Youssef Rakha traf Mansura Eseddin nach der Präsentation ihres zweiten Romans Hinter dem Paradies (eine Kombination aus psychologischem Thriller und Bildungsroman) zu einem Gespräch über die Unterscheide zwischen ihren beiden Romanen und über die Überschneidungen zwischen Eseddins Leben und Werk.
Obwohl sie gerade mal drei Bücher innerhalb eines Jahrzehnts publiziert hat, ist Mansura Eseddin (geboren am 22. März 1976) in der Literaturszene sehr präsent. Sie ist Literaturredakteurin beim beliebtesten kulturellen Wochenmagazin des Landes, Akhbar al-Adab, wo sie seit ihrem Universitätsabschluss 1998 arbeitet. 2001 publizierte sie – inzwischen bereits mit einem jungen Schriftstellerkollegen verheiratet, den sie bei Akhbar al-Adab kennengelernt hatte – ihr erstes Buch, einen Erzählband mit dem Titel Flackerndes Licht, und wurde einhellig gelobt von ehemaligen Lehrern, Mentoren und Bewunderern, darunter auch wohlbekannte Persönlichkeiten wie der Kritiker Mohammad Badawi, der Autor Gamal El-Ghitani (Herausgeber von Akhbar al-Adab) und der inzwischen verstorbene Philosoph Mahmoud Amin El-Alim. In den darauffolgenden zwei Jahren hat Eseddin Schwangerschaft und Geburt ihrer Tochter erlebt sowie den Tod ihrer Mutter verkraften müssen; Erfahrungen, die sie zunächst verinnerlicht und später dann auch schreibend verarbeitet hat. Sie schreibt jeden Tag, auch wenn ihr neben Arbeit und Familie nicht viel Zeit bleibt, entwirft Charakterskizzen und Traumstudien, entwickelt aus Textentwürfen bisweilen Kurzgeschichten – die ihrerseits wiederum als Grundlage für ein Kapitel in einem Roman dienen können.
Überschneidungen zwischen den Genres gibt es also viele, und mehr als einmal geriet Eseddin beim Schreiben ihres Romans Maryams Labyrinth in eine narrative Sackgasse, aus der sie dank einer ihrer frühen Kurzgeschichten wieder herausfand. Indem sie diese unverändert – und ohne direkt ersichtlichen Bezug – in ihren Roman eingliederte, konnte Eseddin die erzählerische Dynamik genau nach ihren Vorstellungen weiterentwickeln. Auf ebenso unvorhersehbare Art und Weise ergeben sich auch Überschneidungen zwischen Literatur und dem Leben selbst. Eseddin erzählt, wie ihre Mutter, der sie absolut alles zu verdanken habe, während ihren letzten Tagen im Krankenhaus oft nach Eseddins Schriftstellertätigkeit fragte. Es gefiel ihr, dass ich schreibe, sagt Eseddin, und so habe sie im Spital jeweils ihre alten Notizen und Übungen ausgepackt und so getan, als ob sie an den Texten arbeiten würde, da ihre Mutter so stolz gewesen war, als sie damals in bekannten Zeitungen und Zeitschriften publizieren konnte. Nach einer gewissen Zeit merkte ich plötzlich, wie sich aus diesen Kurzgeschichten der Roman Maryam zu entwickeln begann. Das schmale Buch, das mit seiner Intensität den geringen Umfang mehr als kompensiert, dreht sich um eine junge Frau, deren enge Freundin (oder Doppelgängerin) und um das große Landhaus eines Patriarchen. Nachdem die Frau vom Land nach Kairo umgezogen ist, wird ihr dieses Haus immer mehr zum Labyrinth, wobei das Ensemble der Bewohner – bei denen nicht immer klar ist, ob es sich um Personen, Geister oder Traumgestalten handelt – eine Art Minotaurus des Gedächtnisses bildet. Und so ergibt sich eine dritte Ebene der Überschneidung, paradoxerweise ausgerechnet beim Mythos: Eseddin, die den Mythos stets bewusst zurückgewiesen und die Visionen Maryams mit Hinweis auf psychologische Mechanismen erklärt hat, schuf hier eine volkstümliche Version eines der bekanntesten Mythen der Welt und machte aus dem Helden eine Frauengestalt.
Eseddins Werk ist eindeutig im Mysteriösen, Unheimlichen, Finsteren verwurzelt. In den letzten sieben Jahren hat sie nicht nur ihre journalistische Karriere vorangetrieben und sich ein Privatleben eingerichtet, womit sie sich hinlänglich von den Verhältnissen ihrer Herkunftsfamilie entfernt hat, sondern sich auch mit Themen auseinandergesetzt, die sie schon seit ihrer Kindheit begleiteten. Existenzielle Fragen, innere Unruhe, Unbehagen und Ängste seien mindestens seit ihrem neunten Lebensjahr, nach dem plötzlichen und unverständlichen Tod ihres Vaters, stets präsent gewesen (was auch erklären mag, warum sie schon sehr früh Camus und andere Erwachsenenliteratur gelesen hat). Diese Themen haben im Grunde genommen alle mit dem Tod zu tun, sinniert sie, mit der Vorstellung, dass sich etwas auflöst oder zusammenbricht. Nicht ein Zusammenbruch im psychologischen Sinne, sondern hinsichtlich der Vorstellung, dass sich die menschliche Existenz kurz vor ihrem Ende befindet und die Auflösung oder das abrupte Ende aller Dinge jeden Moment eintreten könnte. Eigentlich eine etwas merkwürdige Vorstellung, unterbricht sie sich, leise lachend. In diesem Moment erst, als ich gerade einzuwenden versuche, dass diese Vorstellungen keineswegs so merkwürdig sind, fügen sich die Autorin und ihr Werk für mich zu einem Gesamtbild zusammen. Ich kenne sie seit vielen Jahren, … und von allen Autoren und Poeten, die in den 1990er Jahren bekannt geworden sind, scheint sie die ausgeglichenste Persönlichkeit zu sein, ruhig, arbeitsam, fokussiert. Sie wirkt seriös, strahlt eine Art sachlichen Konservativismus aus. Das mag auch erklären, warum sie schon früh den Hijab getragen hat, bis vor acht Jahren – etwas, das sie nur selten erwähnt, und auch dann nur, um zu sagen, dass es sich dabei um eine rein äußerliche Veränderung handle, die mit ihrem Umzug vom Land in die Stadt zu tun gehabt habe und ihre Beziehung zu Gott in keiner Weise tangiere.
Nun aber zurück zu ihren Büchern. Das Labyrinth beginnt mit einem Traum, in dem die Protagonistin von ihrer Doppelgängerin niedergestochen wird; letztere kommt dann in einer Art merkwürdigem Ritus um. In Hinter dem Paradies ist es ein ähnliches Duo, Salma und Gamila, welche in rätselhafter Beziehung zueinander stehen, und es ist eher beängstigend als verwirrend, dass ihr Verhältnis – die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von Schizophrenie bis lesbische Liebe – nie gänzlich geklärt wird. Daneben gibt es mindestens einen blutigen Todesfall, eine Reihe Begegnungen mit dem Geist des Verstorbenen (darunter auch erotische Rendezvous mit seiner immer noch attraktiven jungen Frau) und Schläge. Der Versuch, eine unversehrte Welt zu schildern, wird also durchbrochen von der Marginalisierung der Protagonistinnen, vom Mysteriösen, Paranormalen, von irrationalen Impulsen und unergründlichen Mächten. Eseddin erzählt, dass Badawi, dessen Vorlesungen sie einst besuchte, für das Verfahren in ihren frühen Kurzgeschichten den Begriff »das Geheimnis schreiben« (kitabat al-sirr) brauchte. Jeder Text scheint ein Geheimnis, ein Mini-Informationssystem, das für sich selbst tickt und in sich geschlossen bleibt, so facettenreich es auch sein mag. In diesem Zusammenhang erwähnt Eseddin auch ihre Anleihen beim Horrorfilm und ihr Interesse an der therapeutischen Wirkung des Schreibens (Salma, die bei einer Zeitung Kurzgeschichten redigiert, beginnt auf Anraten ihres Psychiaters, einen Roman zu schreiben). Für Eseddin gibt es einen Zusammenhang zwischen Fantasie und Angst – wobei nicht die alltäglichen realistischen Ängste gemeint sind, die man relativ gut unter Kontrolle bringen kann (und Kontrolliertheit ist auch der Eindruck, den man von Eseddin selbst hat). Die Angst, die nicht zu Eseddins sicherem Auftreten und dem Gleichgewicht passt, aber trotzdem mit großer Intensität in ihren Büchern Ausdruck findet, ist etwas viel Ursprünglicheres. In der Fantasie, erklärt sie, werde etwa die Angst vor der Dunkelheit (die Kindheitserfahrung schlechthin) in geradezu metaphysische Dimensionen transformiert. Sie würden sich wundern, sagt sie, wie elementar meine Ängste sind.
Hinter dem Paradies spielt in den 1980er Jahren, vor dem Hintergrund des Niedergangs der Ziegelindustrie im Nildelta, und das sonst oft zitierte Phänomen tagrif, die Zerstörung des Kulturlandes, bevor der Beton aufkam, findet hier vielleicht erstmals eine literarische Erwähnung. Der Roman zieht eine schärfere Trennlinie zwischen den zwei Erfahrungswelten, mit denen Eseddin vertraut ist: Zum einen das kleine Dorf ohne grundlegendste öffentliche Einrichtungen, wo sie ungewöhnlich begütert aufgewachsen ist, ein verwöhntes, erfolgreiches Schulmädchen, eingebunden in eine weit verzweigte, aber eng verflochtene Großfamilie, so konservativ und so reich, dass ihrem Mann unwillkürlich der Vergleich mit The Godfather einfiel, als ihm die Familie vorgestellt wurde. Auf der anderen Seite ist Kairo, ein unendlich viel größerer Ort, der Eseddin, nachdem sie sich mithilfe ihrer Mutter über die Tradition hinweggesetzt und den bisher undenkbaren Schritt gemacht hatte, nach und nach eine andere Perspektive auf ihr Dorf ermöglichte und sie erkennen ließ, wie merkwürdig und ungewöhnlich die Erfahrungen auf dem Land tatsächlich sind. Hinter dem Paradies begann ursprünglich als fiktionalisierte Biografie ihrer Mutter, ähnlich wie Hanan Al-Shaykhs Hikayati Sharh Yatoul (Mein Leben, eine lange Geschichte), dessen Publikation 2005 aber Eseddin davon abhielt, diesen Teil des Romans weiterzuentwickeln, den sie als eine größer angelegte, intergenerationale Variation des Maryam-Themas konzipiert hatte, in dem das Paranormale mit dem Mythischen des Ortes ersetzt und der (dualen) Hauptfigur weniger Gewicht gegeben werden sollte. Wie immer, sagt Eseddin, setzte der Text dann seine eigene Logik durch.
Weil Hinter dem Paradies mehr komische Elemente und eine breitere Palette an stilistischen Registern aufweist und weil der Roman an konkreten historischen und sozialen Realitäten festgemacht ist, meinen manche, er sei zugänglicher als Maryams Labyrinth. Obwohl sie die größere Reichweite ihres Werkes durchaus schätzt, meint Eseddin, Konzessionen an den Markt seien für sie nie eine Option gewesen; sie halte daran fest, was Schreiben für sie beinhaltet: ein Prozess, dessen Antrieb die Urangst vor der plötzlichen Auflösung ist, in dem es um das Imaginieren von Personen und Orten geht – um eine Annäherung an die Wirklichkeit, nie aber deren direktes Abbild. Da ist es nur folgerichtig, dass fast alle ihre Romanfiguren erfunden sind: Wenn die Leute in meinem Dorf Hinter dem Paradies lesen würden, würde niemand irgendjemanden wiedererkennen, versichert sie. Der Imaginationsprozess scheint wesentlicher Bestandteil von Eseddins Umgang mit einem einengenden Umfeld zu sein – ein sehr anderer Ansatz als direkte Rebellion oder Auflehnung, was sich auch widerspiegelt in ihrem Selbstverständnis, nicht als weibliche Autorin (woman writer) zu gelten, sondern schlicht als Schriftstellerin, die halt nun mal eine Frau ist. Sie verfahre von innen heraus, wie ein Virus, sagt sie: Sie niste sich in ihrem Wirt ein – in diesem Fall ihre mafiöse Großfamilie – um ihn später überwinden zu können. Zwar mag ihre eigene Lebensführung auf den ersten Blick relativ konservativ aussehen, aber sie betont, dass sie eine Kleinfamilie (usrah) gegründet hat und nicht eine Großfamilie oder Sippe (a ilah). Wie nur wenige Autor/innen ihrer Generation hat sie Rebellion und Transzendenz als geistige Angelegenheiten verstanden, und sie missbilligt nach wie vor jede vorgefertigte Vorstellung (und sei diese noch so positiv), die ihrem Werk aufgezwungen wird; Begriffe und Kategorien wie »die Frau«, »der Körper«, »die Provinz« weist sie zurück. Was sie interessiert, vereinfacht gesagt, ist der Wahnsinn, der (Irr)Sinn, allerdings nicht so, dass ich Psychologie studieren oder auf systematische Art und Weise damit arbeiten würde.
Auch das Genre des Romans vermag Eseddin nicht einzuschränken. Die Rede vom Zeitalter des Romans, das gemäß dem Kritiker Gaber Asfour viele herausragende Autoren von Kurzgeschichten zum Genrewechsel bewogen hat, ist mittlerweile zum Klischee geworden. Eseddin jedoch arbeitet nach der Publikation von Hinter dem Paradies an einem neuen Erzählband. Sie liebe diese Form, die sowohl schwierig als auch bereichernd sei, sagt sie, und zudem stehe dieses Genre bei ihr nicht im Gegensatz zu oder außerhalb des literarischen Projekts, das sie mit ihren Romanen verfolgt hat. Sie zweifelt nicht daran, dass ihre Leserschaft sich den Geschichten wiederum begeistert annehmen wird, auch wenn sie den Kreis ihrer Leser/innen kaum genauer definieren könnte. Anders als viele junge Schriftsteller/innen distanziert sie sich vollständig von den Diskussionen über Verkaufszahlen, Popularität und Rezepten für erfolgreiche Bücher. Oft wirft man uns Autoren vor, wir seien überheblich und unverständlich. Aber wer kann schon sagen, dass Leser weniger intelligent oder weniger kompliziert sein sollen als Autoren?
Al-Ahram Weekly, Nr. 955, 9.–15.07.2009