Es gibt ein ganz eigenes Fegefeuer der Wertschätzung, das für jene amerikanischen Künstler reserviert ist, die in Europa gefeiert werden, während sie unter der Missachtung in ihrer Heimat leiden. (…) Und diese Ironie erreicht ihren Höhepunkt noch dadurch, dass der relative Erfolg im Ausland all jener, die freiwillig im Exil leben oder zu Hause im Schatten der Vergessenheit arbeiten, ihre Anerkennung in den Vereinigten Staaten offensichtlich nur noch weiter hinausschiebt.
Dies schrieb Luc Sante in dem Artikel An American Abroad (The New York Review of Books, 16. Januar 1992), der Chester Himes’ eigenes Auftauchen aus diesem Fegefeuer anzuzeigen scheint, und zwar zu einem Zeitpunkt, da die meisten seiner Bücher endlich wieder in englischen Ausgaben aufgelegt wurden. Die Geschichte von Himes’ literarischer Karriere ist tatsächlich überreich an ironischen Widersprüchen. Nachdem seinen vielschichtigen realistischen Romanen über die Beziehungen zwischen den Rassen in den Vereinigten Staaten nur ein bescheidener Erfolg beschieden war, ging er nach Frankreich, wo er in verhältnismäßiger Armut und Zurückgezogenheit lebte. Bis Marcel Duhamel, Herausgeber der Krimireihe Série Noire bei Gallimard, ihn überredete, es einmal mit einem Kriminalroman – Schauplatz in Harlem – zu versuchen.
Das Ergebnis, Die Geldmacher von Harlem (For Love of Imabelle), wurde von literarischen Größen wie Jean Cocteau und Jean Giono als Meisterwerk gelobt. Der Roman wurde 1958 mit dem Grand Prix de la Littérature Policière ausgezeichnet, und es war das erste Mal, dass ein nichtfranzösischer Autor diesen angesehenen Preis erhielt.
Im darauffolgenden Jahrzehnt schrieb Chester Himes nicht weniger als acht Thriller für die Série Noire, und er genoss das Vergnügen (und vielleicht auch die Ironie), dass sein letzter Beitrag zu der Serie, Blind, mit einer Pistole (Blind Man with a Pistol), ausgerechnet in Gallimards Série Blanche veröffentlicht wurde. Die Titel dieser Reihen haben in Frankreich natürlich nichts mit »Rasse« zu tun. »Roman noir« bedeutet »Kriminalroman« im Französischen, weswegen die Cover dieser speziellen Reihe schwarz waren. Die weißen Umschläge, die Gallimard für seine prestigeträchtige Reihe Du monde entier verwendet, waren der anspruchsvollen Literatur aus der ganzen Welt vorbehalten.
Der Schauplatz der meisten Thriller, die Himes selbst lieber »Heimatromane« als Kriminalromane nannte, ist ausschließlich Harlem, wobei die Handlung zwischen dem Hinterhof-Schrottplatz und dem Sugar-Hill-Hochhaus, zwischen Bar und Billardsaloon, zwischen Kirche und Bordell hin- und herspingt. Es dauerte nicht lange, und französische Kritiker priesen sie als »menschliche Komödien aus Harlem« und verglichen sie meistens mit Balzacs Comédie humaine.
Die Helden aller Romane außer einem sind Coffin Ed Johnson und Grave Digger Jones, zwei harte, kompromisslose schwarze Detectives. Im Unterschied zu anderen Figuren dieser Art sind Coffin Ed und Grave Digger eher vielschichtig angelegt und werden Tag für Tag mit dem Widerspruch konfrontiert, einerseits das Gesetz des weißen Mannes vertreten zu müssen und gleichzeitig zu versuchen, einer Rasse, die von diesem Gesetz und dieser Ordnung fortlaufend ausgeschlossen und schikaniert wird, ein Minimum an Gerechtigkeit einzuräumen. Ihre Dialoge spiegeln oftmals die bittere Ironie dieser Situation wider, und Himes benutzt sie ständig, um den Rassismus und das amerikanische System, das diesen erst ermöglicht, anzuprangern.
Von Titel zu Titel entfernte sich Himes’ Vorstellungskraft immer mehr von den Einfaltspinseln, die von Betrügern übers Ohr gehauen werden, misslungenen Deals und Hochstapeleien hin zum Drogenhandel, wo es um Millionen von Dollars geht, die Alltagskriminalität wich zunehmend unvorhergesehener psychopathischer Gewalt, und die alltäglichen sozialen und ökonomischen Klagen des schwarzen Mannes auf der Straße wurden von umfassenderen gesellschaftlichen und politischen Themen verdrängt, die die gesamte Nation betrafen – und spalteten. In Lauf Mann, lauf! (Run Man Run), der zuerst 1959 auf Französisch erschien, ist ein blutrünstiger weißer Polizeibeamter der Übeltäter. Heroin für Harlem (The Heat’s On, 1961) treibt bösen Scherz mit dem Heroinhandel. Schwarzes Geld für weiße Gauner (Cotton Comes to Harlem, 1964) enthält unter anderem eine nur stellenweise komische Karikatur der »Back to Africa«-Bewegung von Marcus Garvey.
Im Laufe der Zeit weitete sich Himes’ Blickfeld und schloss seinen Widerwillen gegen Religionsführer ein, die sich durch Scharlatanerie bereicherten. Seine immer apokalyptischere Sicht auf die Rassenauseinandersetzungen veranschaulichte, wie in den Jahren nach den »brennenden Sommern« von 1964/65 die »We Shall Overcome«-Gesänge friedlicher Bürgerrechtler von Black-Power-Slogans und den Tiraden der Black Muslims abgelöst wurden.
1967 schien Himes seine frühere Abneigung regelrecht vergessen zu haben, sich nämlich auf ein literarisches Genre einzulassen, das er für nicht legitim hielt. Sein kommerzieller Erfolg und die Resonanz der europäischen Kritik überzeugten ihn so gründlich von dieser neuen Phase in seiner Karriere, dass womöglich gerade seine Harlem-Reihe sein größter und bleibendster Beitrag zur Weltliteratur sein würde.
Inzwischen lebte er gut, wenn er auch nicht gerade im Luxus schwelgte. Er konnte sogar in absehbarer Zeit den Kauf eines Hauses in Erwägung ziehen, selbst wenn er es sich auch jetzt noch nicht leisten konnte, in seiner Lieblingsgegend, der französischen Riviera, zu leben, was ihn enttäuschte. Nach monatelanger ergebnisloser Suche nach einem Haus in Spanien, wo er gerne gelebt hätte, scheint Himes sich aufrichtig gefreut zu haben, als er am 17. Dezember an seine Agentin Roslyn Targ schrieb, er habe endlich ein Grundstück in einem Erschließungsgebiet namens Pla del Mar erstanden. Der Ort liege an der Spitze einer Landzunge, die aus der pittoresken Cabo de la Nao herausrage, in der Nähe der Stadt Javea in der Provinz Alicante. »Wir hoffen, bald unser kleines spanisches Haus zu bauen«, fügte er hinzu.
Im gleichen Monat zogen Himes und seine Frau Lesley vorübergehend in einen alten Stadtpalast in der Straße Duque de Zaragoza in Alicante, wo Himes wieder in der Lage war, zu schreiben. Eine Liste von unveröffentlichten Arbeiten, die seine Agentin um diese Zeit zusammenstellte, enthielt Hurt White Women, eine Erzählung von 446 Seiten, die eine frühe Version des ersten Bandes seiner Autobiografie darstellt; The Lunatic Fringe, eine Mordgeschichte, die nur unter Weißen auf Mallorca spielt und die er seit Jahren schon nicht zu Ende brachte; Blow, Gabriel, Blow, ein kurzes Filmskript über die religiösen Betrügereien in Harlem, das er vergeblich zu verkaufen versucht hatte.
In jener Zeit schrieb er an John A. Williams: »Ich habe jetzt mit der verrücktesten und provozierendsten Geschichte meiner Harlem-Reihe begonnen, die die Reihe abschließen soll. Einer meiner beiden Polizisten wird umkommen.« Der Roman beruht vielleicht auf einer Kurzgeschichte mit dem Titel Tang, die anscheinend 1967 fertiggestellt wurde. Kurz darauf beschloss er, das neue Buch Plan B zu nennen.
Während er Pläne für sein neues Haus entwarf, begann Himes in Alicante mit dem Schreiben. Vier Monate später bezeichnete er das Buch als »die gewalttätigste Geschichte, die ich je in Angriff genommen hatte. Es geht um einen organisierten Aufstand der Schwarzen, der extrem blutig und gewalttätig verläuft, wie ein solcher Aufstand es eben sein muss«. Wie es seine Gewohnheit beim Schreiben war, hatte er weder einen Entwurf noch eine ungefähre Grundlinie der Erzählung – ausgenommen vielleicht die Synopsis der letzten Kapitel des Buches.
Kurze Zeit später meinte er, dass er das Gefühl dafür verloren habe, wohin sich das Buch bewege. »Jedenfalls bin ich noch lange nicht damit fertig – andererseits wird es vielleicht nie veröffentlicht.« (Brief an John A. Williams, 15. April 1969) Er stellte aber immerhin so viel fertig, um daraus eine lange Geschichte zu machen, die er The Birth of Chitterlings, Inc. nannte. Die Geschichte sollte zu einer Sammlung von Kurzgeschichten mit dem Titel Black on White gehören, die nie erschienen ist. Im Vorwort zu der Sammlung schrieb er, er habe die Geschichte geschrieben, als er sich »überlegte, wie Schwarze Gewehre in die USA schaffen könnten, um eine Revolution anzuzetteln«. In der Zwischenzeit wurden zwei weitere Teile, die anscheinend zu Plan B gehörten – eine Kurzgeschichte mit dem Titel Tang und eine mit dem Titel Celebration -, in der Sammlung von Erzählungen und Essays Black on Black veröffentlicht.
Wahrscheinlich wurde Plan B zugunsten von Blind, mit einer Pistole zur Seite gelegt, ein darauffolgender Roman, der dieselben sozialen und politischen Themen aufgreift. Die Zeit von Ende August bis zum Ende eines sehr verregneten Novembers 1969, als Himes nach Paris zurückkehrte und unter zu hohem Blutdruck litt, verbrachte er mit Lesley in Holland. Er wollte seinen holländischen Agenten aufsuchen und den Sommer dort verbringen, da ihr Untermietverhältnis in Paris aufgelöst wurde. In einem luxuriösen Haus in Blaricum genossen er und Lesley einen bis dahin nicht gekannten Komfort.
Während dieses Aufenthalts bekamen sie Besuch von einem jungen schwarzen Auslandsamerikaner namens Phil Lomax. Eines Tages rief Lomax wegen einer »dringenden Angelegenheit« an, und Chester meinte, er solle doch einfach vorbeikommen. Lomax wollte ihn um Verzeihung bitten, weil er einen Teil von Pinktoes plagiiert und kaum umgeschrieben in den Niederlanden verkauft hatte. Chester verhielt sich sehr großmütig. Er verzieh Lomax nicht nur, sondern lud ihn auch zum Mittagessen ein und sprach ungezwungen und lang mit dem jungen Schriftsteller. Während sie Geschichten austauschten, erzählte Lomax eine Anekdote von einem Blinden mit einer Pistole, der in einer New Yorker U-Bahn wahllos um sich geschossen hatte. Warum er es getan hatte, war nicht ganz klar. Vielleicht hatte er sich einreden wollen, er könne sehen, vielleicht wollte er auch einfach nur spüren, dass er für andere existierte.
Diese Geschichte fand ihren Weg in den neuen Thriller, an dem Himes unermüdlich arbeitete. Er hatte verschiedene Episoden abgeschlossen, doch es fehlte ihm der rote Faden, der sie zusammenhielt. In dieser Phase beschloss er, dass das Absurde selbst das verbindende Thema sein sollte. Er nahm the blind man with his pistol als Titel für sein Buch und dankte Lomax großzügig im Vorwort, als der Roman veröffentlicht wurde. In den unveröffentlichten Notizen zu seiner Autobiografie erklärte Himes: »Zufällig schrieb ich zwei Worte: ›The dying man gasped: Jesus, Baby …‹, ohne den Satz zu vervollständigen. Der sterbende Mann hatte sagen wollen: ›Jesus, Baby, you did not have to kill me.‹ In Holland schrieb ich den Satz zu Ende: ›… you didn’t have to kill me‹ und nahm es dann wieder heraus, denn ich fand einen anderen Schluss: ›The blind man with his pistol.‹ Es war ein perfekter Schluss. Denn damit hatte ich mich in eine andere Art von Geschichten gestürzt, in denen ich jeden der Unmenschlichkeit anklagen konnte. Phil Lomax erzählte mir eine Geschichte von einem Blinden mit seiner Pistole, die eigentlich meine Geschichte über die Menschen war: Verwirrung, Missverständnisse und die Konfrontation mit dem Tod durch das Gesetz.«
Bezeichnenderweise fügte Himes hinzu: »Das war die Geschichte aller Schwarzen, doch ich habe sie nie geschrieben. Ich verlor mich in Plan B, als ich versuchte, eine geglückte Geschichte über schwarze Leute zu schreiben.«
Wenn wir Himes’ Worten Glauben schenken dürfen, dachte er also immer noch daran, Plan B zu Ende zu schreiben, nachdem er Blind, mit einer Pistole abgeschlossen hatte.
Jedenfalls schickte Himes im September 1970 eine neue Kurzgeschichte mit dem Titel Pork Chop Paradise an seine Agentin, die der Erzählung The Birth of Chitterlings, Inc. entspricht und eindeutig ein Ausschnitt aus dem unvollständigen Roman ist. Im Oktober 1972 arbeitete er einen früheren Abschnitt des gleichen Romans zu einer Geschichte um, ließ die ersten vier Absätze weg und nannte sie Prediction. Diese Geschichte wurde in die Sammlung Black on Black aufgenommen. Er vertraute darauf, dass dieser fünfte Abschnitt seine Absicht verdeutlichte, ohne die Glaubwürdigkeit zu sehr zu strapazieren. (Brief an E. Varkala, 23. Oktober 1972)
Das restliche Manuskript blieb in einer Schublade in seinem kleinen Arbeitszimmer in Villa Griot liegen, das er wegen seiner nachlassenden Gesundheit nur noch selten aufsuchte. Dort lag es bis zum Februar 1982, als Lieu Commun, ein Pariser Verlag, Michel Fabre beauftragte, Himes um unveröffentlichtes Material zu bitten. Eine ganze Reihe seiner Kurzgeschichten waren – auch in Englisch – noch immer nicht erschienen, denn der Black on White-Band war nie publiziert worden. Es gab auch zahlreiche Erzählungen, die in den Dreißigern und Vierzigern ursprünglich in amerikanischen Magazinen abgedruckt wurden und bislang in keiner Sammlung aufgetaucht waren. Aus diesem reichen Fundus erschien 1982 auf Französisch ein Band Kurzgeschichten unter dem Titel Le Manteau de rêve. Die französischen Kritiker und Leser, die seit Himes’ früher Protestliteratur und den späteren Krimis auf alles von ihm gespannt waren, begrüßten den neuen Sammelband enthusiastisch.
Zu dieser Zeit entdeckte Michel Fabre das Typoskript von Plan B, von dem Himes kurz vorher in einem Wutanfall ein paar Seiten zerrissen und weggeworfen hatte. Wegen seiner zerrütteten Gesundheit konnte er überhaupt nicht mehr schreiben. Zusammen mit dem Typoskript fand Fabre die Synopsis der Schlusskapitel. Da sie aus einem breitangelegten Entwurf mit ausgearbeiteten Dialogen bestand, schien Fabre dieses Material als eigentlicher Schluss ganz akzeptabel zu sein. Er arbeitete deshalb daran, eine brauchbare Fassung des Romans herzustellen, weshalb es erforderlich war, einige redundante Episoden herauszunehmen und sich strikt an die korrigierte Fassung zu halten. Diese Arbeit stellte die Grundlage für die französische Übersetzung dar, die 1983 von Lieu Commun herausgegeben wurde. Für die vorliegende Fassung (die amerikanische, A.d.Ü.) hat Robert Skinner diesen Text sorgfältig überarbeitet, wobei er erst kürzlich entdeckte, getippte und handschriftliche Korrekturen, die Himes seinem ursprünglichen Entwurf hinzugefügt hatte, mit einbezog. Bei seiner Auseinandersetzung mit dem Text unterließ er keine Anstrengung, um ein Manuskript herzustellen, das die aufrichtige Achtung vor den gesellschaftlichen und politischen Intentionen und den stilistischen Anliegen des Autors widerspiegelt.
1983 unterschrieb Chester Himes gewissenhaft seinen letzten Text. Im September hatte er einen Rundbrief der International Herald Tribune erhalten, worin er gebeten wurde, sein schon längst abgelaufenes Abonnement zu erneuern. Mithilfe von Lesley schrieb er einen Brief, der zeigt, dass er sich seinen vernichtenden Humor bis zuletzt erhalten hatte. Hier ein Auszug: »Ich habe nichts dagegen vorzubringen, dass die Herald Tribune ›die einzige internationale amerikanische Tageszeitung‹ ist. Worüber ich mich ärgere, ist die Tatsache, dass während all der Jahre, in denen ich in Europa schrieb, meine Bücher NIEMALS, NIEMALS erwähnt wurden. Nicht einmal mein letztes Buch Le Manteau de rêve, das in den meisten französischen Zeitungen und Literaturzeitschriften von Bedeutung begeistert rezensiert wurde (…) Ich bin Amerikaner und schwarz und stolz auf beides. Sie haben mich vollständig ignoriert, und aus diesem Grund leihe ich mir die Zeitung vom Nachbarn, UMSONST, wenn ich das Bedürfnis verspüre, Ihre Zeitung zu lesen. Warum sollte ich dafür bezahlen? (…) Werden Sie mich denn ›in Ihrem täglichen Leben willkommen heißen‹? Noch bin ich nicht tot, und in circa einer Woche wird ein neues Buch von mir in Frankreich erscheinen. Es heißt Plan B (…) und ist eine unvollendete Kriminalgeschichte.«
Himes war stolz und erleichtert, weil er sicher war, dass das Buch erscheinen würde, doch er erlebte die Veröffentlichung durch Lieu Commun und die Reaktion der französischen Kritiker und Leser, die es noch enthusiastischer aufnahmen als Le Manteau de rêve, nicht mehr.
Bevor wir den Inhalt und den Grundton des Romans analysieren, ist es vielleicht sinnvoll, einige der Besprechungen näher zu betrachten, die die französische Ausgabe dieses Romans feierten, um zu zeigen, wie ernst er genommen wurde, und um Himes’ literarisches Ansehen in seinen angemessenen internationalen Kontext zu stellen.
Ein französischer Kritiker, der erklärte, dass Himes als der größte schwarze Schriftsteller des Jahrhunderts in die Geschichte eingehen würde, sah Plan B als ein furioses Vermächtnis, das den unversöhnlichen Hass zwischen Schwarz und Weiß ergründe. Der ungenannte Kritiker war der Ansicht, dass Himes von seiner Entwicklung hin zum Kriminalroman außerordentlich profitiert hatte, denn er setze das Genre klug ein, um tiefgründigere Themen anzusprechen. Andere Rezensionen betonten, dass es ein Vergnügen sei, das Buch zu lesen, auch wenn Himes’ Detectives bei dem Versuch, einen unlösbaren politischen Fall zu lösen, ums Leben kommen. Es sei, ohne Übertreibung, »Himes vom Besten«. Viele bemerkten, dass der Leser keine Vorbehalte zu haben brauche, obwohl Himes das Buch unvollendet ließ. Es sei zugegebenermaßen ein seltsames Buch und ein wenig unausgeglichen, denn es fange im reinsten Série-Noire-Stil an und ende als ein politisches Traktat über Amerikas Rassenproblem, doch werde dadurch die Kraft von Himes’ Prosa keineswegs geschmälert.
Jean-Pierre Bonicco betrachtete Himes’ Beschreibung des Ghettos als hyperrealistisch und grell, wodurch aus dem Thriller ein Sittenroman werde. Der »große amerikanische Schriftsteller von außerordentlichem Talent« sei ein »literarischer Alchimist«, der seine kahle Geschichte in eine Art literarisches Gold verwandle. Der Kritiker beklagte zwar die Tatsache, dass der Tod von Coffin Ed und Grave Digger das Ende der Harlem-Saga bedeute, doch er sah den Roman als Himes’ blutiges Lebewohl an die Literatur und als sein Vermächtnis der Verzweiflung. (Le Forum des livres: Plan B, par Chester Himes, Var Matin, 18. Dezember 1983)
Maurice Decroix charakterisierte Plan B als »einen pikaresken Roman mit vielen Schattierungen, den Himes zur Blütezeit der Black Panthers und der Black Muslims schrieb«. Er gab den Lesern den Rat, sich das Buch schnellstens zu beschaffen, und wenn es nur dafür sei, Himes’ Beschreibungen der Eighth Avenue in Harlem in der Augusthitze nachzulesen. (Au rayon du polar, Nord Eclair, 27. Oktober 1983) In der Pariser illustrierten Wochenzeitung VSD hielt Jean-Pierre Enard »den besten Roman von einem der größten amerikanischen Schriftsteller« für »so stark wie ein Glas Gin, so rhythmisch wie ein Charlie-Parker-Solo«. (Livres: Plan B, de Chester Himes, VSD, 24. November 1982)
Der bekannte Le-Monde-Kritiker Bernard Géniès, der Himes regelmäßig besprach, betonte die Tatsache, dass Himes’ mörderischer Amoklauf auch seine beiden Detectives das Leben kostet. Géniès meinte, dass die Geschichte vor dem Hintergrund der Ghettorevolten der Sechzigerjahre spielt und nur unter dieser Perspektive richtig verstanden werden könne. Wollte Himes seinen Harlem-Zyklus beenden und Rache nehmen an seinen Charakteren, fragte sich Géniès. Die vielen Bezüge jedenfalls zur Sklaverei sah Géniès als Beweis für einen »eher realistischen Blick«. (Quand Chester Himes assassine ses héros, Le Monde, 12. Oktober 1983)
In einem späteren Artikel, »Retour à Chester Himes«, hatte es sich Géniès anscheinend anders überlegt. Er bedauerte, dass es Himes nie gelungen sei, unter die Oberfläche seines verarmten Harlemer Schauplatzes zu tauchen, um zu einem zweiten Richard Wright zu werden. Doch er legte auch Wert auf die Feststellung, dass das Treffen mit dem Herausgeber der Série Noire, Marcel Duhamel, Himes ermöglicht hatte, seine eigene Identität als Schriftsteller zu finden. (Le Monde, 4. November 1983)
Stéphane Jousni sprach von Himes’ »großartigem Scheitern« und meinte, dass Himes zu seinen besten Zeiten die beiden schwarzen Detectives aus der Rassenfrage herausgehalten habe. In Plan B, einem Roman, der sich in ein politisches Traktat zur Rassenfrage verwandle, würden die beiden Stellung im Rassenkampf beziehen und getötet. Sie glaubte, dass das Buch wegen seiner eindringlichen, surrealistischen Beschreibungen des Lebens in Harlem gelesen werden sollte. Für Jousni wie für Jean Giono war Himes ein besserer Schriftsteller als Hemingway, Dos Passos oder Fitzgerald. (Un admirable »raté« de Chester Himes, La Libre Belgique, 13. Oktober 1983)
Der Kritiker von Le Matin verwendete den französischen Titel eines früheren Himes-Thrillers, um Plan B als ein »Imbroglio negro« zu charakterisieren. Er betonte, dass die Karriere des Protagonisten Tomsson Black parallel zu der apokalyptischen Zunahme der Gewalt und dem damit einhergehenden moralischen Dilemma verläuft. »Es wäre unpassend«, schrieb er, »ein solch furchtloses Schreiben barock zu nennen.« Für ihn ist der Roman »sowohl ein Zeugnis von Himes’ Talent als auch die Krönung seiner Karriere«. (Le Matin, 27. Oktober 1983) In der linken La Marseillaise schrieb Françoise Poignant, dass Himes’ Roman nach einem humoristischen Beginn zu einem Albtraum wird, der sich zu einem Blutbad auswächst. Sie fragte sich, ob Himes nicht fähig war, einen Schluss zu finden, der ihn aus dieser Sackgasse herausgeführt hätte, oder ob er bereits so krank war, dass er nicht länger schreiben konnte. (Plan B: un livre plein de dureté et de bruit, La Marseillaise, 27. November 1983)
Frédéric Vitoux’ Besprechung »Au bout de la nuit: Plan B par Chester Himes« stellte sofort die Verbindung her zu Ferdinand Célines klassischem Roman über das Außenseitertum, Reise ans Ende der Nacht. Vitoux nannte Plan B »so schwarz wie Tinte, wie Blut, wie Dummheit, wie Erinnerung, wie Hass, wie Sklaverei, wie Amerika im Jahr 1969 (…) Mit einem fast selbstmörderischen Vergnügen nimmt Himes den Leser mit in die Hölle und versetzt ihn mit seinen Beschreibungen von Harlems Kriminalität, Ungerechtigkeit und Rebellion in einen Taumel«. Vitoux war der Ansicht, dass das Buch unvollendet bleiben musste, weil es für einen Rassenkrieg in einem solchen Ausmaß keinen logischen Schluss geben konnte. Sarkastisch merkte er an, dass Reisen ans Ende der Welt nie ein wirkliches Ende haben. (Nouvel Observateur, 11. November 1983)
Christiane Falgayrettes stellte das Buch in einen größeren Zusammenhang. Sie behauptete, Himes ziehe Spott und Humor der Gewalt und dem offenen Hass in den Schriften Wrights und Baldwins vor. Sie zog auch den Vergleich mit Ellison zu Himes’ Gunsten und kam zu dem Schluss, dass Himes auf das schlechte Gewissen seiner weißen Leserschaft baue. (La Montagne, 29. Juli 1984)
Der Akademiker Ambroise Kom aus Kamerun, der eine detaillierte Studie über die Romane Himes’ verfasst hatte, war der Meinung, Plan B kombiniere die Absurdität von Die Geldmacher von Harlem mit dem bissigen Beigeschmack von Blind, mit einer Pistole und dem kräftigen Aroma von Pinktoes. Kom schrieb, das Buch lasse viele Fragen zu Himes’ eigenen Ansichten über die Vereinigten Staaten offen. (Chester Himes’ Plan B, Notre Librairie, Nr. 77, November–Dezember 1984)
Einige der Reaktionen waren eindeutig politisch tendenziös. In Révolution behauptete Michel Naudy – und er dachte dabei zweifellos an Marx und Engels –, dass Himes der legitime Erbe der mitteleuropäischen Revolutionstheoretiker des neunzehnten Jahrhunderts sei. Er sagte, Himes habe eine gewaltige menschliche Komödie geschrieben und könne mit Recht als »dunkler Balzac« bezeichnet werden. (Le fils légitime, Révolution, 28. November 1984)
In einem anderen linken Organ, in der Liberté, behandelte Françoise Poignant in ihrer Besprechung von Plan B auch die Wiederauflage von Der Traum vom großen Geld. Sie fragte sich, ob es für Amerikas Rassenproblem jemals eine Lösung geben könne, und wies darauf hin, dass Himes diesem Problem damit begegne, pikaresk zu schreiben und in der Karikatur und im Surrealismus Zuflucht zu finden. Der Traum vom großen Geld, schrieb sie, sei eine geglückte, durchgängig humorvolle Geschichte. Plan B andererseits sei eine albtraumhafte Beschreibung des Rassenhasses und schildere auf überwältigende Weise Wut und Verzweiflung, stelle jedoch keine Lösung in Aussicht. (Harlem au bout de la nuit, Liberté, 4. Dezember 1984)
Als Chester Himes Mitte November 1984 starb, zollte ihm die gesamte französische Presse Tribut. In den Nachrufen wurde sein Werdegang als Strafgefangener, Schriftsteller und als freiwillig im Exil Lebender nachgezeichnet. Ausnahmslos betonten sie die Bedeutung seiner Kriminalromane und seines lebendigen Bilds, das er von Harlem gezeichnet hat. Lobende Kommentare von jüngeren französischen Kriminalautoren wie Michel Lebrun, Pierre Siniac und Patrick Manchette über Himes’ Talent wurden oft zitiert. Da Plan B gerade erst erschienen war, wurde dieser Roman in vielen Nachrufen ausführlich erwähnt.
Der Kritiker der Tageszeitung La Marseillaise bemerkte, dass Himes den Kriminalroman veredelt habe, indem er ihn instrumentalisierte und damit gegen die rassistische Gesellschaft Amerikas protestierte. Blind, mit einer Pistole wurde als »glänzende Metapher« gelobt und Plan B als »ein apokalyptischer Kampf« beschrieben. Der Autor schloss, dass Himes’ knochenharte authentische Romane alle fest in der Wirklichkeit verankert seien und in der amerikanischen Literatur einen bleibenden Eindruck hinterlassen würden. (La Marseillaise, 14. November 1984)
Während der Leser nicht umhinkann, vor einigen Aspekten des Buches Abscheu zu empfinden, sprechen Aufbau und Stil zu seinen Gunsten. Die nichtlineare Konstruktion mit ihren alternierenden und anscheinend völlig zusammenhanglosen Handlungen erinnert an Faulkners Wilde Palmen. Wie in Faulkners Werk verstärken die Parallelgeschichten in Wirklichkeit die Spannung.
Man muss sich einmal vor Augen führen, dass die amerikanischen Leser ein Buch, das bei den europäischen Lesern einen solchen Eindruck hinterließ, jetzt erst zu Gesicht bekommen. Seit Jahren diskutieren Akademiker und Fans von Chester Himes’ Harlem-Zyklus – von Himes’ eigenen Bemerkungen dazu angestachelt – die mögliche Existenz eines »verlorenen« Teils der Serie, der den tragischen Tod eines oder beider von Himes’ Helden Coffin Ed Johnson und Grave Digger Jones enthält. Die Gerüchte inspirierten den afrikanischen Schriftsteller Njami Simon sogar zu einem Roman, der als Cercueil et Cie in Frankreich erschien (Editions Lieu Commun, Paris, 1985) und später als Coffin and Company in den Vereinigten Staaten. (Black Lizard Books, Berkeley, California, 1987)
Während der Zeit, in der er Plan B schrieb, machte Himes in mehreren Interviews Andeutungen über seine Arbeit an diesem Roman. Am deutlichsten drückte er sich in einem Interview mit John A. Williams aus, das in Amistad I (Random House, New York, 1970) veröffentlicht wurde. Himes brachte die Handlung seines Romans stets in Zusammenhang mit seiner tiefen Enttäuschung darüber, dass sich die Beziehungen zwischen den Rassen in den Vereinigten Staaten nicht besserten.
Über einen langen Zeitraum hinweg hatte er die Auffassung, dass der einzig mögliche Weg, auf dem die Schwarzen in Amerika eine tatsächliche Gleichheit erreichen könnten, über irgendeine Form gewalttätigen revolutionären Vorgehens war. 1944 schrieb Himes, dass ein Fortschritt nur durch eine Revolution erzielt werden kann, dass Revolutionen nur über Zwischenfälle ausgelöst werden und dass solche Zwischenfälle nur von Märtyrern herbeigeführt werden. Obwohl diese Abfolge fast wie ein Vorläufer von Martin Luther Kings Theorie vom gewaltfreien Wandel klingt, sah Himes die Dinge unter gegenteiligem Vorzeichen. Er erklärte, dass schwarze Märtyrer nötig waren, um »einen Zwischenfall zu provozieren, der die Kräfte der Gerechtigkeit mobilisieren und das Moment des Wandels auslösen wird, um Lebensformen zu schaffen, in denen jeder Mensch frei ist«. (Negro Martyrs Are Needed, The Crisis, Mai 1944)
Zu der Zeit, in der das Amistad-Interview stattfand, predigte Himes, was er früher als Aufwieglung betrachtet hätte. Zu Williams sagte er: »Ich weiß, wie eine schwarze Revolution aussehen würde (…) Vor allen anderen Dingen muss eine Revolution, die Erfolg haben will, gewalttätig sein; sie muss unbedingt gewalttätig sein; sie muss so gewalttätig sein wie der Krieg in Vietnam (…) Jede Art von Aufstand hat zum Hauptziel, so viele Menschen zu töten, wie man kann, mit welchen Mitteln auch immer, denn allein die Tatsache, dass sie getötet werden und in ausreichender Zahl getötet werden, ermöglicht es einem, die gesteckten Ziele zu erreichen.«
In Himes’ Vorstellung von Revolution wurden keine Gefangenen gemacht. »Die Schwarzen sollen so viele Mitglieder der weißen Gemeinschaft töten, wie sie töten können. Also Kinder, Frauen, erwachsene Männer, Industrielle, Straßenfeger oder was auch immer, Hauptsache, sie sind weiß. Nur so kann das Ziel erreicht werden – darüber gibt es keinen Zweifel. Es ist sinnlos, irgendetwas anderes zu tun, und es gibt keinen Grund, sich über Alternativen Gedanken zu machen.« Man kann nicht umhin, dabei an Williams’ The Man Who Cried I Am (Little Brown, Boston, 1967) zu denken – allerdings in der Umkehrung. Himes war ein großer Bewunderer von Williams’ Büchern, und es ist gut möglich, dass er versuchte, etwas Ähnliches zu schaffen wie der »King Alfred Plan«, nämlich die schwarze Rasse zu vernichten.
Was auch immer seine Absicht war, Himes sah den schwarzen Mann als einen mächtigen und unbeugsamen Menschen, der tatsächlich in der Lage sein würde, den amerikanischen Staat durch kalkulierte, selbstmörderische Gewaltaktionen aus den Angeln zu heben. Und seine Versuche auszumalen, wie so etwas durchgeführt werden könnte, waren so brutal, so drastisch, so abstoßend, dass er selbst in der Zeit, als er Plan B schrieb, sagte: »Ich weiß nicht, was die amerikanischen Verleger mit diesem Buch tun werden. Doch eins weiß ich … sie werden zögern, und sie werden darauf mit Abscheu reagieren, weil die Szenen, die ich beschreibe, abscheulich sein werden.« Himes war sich über die Kraft solcher Worte im Klaren, doch er war der Meinung, dass das Schreiben über Gewalt für einen amerikanischen Schriftsteller nur natürlich war. Zu Williams sagte er: »Amerikanische Gewalt ist das öffentliche Leben, Gewalt ist Amerikas offen gelebte Lebensweise …«
Ein wichtiger Teil von Plan B schildert in Einzelheiten den grundlosen Angriff eines zu allem entschlossenen schwarzen Märtyrers, der aus dem Hinterhalt mit einem automatischen Gewehr auf eine Polizeiparade schießt. Als die herkömmlichen Methoden, ihn zu überwältigen, scheitern, zerstört ein Panzer das Gebäude, in dem er sich versteckt. Der Gegenangriff ist so maßlos und destruktiv, dass die Börse zusammenbricht und die Vereinigten Staaten sich als Nation allmählich auflösen.
Das Kapitel The Birth of Chitterlings, Inc. ist auf der einen Seite ein pikareskes Märchen, andererseits schildert es die Abenteuer eines schwarzen Meisters unter den Verbrechern namens Tomsson Black. Als Vorspiel führt Himes den Leser weit zurück in die amerikanische Geschichte, in die Sümpfe von Alabama Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine ziemlich ausschweifende Beschreibung vom Wohl und Wehe der degenerierten Harrison-Familie bereitet den Boden vor für die Idee von der Nutzbarmachung der »pikanten« Innereien von Spitzrückenschweinen, die sich von Süßkartoffeln ernähren. Schließlich folgt der vollständige Stammbaum der schwarzen Familie Lincoln, und Himes bringt uns in den Süden vor dem Bürgerkrieg. Detailliert beschreibt Himes die Abenteuer jeder einzelnen Generation.