Liebe Leserin
Lieber Leser
Frau Madeleine S. aus P. schreibt uns: »Mit großer Freude habe ich zwei Bücher aus Ihrem Verlag gelesen. Nun gibt es etwas, daran habe ich gelitten, es sind die Klappentexte. Sie ›stimmen‹ nicht. Ich denke, man kann diese Art von Literatur nicht zusammenfassen. Die großen Schriftsteller dürfte man höchstens zitieren. Seien Sie mir nicht böse.«
Nein, liebe Frau S., wir sind nicht böse, wir leiden hilflos mit Ihnen. Zweimal im Jahr brüten Tausende von Lektoren über Zehntausenden von Klappentexten, Klappertexten, Plappertexten, Schlabbertexten ... Das sind die Wochen, in denen es muffelt in der Verlagslandschaft.
Die Zubereitung von Klappentexten ist allenfalls zu vergleichen mit dem Verfertigen von Würsten. Aus unedlen Ingredienzen entsteht mittels geheimer Techniken, unappetitlich anzuschauen, hin und wieder ein würziges Produkt. Man sollte dabei Türen und Fenster schließen, aber wir wollen sie ein Spältlein öffnen. Beim Klappentexten gelten in unserem kleinen Hause folgende Regeln:
1. Besorge dir vielfältigstes Rohmaterial: Textauszüge, fremdsprachige Rezensionen, eine (unverbindliche!) Textvorlage des Autors oder Übersetzers, Klappentexte anderer Ausgaben etc. Nur Anfänger bestehen auf der Urzeugung, nach der dritten Saison tönen alle ihre Texte gleich. Der Profi setzt sich an den Abschreibtisch in den Anlehnstuhl, baut Schlösser aus Legosteinen. Klappentext ist Paratext, also parasitär: Er lebt von fremdem Blut oder gar nicht.
2. Tabus verhüten das Schlimmste. Auf den Index mit ausgeleierten Wörtern und Wendungen wie: »Dieser Roman/Bericht ... handelt von/erzählt/schildert ... eindringlich/schonungslos/witzig/in differenzierter Sprache ...« Tabu ist ferner für alle Zeiten jede jemals in einem Text des Hauses verbrauchte Wendung. Bei uns: »... pulsierender Mikrokosmos ... Welt im Umbruch ... orientalische Erzählkunst ...« etc.
3. Klappentexte sind Kollektivtexte. Erst wenn sie im Verlag zirkuliert sind, mit Wellenlinien, Fragezeichen, Missfallens- und Beifallsbekundungen, banalisierenden und verfeinernden Annotationen verziert zurückkommen, dürfen sie geläutert in die letzte Fassung. Was nicht verhindert, dass man sich einige Monate später ihrer schämt. Zum Glück gilt dann Kollektivschuld.
Als gescheitert ist ferner ein Klappentext einzuschätzen, wenn er a) daherkommt wie ein soziologisches Traktat (beliebteste Fallgrube bei »Dritte-Welt-Romanen«), b) einen Roman nacherzählt statt bloß einige Splitter ins Spiel zu werfen, c) auch nur eine Passage enthält, die zu einem anderen Buch genauso passt, d) Heiterkeit, Witz, Poesie, Spannung verspricht, ohne heiter, witzig, poetisch oder spannend zu sein, e) einem Roman sein Geheimnis nimmt.
Von den beiden Texten, liebe Frau S., halte ich den zu Elçin (UT 23) tendenziell für gelungen, weil er eine Ahnung von Inhalt und poetischer Form vermittelt, den anderen zu Anar (UT 20) für misslungen, weil er verkrampft versucht, das Buch auf die Schiene Frauenemanzipation zu schieben.
Einstweilen warten wir darauf, dass endlich eine empirische Untersuchung mit Parallel-Blindversuch beweist, dass Klappentexte generell wirkungslos sind, also den Verkauf weder fördern noch schädigen. Bis dahin müssen wir weitermachen und werden gewiss immer wieder gegen alle Regeln verstoßen, die Tabus verletzen und in die Fallgruben tappen. Wenn Sie uns schreiben, warum Ihnen welche Klappentexte gefallen oder missfallen, machen Sie uns und unseren Büchern das Leben leichter.
Mit vielen Grüßen aus dem Unionsverlag
Lucien Leitess