Liebe Leserin
Lieber Leser
Natürlich ist für einen Verlag, der seit 1982 kontinuierlich arabische Literatur verlegt, der Buchmesseschwerpunkt dieses Jahres ein Vergnügen. Gratulation zunächst der Messeleitung, die nach Jahrzehnten des Zögerns gewagt hat, diesen so vielfältigen Kulturkontinent vor den Toren Europas nach Frankfurt zu holen.
Drücken wir auch den Organisatoren der Arabischen Liga die Daumen bei der schwierigen Aufgabe, die Vielfalt ihrer Länder und Vorstellungen unter einen Hut zu bringen. Malen wir uns das Hickhack im umgekehrten Fall aus: Die 25 Staaten der EU müssten sich an der Kairoer Buchmesse einen groß angelegten Länderschwerpunkt teilen ...
Nutzen aber auch wir in diesem Messeherbst die Chancen, ohne uns zu blamieren. Langjähriges Desinteresse und überholte Konzepte aus der Mottenkiste der europäischen Geistesgeschichte können zu allerlei Fauxpas von uns Gastgebern führen. Gerne übernehme ich das Risiko einer Blamage, offene Türen einzurennen, und mache hiermit den Vorschlag eines »Arabische-Buchmesse-Knigge«.
– Die 22 Mitglieder der Arabischen Liga, also die Messegäste sind: Ägypten, Algerien, Bahrain, Dschibuti, Irak, Jemen, Jordanien, Katar, Komoren, Kuwait, Libanon, Libyen, Marokko, Mauretanien, Oman, Palästina, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan, Syrien, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Nicht dabei sind jene Länder, die wir so leichthin zum »Orient« mitzählen: die Türkei und Iran, gar Indien.
– »Der Orient« ist ein europäisches Konzept des 19. Jahrhunderts und hat wenig gemein mit den so vielfältigen Ausprägungen arabischer Kultur. Vorsicht also bei Etiketten wie »Orientalische Erzählkunst«, »Zauber von 1001 Nacht« und Buchtiteln wie »Die schönsten Liebesgeschichten des Orients«.
– Dies ist keine Messe zum Thema »Islam«. Er ist zwar die vorherrschende Religion, aber in der arabischen Welt leben auch Christen, Juden, Atheisten — und Abermillionen Menschen, die es (wie die meisten von uns) ablehnen, sich über die Religion definieren zu lassen.
– Arabische Literatur drückt sich in vielen Sprachen aus: auch auf Französisch, in mehreren Berbersprachen, Englisch, sogar Deutsch.
– Lassen wir uns überraschen. Hören wir zu. Freuen wir uns, Menschen zu begegnen, die sich gerne Zeit nehmen, Gastfreundschaft ernst nehmen (auch wenn es nur an einem Messestand ist). Arabische Literatur — das ist nicht die eine Scheharasad, sondern das sind 1001 unterschiedlichste, laute, leise, kunstvolle Stimmen. Und nehmen wir die Argumente der arabischen Welt zur Kenntnis, die gegenwärtige Weltordnung gehe allzu sehr auf ihre Kosten.
Vor allem aber: Lesen! Lesen! Lesen!
Mit vielen Grüßen aus dem Unionsverlag
Lucien Leitess