Maurice Maeterlinck, geboren 1862, auch »der belgische Shakespeare« genannt, wurde durch seine frühen Theaterstücke Prinzessin Maleine und Pelleas und Melisande bekannt und war einer der meist aufgeführten Theaterautoren seiner Zeit. Der Genter Dramatiker und Lyriker, der Automobile ebenso liebte wie seine Bienenstöcke, gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Symbolismus. 1911 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Er starb 1949 in Nizza.
Der belgische Schriftsteller Maurice Maeterlinck gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten des literarischen Symbolismus, der das gesamte Geistesleben um die Jahrhundertwende entscheidend beeinflusste, vor allem als Dramatiker und Lyriker. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit war er außerdem Bienenzüchter und experimenteller Botaniker. Er lebte das Leben eines wohlhabenden Homme de Lettres, dessen Werk vielfach verbreitet und aufgeführt, vertont und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. In Deutschland wurde es begeistert aufgenommen. Nach den ersten Erfolgen des damals noch völlig unbekannten Autors schrieb der österreichische Schriftsteller und Literaturkritiker Hermann Bahr 1891 im Magazin für die Literatur des In- und Auslandes: »Man konnte an dem neuen Namen nicht mehr vorbei. Er war ein Ereignis geworden, zu dem man sich stellen musste, so oder so.« Zwischen 1924 und 1926 erschien auf deutsch eine neunbändige Gesamtausgabe seiner Werke.
Maurice Polydore Marie Bernard Maeterlinck wurde am 29. August 1862 im belgischen Gent geboren. Seine Familie gehörte dem alteingesessenen flämischen, französisch sprechenden Bürgertum an und lebte in großzügigen Verhältnissen in Oostacker. Das Haus der Familie grenzte an den Kanal, der Gent mit Terneuzen verband, sodass die Schiffe beinahe durch den Garten zu gleiten schienen. Dieser Garten war weitläufig und üppig bewachsen, denn Maeterlinck-Père war passionierter Gärtner und Pflanzenzüchter. Die Kinder wurden von ausländischen Gouvernanten erzogen, die Deutsch oder Englisch mit ihnen sprachen, aber so häufig wechselten, dass die Kinder beide Sprachen zu einem Kauderwelsch vermischten.
Seine Schulzeit verbrachte Maurice Maeterlinck in der düsteren, mittelalterlichen Stadt Gent, im Jesuitenkolleg Sainte Barbe, eine nach seinem eigenem Bekunden sieben-jährige Tyrannei, während der »die Schüler unaufhörlich zwischen Himmel und Hölle schwankten, weil sämtliche Predigten sich um nichts anderes als die Hölle drehten«. Doch in Sainte Barbe schloss er auch Freundschaft mit Charles van Leberghe und Grégoire Le Roy, mit denen er erste dichterische Versuche unternahm. Die Eltern hatten allerdings für derlei literarische Interessen wenig Sinn und sahen für ihren Sohn einen juristischen Beruf vor. Diesem Wunsch entsprechend studierte Maeterlinck in Gent Jura.
Mit vierundzwanzig Jahren unternahm er eine erste Reise nach Paris, vorgeblich, um sich juristischen Studien zu wid-men. Lieber stürzte er sich allerdings ins literarische und künstlerische Leben der Stadt, wo er einige Vertreter der noch jungen symbolistischen Bewegung kennenlernte, darunter Mallarmé; Begegnungen, die zu ersten Gedichtveröffentlichungen in der jungen symbolistischen Zeitschrift La Pléiade führten. Dieser Paris-Aufenthalt hatte wesentlichen Einfluss auf Maeterlincks späteres Schaffen und bestärkte ihn darin, Schriftsteller zu werden. Nach sechs Monaten kehrte er jedoch nach Gent zurück und übte zunächst den Beruf eines Anwalts aus.
Im Jahr 1889 kam es im Leben des 27-Jährigen zu zwei einschneidenden Ereignissen: Von ihm selbst auf einer Handdruckpresse gedruckt, veröffentlichte er seinen Gedichtband Serres Chaudes und das Drama La Princesse Maleine, beide in einer Auflage von 30 Exemplaren. In einer überschwänglichen Rezension nannte der gefürchtete französische Romancier und Kritiker Octave Mirbeau im Pariser Figaro das Theaterstück ein Meisterwerk und rückte den unbekannten Autor in die Nähe Shakespeares. Maeterlinck war über Nacht berühmt geworden.
Das zweite, damit eng verknüpfte Ereignis war die Aufgabe des Anwaltsberufs, den er bislang ohne besonderen Elan ausgeübt hatte. Die ersten und letzten Fälle hatte er mit Aplomb vor Gericht verloren. Sein englischer Übersetzer, Gerard Harry, der ihn persönlich kannte, schrieb die Beendigung der juristischen Laufbahn jedoch nicht nur Maeterlincks dichterischen Neigungen zu, sondern auch seiner Stimme, die er – Maeterlinck wird sonst als Hüne beschrieben – als zu dünn und brüchig bezeichnete, um vor Gericht erfolgreich zu sein, sowie seiner Schüchternheit und seinem introvertierten Naturell.
Nach dem unerwarteten Erfolg von Princesse Maleine wurde Maeterlinck zu einer umschwärmten Figur, was er nur mühsam ertrug. Er begann die Öffentlichkeit zu meiden und kümmerte sich nicht einmal um die Aufführung seiner Werke. Zurückgezogen lebte er weiterhin in Oostacker, schrieb, widmete sich seinen Bienen, ruderte, radelte, ging spazieren, und im Winter lief er Schlittschuh. Von seinem Fenster aus hatte er Ausblick auf die weite flämische Landschaft mit ihren Marschen, Tümpeln, Eichen- und Kiefernwäldern und zwischen mächtigen Weiden auf einen düsteren Kanal.
In diesen Genter Jahren zwischen 1889 und 1896 entstanden neun frühe Dramen, die berühmtesten neben La Princesse Maleine sind L’Intruse, Les Aveugles und Pelléas et Mélisande (von Claude Debussy als Oper vertont). Diese Stücke nehmen viele Merkmale des modernen Theaters vorweg, dessen Ästhetik er wesentlich beeinflusste: äußerste Reduktion, Aufhebung der traditionellen Raum-Zeit-Bezüge, Verzicht auf die Darstellung sozialer und psychologischer Konflikte, Rückzug aus dramatischer Aktion in die Innerlichkeit. In eindringlicher Weise werden das Ausgeliefertsein des modernen Menschen an ein unbekanntes Schicksal und die Unfähigkeit zur Kommunikation verhandelt. Maurice Maeterlinck, so schrieb Antonin Artaud begeistert, habe als Erster »den vielfältigen Reichtum des Unbewussten in die Literatur eingeführt«. Neben der Arbeit an seinen Dramen übersetzte Maeterlinck in diesen Genter Jahren auch den flämischen Mystiker Jan van Ruysbroeck sowie Novalis’ Die Lehrlinge zu Sais ins Französische und verfasste ein Vorwort zur französischen Ausgabe der Essays Ralph Waldo Emersons.
Jenseits aller poetologischen Neuerungen spiegelten die frühen Dramen in ihrem Pessimismus und Fatalismus sowohl Maeterlincks persönliche Grundstimmung als auch die Stimmung und den Zeitgeist des Fin de Siècle wider. Hermann Bahr beschrieb es so: »Äußeres vermag er nicht zu gewahren, geschweige denn zu gestalten. Äußeres Leben zu bilden versucht er nicht einmal. Kein wirklicher Mensch wird ihm, keine wirkliche Handlung. Die Gestalten, welche er formt, sind nur Zeichen seiner Sensationen, die von seinen Stimmungen auf die Welt geworfenen Schatten, und die Ereignisse, welche er häuft, sind nur Symbole vieler Geschichten in den Nerven … Die Personen, die Handlung, die Dekoration, jede Gebärde, jedes Wort – alles folgt nur dieser Absicht: die Nerven in eine bestimmte Verfassung zu bringen.«
Doch diese frühen Dramen wurden nicht überall als die bedeutende Neuerung wahrgenommen, die sie tatsächlich waren und die auf Camus’ Sicht des Absurden und den modernen Menschen im Theater Becketts oder das Parabeltheater Bertolt Brechts vorauswiesen. Das nicht zuletzt weil Maeterlinck selbst sich in den folgenden Jahren von seinem Frühwerk distanzierte, sich von Fatalismus und Reduktion abwandte und optimistischere, opulentere Bildwelten suchte. Diese Veränderung markiert einen von der Kritik immer wieder hervorgehobenen Bruch in seinem Werk, der in etwa mit der Jahrhundertwende und Maurice Maeterlincks Begegnung mit Georgette Leblanc zusammenfiel.
Er lernte die französische Sängerin und Schauspielerin 1895 kennen und verliebte sich in sie. Ihr zuliebe zog er nach Paris. Nach einigen Jahren wurde ihm die Hektik des großstädtischen Lebens jedoch zu viel. 1907 zog er mit Leblanc in die Normandie, in die ehemalige Benediktinerabtei Saint-Wandrille, wo er von nun an die Sommer verbrachte. Den Winter über lebte er in der Villa »Quatre Chemins« in der Nähe von Grasse. Leblanc beschrieb das Leben des beinahe 50-jährigen Maeterlinck so: »Er ist klug genug, seine Schwäche (das Pfeifenrauchen) zu zügeln, mit seinen Kräften zu haushalten und nach seinen Möglichkeiten zu leben. Er schreibt unentwegt. Morgens steht er früh auf und kümmert sich um den Garten und seine Bienen wie seit fast 30 Jahren. Dann arbeitet er exakt zwei Stunden. Danach geht er wieder ins Freie, rudert, fährt Rad oder Auto oder macht einen Spaziergang. Abends liest er und geht früh zu Bett.«
In den Jahren mit Leblanc veröffentlichte Maeterlinck zunächst seinen ersten Essayband, Le Trésor des Humbles (1896) und im gleichen Jahr das Drama Aglavaine et Sélysette. 1902 entstand Monna Vanna, mit dem Maeterlinck zwar das große Publikum gewann, jedoch viele Bewunderer seiner früheren Dramen verlor, so in Deutschland Rilke, der sich enttäuscht von ihm abwandte. 1911 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. In der Preisrede hieß es: »Maurice Maeterlinck schreibt mit der Vorstellungskraft eines Schlafwandlers und dem Geist eines träumenden Visionärs, aber immer auch mit der Präzision eines großen Künstlers.«
Eine wichtige Rolle für die Rezeption von Maeterlincks Dramen spielte schließlich der Erste Weltkrieg, als allerorten nationalistische Interessen gegenüber den künstlerischen die Oberhand gewannen. Maeterlinck, ein Verehrer deutscher Literatur, Kunst und Philosophie, verwandelte sich nach dem deutschen Einmarsch in das neutrale Belgien in einen grimmigen Deutschenhasser, der in der englischen Daily Mail erklärte, der Hass Belgiens und Frankreichs auf Deutschland müsse »ewig währen«. Diese Ausfälle bewirkten, dass seine deutschen Schriftstellerfreunde ebenso ausfällig wurden und sich von ihm abwandten. Der Kritiker Emil Lucka schrieb 1914 in der Frankfurter Zeitung: »Bis zu seinem 52. Jahr hat Maeterlinck kein ungebrochenes, lautes Wort gesprochen. Er ist ein scheuer Vogel, der weder das volle Licht der Sonne ertragen kann noch die Ruhe der Nacht, und den es immer ein wenig friert. Maeterlinck hat nicht gesungen, sondern gesäuselt, nicht Gedanken entwickelt, sondern gepredigt. Und dass er es vermocht hat, seinen halben Gefühlen neue Bilder und einfache Worte zu finden, das hat ihn zum berühmten Dichter gemacht. … Aber plötzlich hat sich etwas Seltsames begeben: Im Verlauf einiger Wochen ist der Mann des Flüsterns zum lautesten Schreier auf dem Markt geworden.«
Auch sein wichtigster deutscher Übersetzer, Friedrich von Oppeln-Bronikowski, der sich für Maeterlinck eingesetzt hatte und teilweise als sein Agent auftrat, brach die Beziehung ab, wie er 1919 in einem Brief an das angesehene Literarische Echo öffentlich wissen ließ. In diesem Schreiben führt er ins Feld, dass Maeterlinck seinen Weltruhm und in der Folge auch den Nobelpreis vor allem der enthusiastischen Aufnahme in Deutschland zu verdanken habe – etwas vermessen angesichts der Tatsache, dass nicht nur Max Liebermann, sondern auch Stanislawski Maeterlinck aufführte und dass zwischen 1909 und 1911 allein in den USA an die 250 Produktionen seiner Stücke auf die Bühne kamen. Monna Vanna wurde in Berlin 250 Mal aufgeführt, die Buchausgabe erreichte eine Auflage von 29 000 Exemplaren, wie Friedrich von Oppeln-Bronikowski schrieb, der damit einen großen Teil seiner Lebensarbeit zusammenbrechen sah. Er hatte lange sehr erfolgreich mit Maeterlinck zusammengearbeitet, der seine Übersetzungen mit folgenden Worten gelobt hatte: »Ich wusste nicht, dass die Verdeutschung dieses Genres [der Gedichte], das immer so schwierig ist, zu gleicher Zeit so durchdringend, so wortgetreu und so originell in aller Worttreue, so harmonisch und präzis sein könnte.«
Maurice Maeterlinck war nicht nur Dichter und Dramatiker, sondern auch Denker und Essayist; philosophische Schriften durchziehen sein gesamtes Werk. Auch hier setzte er sich mit den Grundfragen menschlicher Existenz auseinander, mit Leben und Tod, Seele und Mysterium. Er machte sich kriti-sche Gedanken zum Theater, zum Okkultismus, auch zu Themen wie dem Automobil und dessen Tempo (er war lei-denschaftlicher Autofahrer) oder dem Boxkampf (gelegentlich stieg er selbst in den Ring).
Eine eigene kleine Gruppe bilden seine naturphilosophischen Werke. La Vie des Abeilles (1901), die beiden Essaybände Le Double Jardin und L’Intelligence des Fleurs (1905, mit Aufsätzen zu verschiedenen Themen), La Vie des Ter-mites (1926) und La Vie des Fourmis (1920). Von diesen naturphilosophischen Betrachtungen wurde Das Leben der Ameisen, in dem Maeterlinck das Wunder der Schöpfung feiert, am meisten gelesen und bereits bei Erscheinen als moderner Klassiker gelobt. In bis dahin unbekannter Weise vereinigte er Poesie und Wissenschaft und beschrieb zutiefst persönlich, in einer lebhaften, kunstvollen Sprache, gleichzeitig mit wissenschaftlicher Akribie, die Wunder des Bienenstaats. Auf die Frage nach Sinn und Geheimnis des Lebens und der Arbeit, die sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk zieht, glaubte er, im Bienenstaat eine Antwort zu finden.
Bereits 1911 hatte Maeterlinck die achtzehnjährige Schauspielerin Renée Dahon kennengelernt und ein Verhältnis mit ihr begonnen. 1918, nach 23 Jahren des Zusammenlebens, trennte er sich von Georgette Leblanc und heiratete 1919 Dahon. Im selben Jahr wurde er für seine literarischen Ver-dienste vom belgischen König Albert I. in den Grafenstand erhoben. 1919/1920 unternahm er eine ausgedehnte Lesereise in die USA und schrieb auf Drängen Hollywoods mehrere Drehbücher, von denen jedoch kein einziges verfilmt wurde. 1930 erwarb er ein Schloss in der Nähe von Nizza, das er »Orlamonde« nannte. Dort lebte er mit Renée Dahon. 1939 floh Maeterlinck vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Belgien und Frankreich über Lissabon in die USA. Erst 1947 kehrte er nach Südfrankreich zurück. Maurice Maeterlinck starb am 6. Mai 1949 in Orlamonde an einem Herzschlag. Er war 87 Jahre alt geworden.
Seit den Zwanzigerjahren hatte Maeterlinck keine Antworten mehr auf die Fragen seiner Zeit gefunden. Seine Dramen wurden nur noch selten aufgeführt. Der einstige Verfechter von gerechten Sozialordnungen, der öffentlich Generalstreiks unterstützte und die Ansprüche der in Armut Geborenen in berückende Worte fasste, rückte nach rechts. Maeterlinck verteidigte die Kollaboration des im Lande verbliebenen Königs Leopold III. mit den nationalsozialistischen Besatzern und erwies, während eines Aufenthalts in Portugal, dem Diktator Salazar seine Reverenz. Es ist, als habe in seiner Weltsicht der kalte, harte Termitenstaat (Das Leben der Termiten, 1926) gegen den zauberischen, lebensvollen Bienenstaat (Das Leben der Bienen, 1901) den Sieg davongetragen.
Erst in den letzten Jahren wird der frühe Maeterlinck neu entdeckt. Inszenierungen von Christoph Marthaler, Tim Krohn und anderen, Lesungen und Reeditionen wie die Vorliegende bringen jenen Maeterlinck zurück ans Licht, der sich die Fragen auch unserer Epoche stellte.