Marburg. Die von der „Neuen Literarischen Gesellschaft“ ins Leben gerufene Auszeichnung wurde Galsan Tschinag am Sonntag durch den Oberbürgermeister Egon Vaupel im Cafe Vetter verliehen. Bei dieser Gelegenheit las der Autor aus seinem frisch im Unionsverlag erschienenen Buch „Gold und Staub“. Das Besondere an Galsan Tschinag: Als Mongole schreibt er auf Deutsch.
Der Autor ist ein kleiner, grauhaariger Mann mit sehr aufrechter Haltung, der viel Sinn für feinsinnigen Humor und kreative Wortspiele hat. Und Humor braucht es seiner Meinung nach ganz besonders, wenn es draußen derartig „novembert“ wie in diesen Tagen.
Auf der Bühne des bis auf den letzten Platz besetzten Café Vetter konnte der 67-jährige sein Talent als unterhaltsamer Geschichtenerzähler auch live vollkommen bestätigen. Mit vielen kleinen Anekdoten, spontanen Wortspielen, Schalk und einem charmanten Lächeln nahm er sein Publikum ganz für sich und sein Anliegen ein.
Denn Galsan Tschinag ist nicht nur erfolgreicher Autor, von dem inzwischen 40 Bücher erschienen sind - 32 davon in Deutsch verfasst. Er ist auch Häuptling und Schamane des mongolischen Tuwa-Stammes. Mit großem Einsatz kämpft er für die Zukunft des 4000 Köpfe zählenden Nomadenvolkes. Die mit dem „Literaturpreis der Neuen Literarischen Gesellschaft Marburg“ verbundene Summe von 3000 Euro kommt - wie generell alle Einnahmen, die Tschinag bei seinen Lesereisen macht - seinem Volk zugute.
Die Zukunft des Volkes der Tuwa ist durch Turbokapitalismus und Raubbau an den reichen mongolischen Bodenschätzen bedroht. Von dieser Herausforderung handelt auch Tschinags neuer Roman mit dem Titel „Gold und Staub“. Zwei Welten treffen im Buch aufeinander: Zum einen Bäume, Gras und Grünes und ein alternder Mann; zum anderen eine junge blühende Frau, Geld und Gold. „Aber nicht jeder Kampf muss in Feindschaft enden“, erläutert der Autor. „Wenn man weise genug kämpft, steht man auf derselben Seite.“
Das Konzept des Autors Tschinag charakterisiert Ludwig Legge, der Vorsitzende der „Neuen Literarischen Gesellschaft“, als „biografischen Realismus“. Die Erzählungen haben einen Anhaltspunkt in der Lebenswirklichkeit Tschinags. So verhält es sich auch beim neuen Buch. Denn die „Galsan Tschinag Stiftung“ hat sich mit ihrem Bewaldungsprojekt das Ziel gesetzt bis zu 20000 Bäume in der mongolischen Steppe zu pflanzen, um zu verhindern, dass sie sich durch Erosion in Wüste verwandelt.
Galsan Tschinag las anlässlich der Preisverleihung Ausschnitte aus seinem Roman. Dabei wurde deutlich, dass der Kampf um die Natur im Buch eine zusätzliche spirituelle Ebene von globaler Reichweite erhält. Der Hauptcharakter erklärt, dass er mehr ist als nur ein Angehöriger seines Stammes: „Ich bin ich, der vom Wasser der Erde gespülte, vom Wind des Himmels gegerbte und vom Griff des Lebens gewetzte Mann mit Erziehung und Gesinnung des Ostens und mit Kenntnis und Erfahrung des Westens. ... Bin ein Mitglied der großen Familie von Asiaten, bin ein winziges Teilstück der noch größeren Menschheit. Bin ein Mensch, bin die einzählige, vielzellige Menschheit.“
Doch wie kommt es, dass ein mongolischer Stammeshäuptling Romane ausgerechnet auf Deutsch schreibt? Tschinag erzählt, dass er im August 1962 in Leipzig eintraf, um dort zu studieren. In den letzten 50 Jahren hat sich seine Freundschaft, ja sogar Verwandtschaft zu Deutschland entwickelt. „Ich möchte der deutschen Sprache einen leichteren Klang geben“, sagt der Autor. Musikalität, Weichheit und Lieblichkeit der nomadischen Sprache werden von ihm ins Deutsche eingeschrieben.
Oberbürgermeister Egon Vaupel betonte in seiner Rede, dass die NLG mit Galsan Tschinag als erstem Preisträger eine sehr gute Wahl getroffen hat. Tschinag passe zu Marburg. Denn Marburg sei eine weltoffene Stadt, die gerne Gäste empfange und in der Menschen 140 unterschiedlicher Nationalitäten wohnen.
von Angelika Fey