Im Gedränge von Teherans verkehrsreichen und nach Abgas stinkenden Straßen, zwischen Minaretten und Märkten, Internetcafés und Gärten kann man vielleicht einen Blick auf Dara und Sara erhaschen, wie sie verbotene Blicke austauschen, während ihre Finger flink Nachrichten ins Handy tippen.
»Im islamischen Iran dürfen unverheiratete Verliebte nicht durch die Straßen spazieren oder im Park auf der gleichen Bank sitzen«, erklärt Mandanipur diese verborgenen Liebesbezeugungen. Aber wenn jede Sekunde des Zusammenseins eine Gefahr für das fiktionale Paar darstellt, dann bedeutet jedes Wort, das Mandanipur über diese Liebesbeziehung schreibt, eine wirkliche Gefahr für ihn und eine mögliche Verhaftung. »Mit den Worten, die wir wählen, setzen wir unser Leben aufs Spiel«, sagt der iranische Schriftsteller und bringt damit die Macht der Zensoren in seiner Heimat zum Ausdruck. Es ist also kein Zufall, dass Censoring an Iranian Love Story – der erste Roman Mandanipurs, der ins Englische übersetzt wurde – in den USA geschrieben worden ist. 2006 wurde Mandanipur, der 1957 in Schiras (»der Stadt der Dichter«) geborene wurde, als Dozent an die Brown University, Rhode Island, eingeladen und zog in die Staaten.
Die Idee für Censoring an Iranian Love Story kam Mandanipur, da »die Studenten [ihn] lediglich nach der Beschaffenheit der Zensur im Iran fragten, und nie, was es denn für Literatur sei, die da zensiert werde«, was ihn anfänglich sehr ärgerte. In Mandanipurs letztem Roman treffen sich zwei Geschichten: die des Schriftstellers Shahriar, der seit Jahren mit Herrn Petrowitsch kämpft, dem mächtigen Zensor im Ministerium für Kultur und Islamische Leitung, und die von ihm geschriebene Liebesgeschichte von Dara und Sara. In den verstaubten Gängen der Bibliothek und dank verschlüsselter Botschaften in ihren Lieblingsbüchern kommen sich die Verliebten näher. Und während der Leser Daras Werben um Sara verfolgt, folgt er auch Shahriars Überlegungen, wenn dieser Worte und Sätze durchstreicht, von denen er weiß, dass sie der Zensur unterliegen würden.
Was ursprünglich als Kurzgeschichte angelegt war, hat sich zu einem Roman entwickelt, und während Mandanipur daran arbeitete, hatte er die ganze Zeit Sehnsucht nach seiner Heimat. Trotz seiner Liebe zu seinem Land erklärte er: »Ich bin kein Schriftsteller des sozialen Realismus, aber die Zensur im Iran wurde dermaßen verschärft, dass ich nicht länger schweigen konnte, deshalb habe ich ein Buch über die Zensur geschrieben.«
Je stärker Mandanipur seinem Leid Ausdruck verschaffte, desto umfangreicher wurde seine Akte bei der iranischen Geheimpolizei. Dies entsprach sicherlich nicht dem, was sich der damals 22-jährige Zeitzeuge der Islamischen Revolution von 1979 wünschte. Die Revolution lebte vom Wunsch nach Freiheit und war eine Antwort auf die immer stärker werdende Unterdrückung durch dir Regierung des Schahs.
»Wir wollten Freiheit«, so Mandanipur, »und dann haben wir erneut verloren. Wir hatten alle eine romantische Vorstellung von der Freiheit und keine Idee davon, wie es weitergehen sollte. Nachdem die Revolution geglückt war, wussten wir nicht, was wir wollten. Ein paar wenige wussten es, und die kamen an die Macht.« Eigentlich sollte die Demokratie siegen, stattdessen haben »Menschen, die cleverer waren als wir Rebellen, die Autorität an sich gerissen«.
Der heutige Iran ist voller Widersprüche. Er ist ein Ort, an dem religiöse Traditionen und ein reichhaltiges kulturelles Erbe auf moderne Phänomene treffen. »Stellen Sie sich Robin Hood vor, wie er auf seinem Pferd durch die Straßen von London galoppiert«, stellt Mandanipur einen Vergleich an. »Im Iran sehe ich Geister von Figuren aus Tausendundeine Nacht in einer modernen Welt.« Der Kontrast zwischen Alt und Neu könnte nicht besser veranschaulicht werden als durch die im Sommer 2009 abgehaltenen Präsidentschaftswahlen, aus denen Mahmud Ahmadinedschad als Sieger hervorging. Sein Gegner Mir Hossein Mussawi ist Reformist und hat während der ganzen Kampagne für mehr Meinungsfreiheit plädiert, er hat sich für ein privates, nicht von der Regierung finanziertes Fernsehnetz ausgesprochen und die Abschaffung der Sittenpolizei gefordert, die in Irans Straßen patrouillieren. Seit Ahmadinedschad an der Macht ist, ist die Zensur noch strenger geworden.
Viele von Mandanipurs Leidensgenossen beteuern, dass die Zensur sie veranlasst habe, auf Symbole und Metaphern zurückzugreifen – eine gefährliche Methode, wie Mandanipur findet. In den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts waren seine Bücher sieben Jahre verboten. 1997 entgingen unter dem reformistischen Präsidenten Mohammad Chātami dann gleich vier Romane dem Stift des Zensors. Die Zensur ist nicht bloß ein Büro, in dem Angestellte ein Buch zerschnippeln. »Es ist ein gesellschaftliches System, das die Menschen zwingt, sich gegenseitig ›auszulöschen‹. Die Zensur macht aus normalen Menschen fanatische Anhänger einer bestimmten Ideologie. Sie lässt die Leute glauben, dass es ein ›uns‹ und ein ›die‹ gibt und dass ›die‹ ausgelöscht werden müssen«, sagt Mandanipur.
Aber anders als die westlichen Medien uns glauben machen, hat der Großteil der iranischen Bevölkerung – etwa siebzig Prozent sind unter dreißig Jahre alt – keine Aversion gegenüber den Vereinigten Staaten. Barak Obamas rhetorischer Annäherungsversuch an die muslimische Welt vom 4. Juni 2009 mag ein Neubeginn für die angeschlagenen Beziehungen zwischen den beiden Staaten sein. Dennoch behagt die Situation Mandanipur nicht: »Es ist nicht einfach, in einem Land zu leben, dessen Präsident einen Angriffsplan auf deine Heimat vor sich liegen hat.«
Mandanipur wünscht sich etwas anderes. Er beschreibt die Lebendigkeit, mit der sich iranische Jugendliche amerikanische Musik und Filme auf dem Schwarzmarkt kaufen, und fügt hinzu: »Ich hoffe, die Amerikaner schicken statt ihren Bomben ihre Literatur in den Iran. Auch glaube ich nicht, dass der Iran eine Atombombe benötigt. Unsere Literatur und unsere Kultur sind unsere Waffen – doch genau die werden von der Regierung unterdrückt und verfolgt.«
Big Issue, Juni 2009