Liebe Leserin
Lieber Leser
Unsere Branche ist in Gefahr. Wird es ihr gelingen, die Jahrtausendhürde unbeschadet zu überspringen? Wo kommen wir hin, wenn es bereits als Leistung gilt, mit aller Macht und allem Geld ein Buch, das von allen führenden Magazinen der Welt in den Himmel gelobt wurde, in anonymer Telefonversteigerung zu ergattern?
Um den Zerfall geistiger und materieller Werte im Verlagswesen aufzuhalten, braucht es neue Kreativität. Wie in der Softwarebranche findet auch im Verlagswesen schöpferische Leistung und höchste Wertschöpfung in den Bereichen statt, wo sie zunächst keiner erwartet. Wir schlagen deshalb vor, eine jährliche Auszeichnung zu verleihen für die überraschendsten Leistungen in der Buchbranche: den Blindband in Gold, Silber und Bronze. Wir schlagen der Jury auch gleich die ersten Preisträger vor.
Der Blindband in Gold gehe an das Luchterhand-Team für die nachhaltigste Wiederbelebung eines ehrwürdigen, schon verloren geglaubten Verlagsnamens.
Der Blindband in Silber gehe an das Volk-und-Welt-Team für den reizvollsten Spagat zwischen Pflege anspruchsvoller Literatur (Ost-Erbe) und existenzsichernder Unterhaltung (West-Ware).
Der Blindband in Bronze gehe (schamloses Lobbying interessierter Kreise) an den Unionsverlag für das hartnäckigste Beharren auf Autoren mit den unaussprechlichsten Namen aus den unbekanntesten Gegenden.
Vergeben wir bei dieser Gelegenheit auch gleich einen Sonderpreis für herausragende Leistung auf dem Felde der Krähaktivität (den Blindband in Blech). Er gehe an den Suhrkamp Verlag für die kreativste Anwendung des Mille-Lire-Prinzips durch millionenfaches Anbringen neuer Preisetiketten.
An Sie, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, geht ein Großes Rundes Verdienstkreuz für die Bewältigung der Quadratur des Kreises, nämlich: bei festen Ladenpreisen, ehernen Rabatten, peinlichen Auslieferungspannen, steigenden Mieten, sinkender Kaufkraft und wankendem Niveau der Buchproduktion den Spaß an der Sache nicht zu verlieren.
Darum fallen Ihnen sicher auch zahllose Preisträger für die Blindbände des nächsten Jahres ein.
Mit vielen Grüßen aus Zürich
Lucien Leitess