die nicht immer in Worten auszudrücken ist. So wie Literaturübersetzen nicht nur das Übersetzen von Wörtern ist. Die Brücke, die wir Übersetzer von einer Kultur zur anderen schlagen, sollte jedenfalls auf dieses zusätzliche Baumaterial nicht ohne Not verzichten müssen.