Liebe Kollegin
Lieber Kollege
Sicher kennen Sie diese Anekdote: Was ist ein Verleger? – 30 % Literat, 30 % Buchhalter, 30 % Advokat, 30 % Werbetexter, 30 % Krankenschwester usw. Und wer es nicht über 100 % bringt, soll erst gar nicht anfangen.
Die 30 % Webmaster, die in diesem kleinen Hause noch dazukommen, sind auch nicht zu verachten.
Surfer A. sucht dringend für sein Mütterchen die Verfilmung vom »Purpursegel«, die sie einst so sehr geliebt hat. Auf der Webseite ist zwar schon ein Link darauf, aber Antwort wird immer gegeben.
Juan-Rulfo-Preis für Rubem Fonseca. Also aus den News der letzten sechs Stunden eine Seite kompilieren und das Bild mit dem strahlenden Laudator García Márquez einklinken. Zu dumm, dass die Redakteure der Nachrichtenagentur nicht nachschauen, was von Fonseca auf Deutsch lieferbar ist. Am Google-Ranking kanns nicht liegen. Bei der Suche nach dem Autor stehen unsere Webseiten zuoberst (Triumph jedes Webmasters).
Surfer Z. mailt freundlich, dass der Warenkorb nicht mehr funktioniert. Rein in den Code. Aha. Kürzlich wurde die Website wegen Verkauf des Providers auf einen anderen Server transferiert (ohne Ankündigung). Der pflegt als Dezimalzeichen das Komma, was mit dem Server der Datenbank kollidiert, der auf dem Punkt besteht. Zum Teufel. Nach solchem Tiefpunkt zum Trost ein neuer Eintrag im Gästebuch.
Derweilen tobt auf der Seite zu Aitmatows »Dshamilja« (»Wir sollten es für unsere Lehrerin lesen«) ein Meinungsstreit. »Dieses ewige rumgelaber über die landschaft und den gesang etc. ging mir echt aufn keks.« – »Also mir gefiel das Buch sehr sehr gut, toller Schreibstil und viele Emotionen perfekt zum Ausdruck gebracht.« Schreibfehler korrigiert der Webmaster, Beschimpfungen lektoriert er, konsequente Kleinschreibung wird toleriert. Zensur gibt es keine.
Thomas Wörtches metro-Newsletter wartet auf die Aussendung. Rezensent X. moniert, dass wir sein Quote ohne Auslassungspunkte gekürzt haben. Wie vermittelt man den Bildredaktionen, dass Umschläge und Porträts in Printqualität direkt heruntergeladen werden können? 17 Rezensionen der letzten Woche wollen freigegeben werden. Ist es richtig, die meistbesuchten Webseiten bekannt zu geben? Dass Microsoft Press unseren ISBN/EAN-Generator benutzt, freut sogar den Gates-Gegner.
Auf dem Netz oszilliert ein gigantisches Gewirr von Hirn- und Datenströmen. 5959 Besucher in den letzten sieben Tagen – ist das viel oder wenig? Wer sind sie? Irrläufer, wie der Mann, der »zwei frauen nackt« suchte und bei Djebars »Schattenkönigin« landete? Idealbesucher, die mehr wissen und auch lesen wollen?
Zur Stunde dokumentiert www.unionsverlag.com: 593 Titel und 595 Autoren, Übersetzer und Herausgeber mit 3156 Dokumenten, Stimmen, Rezensionen, dazu 820 Internet-Links. Die Website ist nicht nur unser Schaufenster, sie ist auch für uns selbst die zentrale Informationsquelle. So viel gibt es über die Bücher und Autoren zu berichten, was den Klappentext sprengt. Auf dem Netz ist es möglich.
Im Übrigen ist das Buch als Medium natürlich unübertroffen. Garantiert wireless, portable und strahlungsfrei. Es stürzt nicht ab, macht keinen Lärm, braucht kein Betriebssystem und ist auch in fünfzig Jahren noch lesbar. Es passt in jede Tasche und neben jedes Kopfkissen.
Mit vielen Grüßen aus dem Unionsverlag
Lucien Leitess