Der typische oder auch atypische Übersetzer, der Mensch, der haareraufend um Vokabeln ringt, oder jener, der selbstquälerisch an frischem Koriander schnuppert, bis ihm die duftmalende Formulierung in die Nase steigt, der maulfaule Grübler oder der ekstatische Wortjongleur, der Wegbegleiter und mitunter sogar Wegbereiter großer Schreiber – kurzum, der begeisterte Stubenhocker im ewigen Schatten der Weltliteratur, dem Verleger Leitess soeben eine längst überfällige Hommage schrieb … dieser Mensch bin ich nicht. Und dass ich »meinem« Autor gar die Koffer tragen werde, wenn er lesereisend durch die Lande zieht, das bleibt mir gewiss erspart, denn »er«, Chester Himes, wird auf dieser Welt zu keiner Reise mehr antreten. Wer dieser Mann war und was ihn bewegte, ich werde es nicht mehr authentisch erfahren, und ein Rätsel wird mir auch bleiben, warum sich unsere Wege kreuzten.
Es war einer jener schweißgetränkten Sommertage, die ich so sehr liebe, als mir ein simpler Anruf aus Zürich einen Berg an Arbeit verkündete. Ein großer Krimiautor sollte neu aufgelegt werden. »Machen Sie etwas daraus, mit der alten Übersetzung ist niemand froh geworden. Sie schaffen das schon.« Krimi? Übersetzung? Morde in Harlem?
Auf der anderen Seite des Globus, in einer Kultur, die Amerika vielleicht so fern ist wie keine andere, habe ich zur Weisheit der englischen Sprache gefunden. Meine Lehrer hießen Mr Singh, Miss Kapoor, Mr Chaudhuri, Mrs Paramalingam, ich habe sie weder zählen noch näher kennenlernen können, doch sie alle vermochten mir glaubwürdig zu vermitteln, dass man fühlen muss, um zu hören. »Pliiss, tääk sham shnääks!«, hieß es etwa, und ich musste vorwegahnen, dass jetzt keine Schlangen, sondern Snacks auf den Tisch kamen. Irgendwann in diesen Jahren in Indien war es mir ins Blut übergegangen, wir verstanden uns, über die englische Sprache, das ist korrekt, aber sie war kein sperriges Vehikel mehr, sondern ein Werkzeug der Seele.
Noch heute muss ich manche Vokabel nachschlagen, weil das Oktavenheft in meinem Kopf offensichtlich gegen allerlei Einträge rebelliert, aber seltsamerweise stellt sich meistens heraus, dass ich den Sinn ohnehin erfasst hatte. Und die Sprachmelodie sowieso. Über Probleme, bat Frau Grünfelder vom Lektorat, solle ich berichten, die Leser würden das dann aus dem Internet picken. So leid es mir tut, ich hatte keine. Chester und ich, wir verstanden und verstehen uns prächtig.
Das überrascht nicht weiter, denn wir haben manche Gemeinsamkeit, etwa die, dass wir beide niemals in Harlem waren. Gerade deshalb begreife ich nur zu gut, warum er seinen Detectives so penibel uptown downtown durch die numerierten Avenues und Streets folgt, darauf besteht, dass ein Haus vier und nicht fünf Stockwerke hat und uns sogar verrät, wo uns eine Einbahnstraße zum Umkehren zwingt. Ich habe diese wilde Hatz durch die Häuserschluchten New Yorks auf dem Stadtplan mitverfolgt und mich jedesmal gefragt, warum die Passagen in den alten Übertragungen so kräftig gekürzt wurden.
Wahrscheinlich war die Zeit noch nicht reif. American Graffiti wurde erst später zum Kultfilm, den Wallace-Fans gruselt es noch bei Kinskis Augenrollen, und Spannung hatte unumstößliche Gesetze. Darum sucht man in der deutschen Erstausgabe auch vergeblich nach meiner Lieblingsszene in Run, man, run: Im Kühlraum eines Schnellrestaurants liegt die Leiche von Fat Sam, übergossen mit der Geflügelsauce, die Sam so fat gemacht hatte. Doch statt nun Fensterputzer Tony, den ersten potenziellen Zeugen, geradewegs zum Tatort zu führen, beschreibt Himes erst einmal minutiös, wie Tony die Scheiben des Restaurants wienert.
Das bewusste Abbremsen von Spannung als Stilmittel eines Krimis? Als ich die ersten Probetexte ablieferte, hatte ich das auch noch nicht so recht begriffen. Halten Sie sich zurück, hieß deshalb der kluge Rat aus dem Lektorat, und er bezog sich auch darauf, dass ich mich zu manchen sprachlichen Purzelbäumen verstiegen hatte. Das lag zum einen daran, dass mir in meiner Jugend im Ruhrgebiet der Schnabel ziemlich schräg gewachsen war und ich in Harlem plötzlich schräge Vögel meiner Erinnerung wiedererkannte.
Zum zweiten fällt es jedem, der sich dem Wort verschreibt, besonders schwer, sich in Selbstbeschränkung zu üben. Zum dritten aber ist es Himes selbst, der schwarze Dirigent, der mit seinem beständigen Aufruf zum ritardando genau das Gegenteil bewirkt, nämlich einen rasenden Film in unseren Kopf pflanzt. Dieses auch in der deutschen Fassung zu erhalten, war mein vorrangiges Ziel.