Immer mehr Ägypterinnen bedecken ihre Haare - nach neuesten Umfragen rund 80 Prozent der muslimischen Frauen. Immer mehr von ihnen tragen dabei die schwarze Variante aus Saudi-Arabien oder verdecken sogar ihr ganzes Gesicht. In einer Internetumfrage sprachen sich 75 Prozent der befragten Männer dafür aus, dass ihre Frau ihr Haar verhüllt. Warum greifen immer mehr Musliminnen zum Kopftuch?
Von Esther Saoub, ARD-Hörfunkstudio Kairo
[Bildunterschrift: Muslimische Studentinnen in Kairo]
Die Azhar-Moschee in Kairo, Zentralorgan des sunnitischen Islam. Das Mittagsgebet ist gerade beendet. Auf einem Teppich am Rande des Innenhofs sitzt eine Familie. Rana ist Anfang zwanzig und zeigt der Umwelt lediglich ihre braunen, dunkel geschminkten Augen. In ihrem Schoß schläft ihre kleine Tochter. Daneben sitzt, auffällig unbeteiligt, ihr Mann. Neben ihm sitzt Ranas Mutter, mit so genanntem Khumar, einem Überwurf der Haare, Hals und Schultern bedeckt, und die kleine Schwester.
Rana trägt den Gesichtsschleier Niqab, seit sie verheiratet ist. Warum? "Wenn ich hübsch bin, starren mich die Leute an. Warum soll ich mich dem aussetzen und mir verletzende Kommentare anhören? Warum soll ich mich nicht für meinen Mann alleine aufsparen, sondern für alle Leute da sein?", fragt die junge Frau. Selbstbewusst kontert sie: "Antworte du mir!"
Ranas Mutter ist stolz auf ihre Tochter und darauf, dass sie das Gesicht verdeckt. "Auch meine jüngere Tochter trug einmal ein Tuch bis über die Schultern", erzählt sie. "Dass sie es abgelegt hat, gefällt mir nicht. Man soll sich Gott nähern, nicht sich entfernen."
Fatma, die jüngere Tochter, trägt ein modisch gebundenes Seidenkopftuch und Jeans. "Ich habe den Khumar getragen, aber ich war nicht davon überzeugt", sagt sie. "Wenn du den Khumar trägst, solltest du beten und fasten und alles richtig machen. Ich konnte das aber nicht alles", so Fatma. Sie werde den Khumar erst wieder tragen, "wenn ich hundert Prozent sicher bin, dass ich ihn ehren kann". Aber auch für Fatma steht fest: Ihre Haare würde sie nie zeigen.
In manchen Vierteln Kairos oder auf dem Land gibt es keine unverschleierten Frauen mehr. Dafür sorgen auch die Ermahnungen von Scheich Salah. "Jede, die ihre Nacktheit bedeckt, schützt sie vor dem Höllenfeuer. Jede, die ihre Nacktheit entblößt, setzt sie dem Höllenfeuer aus. An diese Pflicht sollten wir denken."
[Bildunterschrift: Kopftuch ja, totale Bedeckung nein: Ägyptische Musliminnen ]
Auch in den Schulen wächst der Druck. Immer jünger sind die Mädchen, die sich verschleiern. Oft bringen nicht die Eltern, sondern die Gesellschaft sie dazu. Die extreme Zunahme des Higab, wie das Kopftuch auf arabisch heißt, habe eher äußerliche Gründe, klagt die Schriftstellerin Miral al-Tahawi. Sie selbst hat das Kopftuch in den Neunzigern abgelegt. "Der politische Islam ist damit beschäftigt, die Straßen zu islamisieren. Das heißt: Er will zeigen, dass er politisch stark und omnipräsent sind. Gleichzeitig sinkt die Moral im Land, und die wirklichen religiösen Werte verlieren an Bedeutung", kritisiert sie. Es gehe vielmehr um einen kommerziellen, äußerlichen Islam.
"Der Higab ist ein Schritt zurück", sagte jüngst auch Kultusminister Farouk Hosni in einem Zeitungsinterview. Ein Aufschrei war die Folge: Studentinnen demonstrierten für ihr Recht auf den Higab, im Parlament wurde über nichts anderes mehr debattiert. Hosni beharrt darauf, seine persönliche Meinung haben zu dürfen, hat aber nun versprochen, eine religiöse Kommission aus Muslimen und Christen einzurichten. Sie sollen die Veröffentlichungen seines Ministeriums und Probleme wie dieses überwachen.
An der Universität Fayoum, wo Miral el-Tahawi Literatur unterrichtet, ist sie die einzige unverschleierte Dozentin. Die Studenten schicken ihr Briefe oder Mails mit religiösen Zitaten, die den Schleier vorschreiben. Als religiöse Pflicht bezeichnet ihn auch Scheich Salah: "Der Higab ist keine pharaonischer Brauch, sondern eine muslimische Pflicht", sagt er. Diese Pflicht sei im Koran und in der Sunna, den Aussagen des Propheten, festgeschrieben. Erst der Kolonialismus habe die Frauen dazu gebracht, das Kopftuch abzulegen. "Aber jetzt lebt der Islam wieder auf und Frauen besinnen sich auf ihre Natur und tragen den Schleier. Das ist kein Schritt zurück, sondern eine Pflicht", so der Scheich.
"Es reicht!", widerspricht die Schriftstellerin Tahawi. Die Idee von der ehrenhaften Familie, die ihre Mädchen verhüllt, sei vorbei. "Es geht hier nicht um Bräuche", so Tahawi. "Ich muss mich nicht anziehen wie vor 400 Jahren, um eine Muslimin zu sein." Außerdem gebe es wichtigere politische Probleme: Korruption, der soziale und moralische Verfall der Gesellschaft. "Darüber sollte das Parlament eher debattieren, als über den Schleier."