Geboren wurde ich im Februar 1957 in Shiraz. Im Gegensatz zu anderen Kindern wusste ich schon sehr früh, was ich einmal werden wollte: Schriftsteller. Da ich aber wusste, dass ich auch unabhängig von meinem Studium Literatur lesen würde, entschied ich mich dafür, Politikwissenschaften zu studieren. Ich wollte kein Schriftsteller werden, der kein Bewusstsein von der Welt hat und ganz entrückt vor sich hinschreibt.
Jahrelang habe ich nur für mich geschrieben. Niemand wusste davon und ich wollte auch nicht, dass jemand meine Texte las. Und genauso lange habe ich für mich allein gelesen, eine Unmenge an schlechten Büchern, bis ich lernte, ein gutes von einem schlechten Buch zu unterscheiden. In all diesen Jahren habe ich es unterlassen, einen meiner Texte zu publizieren. Ich wollte nicht, dass jemand meine ersten, unbeholfenen Schreibversuche sieht. Ich wartete, bis die Zeit reif dafür war.
Die Revolution von 1979 erlebte ich hautnah mit. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Schriftsteller nur dann gut schreiben kann, wenn er weiß, wovon er spricht. Wo auch immer Menschen von Ungerechtigkeit und Krieg bedroht werden, wo auch immer jemand einen Hauch von Glück erfährt, wo auch immer ein Schluchzen, ein Schreien, ein Flehen zu vernehmen ist, wo auch immer ein Lachen die Schreckenszeiten für einen Moment vergessen lässt, muss der Schriftsteller sein. Leid und Freude müssen in Fleisch und Blut des Autors übergehen. Als der Golfkrieg ausbrach, trat ich dem Militär bei. Nach der Grundausbildung wurde ich der „Shiraz-Infanterie“, einer Übungseinheit in meiner Heimatstadt, zugeteilt, meldete mich aber freiwillig für die Front. In mehr als achtzehn Monaten habe ich als außerordentlicher Offizier der 191. Infanterieeinheit an unterschiedlichen Fronten der westlichen Grenze gekämpft. Ich habe den Krieg gesehen. Ich habe gelernt, was Leben und Tod wirklich bedeuten.
In langen, dahinkriechenden Stunden heißer Sommertage und in klirrend kalten Nächten auf den Gipfeln schneebedeckter Berge, in Schützengräbern und Erdlöchern, verzweifelt und allein, bedeckt mit einem Staubfilm oder zuweilen auch von Läusen, habe ich im Licht einer Paraffinlaterne zu schreiben begonnen und auf die einschlagenden Granaten gewartet. Wenn eine der 120mm-Mörsergranaten, ihre Flugrichtung abgelenkt durch einen sanften Windstoß oder auch nur durch ein Sandkörnchen, oberhalb unseres Schützengrabens landete, kratzte sie an unserem Fleisch, und wenn sie in der Nähe explodierte, erinnerte uns ihr Rauch daran, dass wir gerade knapp dem Tod entronnen waren. In dieser Umgebung schrieb ich und lauschte dem Geräusch der feindlichen Granaten. Sie flogen nicht länger als für ein paar Sekunden. In der kurzen Zeit bis zum Einschlag konnte ich höchstens ein Wort schreiben. In diesem einen Wort steckte meine ganze Existenz, all meine Stärke und Schwäche. Es ließ mich die Bedeutung eines jeden Wortes erkennen. Es verlieh mir das Gefühl, inmitten von Angst und Wahnsinn, in die Nähe von großer Literatur zu gelangen.
Jedes Mal, wenn eine Kugel oder ein Schrapnell an mir vorbeiflog, jedes Mal, wenn ich mich meiner Beine vergewissern konnte, nachdem ich ein Minenfeld überquert hatte, und jedes Mal, wenn die besten Soldaten, meine Freunde, meinen Namen schrien und ihr Leben in meine hilflosen Hände legten, die ich auf ihre blutige Wunden drückte, habe ich, ängstlich und mit beschämender Erleichterung, nicht in ihrer Situation zu sein, die Schönheit und Kostbarkeit des Lebens erkannt.
Nach meinem Militärdienst konnte ich mich enorm glücklich schätzen, Houshangh Golshiri als ersten Leser und Kritiker meiner Texte zu haben. Mittlerweile wusste ich, wie man eine gute Geschichte schreibt, aber erst durch die kritischen Anmerkungen dieses großen Schriftstellers begriff ich, was es heißt, wirklich in die eigene Fantasie einzutauchen, um einen nuancierten Plot zu entfalten. Ohne Golshiri hätte ich Jahre für diese Erkenntnis gebraucht.
Mit seiner Unterstützung wurde mein erster Text im Magazin Majaleh Mofeed veröffentlicht. Ich werde niemals den Moment vergessen, als ich das erste Mal meine Geschichte abgedruckt gesehen habe. Ich stand auf dem Gehweg der Karim-Khan-e-Zand-Straße in Teheran. Die untergehende Sonne, der Asphalt, die staubbedeckten Bäume, die Passanten – alles schien mir verändert. Dann und wann wagte ich einen flüchtigen Blick auf Männer und Frauen aus meiner Umgebung und rätselte, ob sie meine Geschichte gelesen hatten. Wenn sie tatsächlich meinen Text gelesen hatten, wären wir nicht länger Fremde. Und genau dieses Gefühl, dass in den Köpfen von mir unbekannten Menschen meine Worte und die Figuren meiner Geschichte widerhallten, dass mein Leid, aus der die Geschichte entstand, Worte und der Tod von Herrn Faravaaneh, der Protagonist meiner ersten Publikation, jetzt bei ihnen aufgehoben waren, ließ die Welt für mich neu, ungewohnt und mitfühlend erscheinen.
Von diesem Zeitpunkt an wusste ich, dass ich mich nicht länger verstecken konnte, dass meine Anonymität schwinden würde. Stück für Stück würde ich das sichere Gefühl eines Unbekannten verlieren, und ich könnte auch nicht mehr unerkannt durch die Straßen gehen. Ich fühlte mich nackt, ausgestellt, exponiert.
Meine erster Erzählband, Shadows of the Cave, wurde 1989 veröffentlicht. Der zweite, The Eighth Day of the Earth, 1992. Doch dann, obwohl ich weiterschrieb, gelangte bis 1997 keiner meiner Texte zur Publikation und meine Manuskripte, die nur darauf warteten, zum Leben zu erwachen, setzten Staub an. Aufgrund der Druck- und Veröffentlichungsschwierigkeiten im Iran wurden meine Texte von einem Verleger, dem gerade die Lizenz entzogen worden war, zum nächsten gereicht. Manches Mal fehlte einem Verleger der Mut, meinen Roman dem Ministerium für Kultur und Islamische Führung zur Genehmigung vorzulegen, oder eines meiner Bücher fiel der Zensurbehörde zum Opfer und wurde wegen „problematischer Textstellen“ abgelehnt und an den Verlag retourniert. Schließlich, im Jahr 1997, nach der Wahl des reformistischen Präsidenten Mohammad Khatami am 23. Mai, gelangten vier meiner Bücher zur Veröffentlichung, darunter auch eine Geschichte für Kinder.
In diesen Jahren habe ich als Bibliothekar gearbeitet. Ein Beruf, dem ich nicht nur wegen meiner Liebe zu Büchern gerne nachging, sondern auch, weil ich es für eine Pflicht halte, einen, wenn auch noch so kleinen, Teil zur Rettung und Unterstützung unserer verwundeten Kultur beizutragen. (Und das unter erschwerten Bedingungen: Nur ein geringer Teil der iranischen Bevölkerung liest regelmäßig.)
Ich bin verheiratet. Seit 1983 bin ich Vater von Baaraan und seit 1993 von Daniel. Darauf bin ich sehr stolz. Meiner Familie stehe ich für ihre Güte und Unterstützung in ewiger Schuld: Ich danke meinem Vater, meiner Mutter und meinen wundervollen Schwestern. Meine Frau beneide ich um ihre Geduld. Jahrelang hat sie ein Leben mit mir, einem verbitterten und schwermütigen Mann, ertragen.
Ich hatte immer gehofft, dass Shiraz – einst Zentrum der persischen Kultur – eine Literaturzeitschrift beheimaten würde. Zusammen mit Freunden habe ich mehrmals dafür gekämpft. All unsere Bemühungen verliefen aber nach kürzerer oder längerer Zeit im Sand. Von 1999 bis 2009 war ich Chefredakteur der Literatur- und Kunstzeitschrift Asr-e Pandjshanbeh (Donnerstagabend), die aus politischen Gründen eingestellt wurde.
Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an den Moment, als ich mit dem Schreiben begann. Es war ein Herbstmorgen, ich war in der vierten Klasse. Ich entschied mich, meinen Schulaufsatz selbst zu schreiben. Zuvor hatte das immer meine Mutter gemacht. Auf einem Teppich im Garten unter der wohlig warmen Sonne von Shiraz begann ich den Aufsatz mit dem Thema „Beschreibe den Herbst“. Die wundersame Entdeckung, schreiben zu können, bleibt immer in meinem Herzen. Die Wörter sprudelten aus mir heraus, es fiel mir ganz leicht – es war mir nicht ganz geheuer. Zum erhofften Wohlgefallen meiner Lehrer und ihrer Lehren beschrieb ich mit leidenschaftlichen Worten und oberflächlicher Schönheit, wie die gelben und orangenen Blätter tanzend von den Bäumen fielen, ich schrieb von einem Lied, das der Flöte eines Schäfers entwich und von unschuldigen, glücklich grasenden Schafen. Ich schrieb von wunderschön goldenen Sonnenstrahlen, die auf goldene Weizenfelder fielen und in gleicher Weise beschrieb ich, wie der Wind durch die Felder strich, die voller Vergebung darauf warteten, geerntet zu werden. Wieder und wieder habe ich sie beschrieben und war mir sicher, dass ich dafür eine ausgezeichnete Note erhalten würde. In der Klasse nahm ich meinen Mut zusammen und meldete mich freiwillig, meinen Aufsatz vorzulesen. Doch kaum las ich den Satz mit den goldenen Weizenfeldern vor, fauchte mich der Lehrer an: „Junge, Weizen wird nicht im Herbst golden!“ Ich las weiter und als ich zur Stelle mit der Ernte kam, unterbrach mich der Lehrer abermals harsch: „Dummkopf, Weizen wird nicht im Herbst geerntet!“ Er setzte eine schlechte Note unter den Aufsatz, in den ich all meine Hoffnung gelegt hatte, auf den ich so stolz gewesen war, und schickte mich zurück an meinen Platz. Ich hatte einen Kloß im Hals. Viel Zeit ist seit diesem Tag vergangen und viele Weizenfelder wurden seither vor dem Herbst geerntet und ebenso viele begannen im Frühling wieder von Neuem zu reifen, aber ich schreibe immer noch von diesem fröhlichen Herbsttag, an dem mein eigenes kleines Weizenfeld geerntet wird. Ob golden oder nicht, befallen oder gesund, ertragreich oder karg, wie es auch immer beschaffen sein mag, es ist ein Weizenfeld, das ich selbst erschaffen habe.
So habe ich all die Jahre über geschrieben, und werde es wohl auch in den kommenden Jahren tun. Wenn ich zurückschaue, bereue ich meinen eingeschlagenen Weg nicht, und auch nicht das Leben, das ich gelebt habe, mit all seinem Schmerz und Kummer. Heute bin ich unbeschwert und zufrieden. Nur nicht, wenn ich daran denke, wie viele Hindernisse mir in den Weg gelegt wurden und mich vom Schreiben abhielten. Oder daran, dass ich noch mehr – oder zuweilen geistreicher – hätte schreiben können.