Liebe Leserin
Lieber Leser
Ohne sie wären wir einsam. Wenn sie vor Konferenzbeginn nach und nach eintreffen, zieht der scharfe Wind der Wirklichkeit in unsere Innenräume ein. Wenn wir in der großen Runde sitzen, sitzt hinter ihnen eine ganze Hausmacht: zweitausend Buchhändlerinnen und Buchhändler und alles, was sie gesagt haben und (vermutlich/sicher/todsicher oder vielleicht doch nicht) sagen werden zu allem, was wir in unserer Nussschale aushecken. In diesen zwei Tagen werden unsere Pläne, Projekte, Präsentationen auf die härteste Probe gestellt, und manch eine Fantasie endet als Panne. So muss es sein.
Die Rede ist von Dagmar, Edwin, Eleonore, Günter, Heinz, Jac, Konrad, Pierre, Richard, Thomas und Vera, unseren Vertreterinnen und Vertretern. 10 Jahre ist die Crew nun beisammen. Gar vieles haben wir gemeinsam durchgemacht: 20 Konferenzen, 1 Pause, 1 Nobelpreis, 1 Verlagsfusion, unzählige Buchpräsentationen samt allen Diskussionen über Titel, Texte und Umschläge, Preise, Pakete und Formulare. Heitere, grimmige, zufriedene, sorgenvolle, angespannte, merkantile und hochliterarische Debatten. Und im Hintergrund jedes Mal das gegenseitige Kribbeln: »Was sagen wohl die Vertreter dazu?« — »Was bringt wohl der Verlag?« Wenn sie nach diesen zwei Tagen weiterziehen zur nächsten Konferenz, sind Wohl und Wehe der nächsten Saison schon mit Händen zu greifen. Wir bleiben müde und erleichtert zurück, mit frischen Konzepten und Bergen neuer Arbeit.
Hochachtung vor diesem Beruf! Cowboy und Literat zugleich muss man sein, feinsinnig und robust, um als Vertreter durchzuhalten. Mit schweren Mappen bei Wind und Wetter durch die Fußgängerzonen und über die Landstraßen, Termine erkämpfend und einhaltend, die guten Argumente stets zur Hand und die schöne Literatur im Kopf. Und im Hinterkopf den Vorjahresumsatz, die Remissionsquote, die Rabattgruppe und die literarischen Vorlieben der Einkäuferin und ihres Stammpublikums.
Ein raues Leben — es vergingen einige niederschmetternde Konferenzen, bis ich begriff: Wenn an der Konferenz die Vertreter nicht schimpfen, hat der Verlag die gröbsten Fehler gemacht. Wenn sie schweigen, ist höchste Alarmstufe. Soll sich jeder Verlag glücklich schätzen, dem seine Vertreter die Kappe waschen. Das ist der Beweis von Leidenschaft. Ihre Erfahrungen gehören auf die Goldwaage. Wer die Vertreter nicht ehrt, ist der Bücher nicht wert.
Die Vertreterinnen und Vertreter sind unsere Nabelschnüre ins Sortiment. Mit jedem Besuchstermin, der nicht stattfinden kann, wird eine Kapillare des Branchenkreislaufs gekappt. Umsatz hin oder her — wir brauchen diesen Austausch.
In den nächsten zehn Jahren wollen wir uns bemühen, noch besser auf die Vertreter zu hören und noch klarer zu wissen, was wir selbst wollen. Eines wird sich aber kaum ändern: unser schreckliches Lampenfieber vor jeder Vertreterkonferenz.
Mit vielen Grüßen aus dem Unionsverlag
Lucien Leitess