Während Monaten alleine in einer Sandwüste zu wandern ist für mich der schlimmste aller Albträume. Für Sie ist es ein verführerischer Traum, den Sie immer wieder verwirklichen. Von welchem Planeten sind Sie gefallen?
Gerade weil ich zu der genau gleichen Welt wie der Ihrigen gehöre, wollte ich andere kennenlernen. Wir Westler beurteilen die Wüste völlig falsch. Unsere judeochristliche Kultur sieht sie als einen Ort ohne Leben an, als eine Art Gegensatz zu unserer Gesellschaft. Man vergisst, dass Nomadenvölker seit Tausenden von Jahren in der Wüste leben … Ich gehe dorthin, weil ich ganz einfach sehr neugierig bin! Mich interessiert es, diese so seltsamen Orte kennenzulernen, zu begreifen, wie man sich an bestimmte Bedingungen anpassen kann, und eine Umgebung auszuprobieren, in der die Regeln des Lebens sich grundlegend von den unseren unterscheiden.
Und sicher sind Sie auch neugierig auf sich selbst. Bei der Durchquerung der Sahara von Osten nach Westen waren Sie ja Ihr eigenes Versuchskaninchen.
Ich hatte tatsächlich auch Lust darauf, mich selbst zu ergründen. Dazu kam, dass alle sagten, ein solcher Versuch sei unmöglich, dass die Brunnen zu weit voneinander entfernt wären, dass ein Mensch nicht während neun Monaten alleine marschieren könnte … Ich wollte das Gegenteil beweisen. Schon seit langer Zeit träume ich davon. Für mich war das die Krönung eines rund siebzehnjährigen Lernprozesses, während dem ich jedes Jahr sechs Monate in den Ländern der Sahara verbracht habe. Ich hatte verschiedene Regionen ausgekundschaftet, die Arbeit der Kameltreiber studiert, die Überlebensregeln der Nomaden, die Sprachen und die Dialekte gelernt … kurz, ich hatte mir meine Eckpunkte geschaffen. Und während all dieser Zeit hat die Wüste nie aufgehört, mich zu besitzen.
Wie ist es zu dieser Besessenheit gekommen?
Als Kind habe ich eher vom Meer geträumt. Ich verschlang die Bücher von Tabarly, die Berichte der Seefahrer, ich wollte mir ein Schiff kaufen … Und dann, im Alter von fünfzehn Jahren, hat mich ein Ausreißversuch nach Kurdistan geführt. Das hat in mir das Verlangen ausgelöst, die Wüste kennenzulernen, die richtige Wüste. Meine erste Reise in die Sahara fand unter jämmerlichen Bedingungen statt. Meine Freundin, die mich begleitete, verließ mich während der Reise, ich wurde krank, ich hatte kein Geld mehr … kurz, ich hatte jeden erdenklichen Grund, nie wieder dorthin zurückzukehren. Aber dann habe ich mir gesagt, dass es nicht schlimmer werden könne, dass es eine gewissen Angewöhnungszeit braucht und ich bekam Lust, nochmals von vorne anzufangen. Ich bin übrigens genau aus diesem Grund Ethnologe geworden: damit ich mich der Wüste auf eine andere Art als nur als Tourist nähern kann.
Dadurch, dass Sie alleine in der Wüste unterwegs waren, haben Sie die Herausforderung noch größer gemacht!
Nicht ganz alleine, mit zwei Kamelen, um Wasser und Lebensmittel zu transportieren. Ohne Kamele wäre ein solches Unternehmen niemals durchführbar. Die Tiere tragen alles, was man zum Überleben braucht, wenn sie entlaufen, bedeutet das den sicheren Tod. Das Kamel kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Viper sehen, fliehen und einen im Stich lassen. Man kann auch vom Kamel fallen, was zur Folge hat, dass es Angst bekommt und wegrennt. Alles ist möglich. So erhält jeder Handgriff eine lebenserhaltende Wichtigkeit. Man darf auf keinen Fall die kleinen Details vergessen, wie zum Beispiel den Tieren während der Nacht Fesseln anzulegen, damit sie sich nicht weiter als zwei Kilometer entfernen können. Die Einsamkeit bringt eine große Anspannung, einen permanenten Stress, mit sich.
Sind Sie keinen anderen Reisenden begegnet?
Sehr selten. Die Sahara gleicht ein wenig einer Orange: Es gibt Nord-Süd-Segmente, die extrem karg und leer sind. Dazwischen gibt es besiedelte Streifen, in denen sich die Nomaden bewegen und von denen sie sich nur selten entfernen. Im Inneren der Segmente – die Ténéré, die Libysche Wüste – begegnet man während Hunderten von Kilometern niemandem. Ich fühlte mich wie ein Seiltänzer, der von einem bewohnten Ort zum andern balanciert. Aber wenn ich doch einen Reisenden sah, bin ich ihm ausgewichen. Die politische Lage war sehr angespannt und ich hätte auf Banditen stoßen können … Und dann hätte ich auch den menschlichen Kontakt wieder erlernen müssen, und dazu fühlte ich mich nicht in der Lage. Zudem musste ich schnell gehen, fünfzig Kilometer am Tag, um die Reise vor Beginn der heißen Jahreszeit zu beenden.
Wie kann man Gefallen an einem Marsch in einem Backofen finden?
Es ist nicht so heiß, wie man allgemein annimmt. Außerhalb der heißen Jahreszeit, die drei Monate dauert, ist die Temperatur sehr angenehm, das Wetter ist gut und der Himmel kristallklar. Wissen Sie, die Landschaft ist großartig. Die Wüste ist nicht eintönig, sondern eine Welt, die ganz unterschiedliche Ausprägungen hat. Wenn Sie mir ein Foto zeigen, das in der Sahara aufgenommen wurde, kann ich die Region sehr genau identifizieren. Sie unterscheiden sich alle voneinander. Nicht einmal die Dünen gleichen sich. Man findet ja auch mehr als zweihundert Arten von Weideland. Es gibt eine große Vielfältigkeit in der Wüste. Sie ist nicht einfach eine aus leblosem Gestein bestehende Welt. Sonst könnte man auch nicht darin leben. Man muss einfach nur lernen, die Geheimnisse zu entschlüsseln, und dazu muss man sich in sie hineinwagen.
Wie haben Sie überlebt?
Für die Kamele habe ich alle drei Tage ein paar Grasbüschel gefunden. Das hat genügt, um sie zu ernähren. Für mich hatte ich einen Nahrungsvorrat mitgenommen – ich habe jeden Tag eine Handvoll Datteln und eine Handvoll Grießmehl gegessen und die 140 Liter Wasser, die die Kamele zu tragen vermochten. Dies verschaffte mir während dem Sommer eine Unabhängigkeit von maximal drei Wochen. Die Schwierigkeit ist die, auf dem Weg zwischen zwei Wasserstellen genügend Wasser bei sich zu haben. Das ist reine Mathematik: So viel Wasser für so viele Kilometer. Ich profitierte von einem kleinen Satellitennavigator, wie er normalerweise auf Schiffen benutzt wird. Noch niemand hatte ihn je auf einem Kamel gebraucht! Er gab mir auf einige Meter genau die Position in Breiten- und Längengraden an, was mir erlaubte, direkt in die Richtung der Wasserstelle zu gehen, ohne mich zu verlaufen. Ohne dieses Gerät hätte ich auch gut neben den Wasserstellen vorbeigehen können.
Zudem mussten diese aber auch noch auf den Karten genau eingezeichnet sein!
Ja. Glücklicherweise sind die französischen Karten der Sahara, die man in den Sechzigerjahren vom Flugzeug aus gezeichnet hat, sehr genau. Früher haben die Saharaforscher zwei Führer mit sich genommen: einen, der die Region gut kannte und so den Kurs einhalten konnte, und einen zweiten, der wusste, wo sich am Zielort die Wasserstellen befanden. Heute gibt es keine solchen Führer mehr. Sogar mit einem Satellitennavigator, einem Kompass und guten Karten war immer noch ein Teil zufallsbedingt. Manchmal war der Grundwasserspiegel gesunken und damit die Quelle versiegt. Ich konnte nichts über die Existenz oder den Zustand einer Wasserstelle sagen, bevor ich nicht dort angekommen war. Vor meiner Abreise hatte mir Théodore Monod, der große Wüstenspezialist, gesagt: »Man muss vielleicht graben.« Er hatte recht. Ich musste mit meinem Löffel ein Loch von einem Meter Tiefe graben, bevor das Wasser hervorquoll.
Denkt man auf einem solchen Marsch ständig an den Durst?
Ich habe nie aufgehört, daran zu denken. Zweimal fehlte es mir an Wasser. Von dem Moment an, wo man anfängt richtig Durst zu haben, geht alles sehr schnell. Man fühlt, wie die Temperatur des Körpers steigt, wie sich das Fieber einstellt, was einem wiederum nur noch durstiger macht. Und man findet sich in einer Art Spirale wieder, die Beine und dann auch die Gelenke werden taub … Wenn in der Wüste das Wasser knapp wird, lautet die goldene Regel: weitergehen, weitergehen, weitergehen. Man kann es sich nicht erlauben, nebenbei noch den Touristen zu spielen. Nein. Die Tage sind gezählt. Die Nomaden sind diesem Druck etwas weniger ausgesetzt: Sie leben mit ihrer Herde und im Winter trinken sie Milch. Ich selbst hatte nur männliche Kamele, da diese sehr widerstandsfähig sind. Die weiblichen hätten nicht so lange durchgehalten. Ich war deshalb dazu verurteilt, Wasser zu finden.
Hatten Sie manchmal Lust, einfach umzukehren?
Nie. Ein- oder zweimal habe ich mir gesagt: Das ist es, ich bin erledigt! Ich habe das Bewusstsein verloren, ich war desorientiert. Aber ich fühlte mich allein verantwortlich: Ich hatte das Vorhandensein von Wasserstellen falsch eingeschätzt, und das war nicht der Fehler der Wüste. Manchmal wird man auch von einem gewissen Schwindelgefühl ergriffen, einem Rausch, der einen dazu bringen kann, aufzugeben. Während dem Marschieren habe ich oft an den Film Le Grand Bleu gedacht, an diese eine Figur, die am Schluss des Filmes einfach das Seil loslässt. Ich habe mir gesagt, dass ich das Seil um jeden Preis festhalten muss, dass ich immer weitergehe. Es ist so einfach, anzuhalten und sich der Müdigkeit und der Frustration hinzugeben … Nein. Man muss jedes Mal kämpfen, seinen Willen erneut aktivieren. Ein Alpinist oder ein Polarforscher erlebt das Gleiche: Es gibt keine andere Lösung, als weiterzumachen.
Ist es die Gesellschaft, vor der Sie weglaufen, wenn Sie in die Wüste gehen?
Aber nein! Ich liebe es, in der Gesellschaft zu leben, und ich schöpfe das auch voll aus, wenn ich hier bin. Aber man schätzt die Dinge mehr, nachdem sie einem gefehlt haben. Ich suche die Abgeschiedenheit, um die Menschen dann bei meiner Rückkehr umso mehr genießen zu können. Ich erschaffe mir eine Art Jungfräulichkeit und erlebe dann eine Wiedergeburt. Heutzutage ist man sich zu sehr an den Überfluss gewohnt, man neigt dazu, alles der Routine zu opfern, man schätzt andere Menschen nicht mehr, weil man sie täglich sieht. Ich gehe in die Wüste, wie wenn ich in eine Kur gehen würde: um mich zu reinigen, um die Freuden des Lebens wiederzuentdecken. Die zwei ersten Monate nach meiner Rückkehr sind immer wunderbar. Danach verspüre ich das Bedürfnis, wieder wegzugehen. Es gibt nur ein oder zwei Wüsten pro Kontinent, das ist nicht viel. Ich möchte sie alle kennenlernen.
Kann es sein, dass die Wüste auf Sie wie eine Droge wirkt?
Vielleicht. Sobald ich die Spannung der Wüste nicht mehr spüre, fühle ich mich schlecht und ernüchtert, ich langweile mich und will nur eines: dorthin zurückkehren. Das wird mit der Zeit ein ernsthaftes Problem, vor allem für meine Angehörigen. Wer kann schon mit jemandem leben, der seine Zeit hauptsächlich damit zubringt, alleine auf einem anderen Planeten zu leben und der, kaum zurückgekehrt, nur darüber nachdenkt, wieder wegzugehen. Aber ich kann nicht nicht hingehen, es ist wie eine Art Zwang.
Ich habe mich also nicht getäuscht, Sie leben auf einem anderen Planeten!
Vielleicht. Ich fühle mich vollkommen gut, wenn ich dort bin, im Einklang mit der Umwelt. Ich werde sogar ein bisschen wild in dem Sinne, dass ich ungeahnte Instinkte in mir entdecke. Was mich zum Beispiel erstaunt, ist meine Fähigkeit, die richtige Passage durch eine Düne zu finden, auf eine vollkommen instinktive Art: durch das Betrachten des Sandes, das Spüren der Luft, indem ich mich einfach machen lasse … Ich habe schon bestimmte Antilopen und Gazellen gesehen, die so den Weg wittern. Ich hatte nicht gewusst, dass ich das nach einiger Zeit des Eintauchens in diese Welt genauso würde tun können. Wie ein Tier. Manchmal habe ich die Wasserstellen besser aufgespürt, als die Kamele … Ich war ein Teil der Wüste.
Ist es diese totale Einheit mit der Wüste, die Sie suchen?
Ja, und das ist übrigens auch der Grund, weshalb ich jeweils so große Schwierigkeiten habe, mich wieder an die Gesellschaft anzupassen. Als ich als Kind in den Vogesen wanderte, habe ich die Dinge auch ein wenig instinktiv gefühlt. Es ist eine Gabe, ein Genuss, den ich irgendwie wiedergefunden habe. Die Wüste ist für mich nicht einfach nur eine Erfahrung oder ein Abenteuer. Es ist ein Lebensstil, eine bestimmte Art und Weise, die Welt zu sehen. Ich trage das in mir. Und ich glaube, dass ich es noch lange in mir tragen werde. Ich denke an das, was Saint-Exupéry in einem seiner Berichte geschrieben hat. Als er einmal wegen einer Panne mitten in der Wüste landen musste, ist er auf eine Karawane gestoßen und es hat sich ein Gespräch entwickelt. »Sehen Sie«, hat Saint-Exupéry gesagt, »ich bin in einer Stunde so weit gekommen, wie Sie in einem Monat …« Und der Nomade hat geantwortet: »Ah … aber was machst du mit der übrigen Zeit?«
L’Express, Paris, 12.08.1993. Das Gespräch führte Dominique Simonnet.