Mr Keating, Sie haben so viele treue und begeisterte Leserinnen und Leser in Deutschland, Österreich und der Schweiz, seit Jahrzehnten schon. Sie gehören zu den ganz großen internationalen Namen, Sie sind überhäuft mit Preisen, Ehrungen und Auszeichnungen – kurz, Sie sind eine Institution. Und dennoch wissen wir fast gar nichts über Sie.
Ich bin 1926 geboren und gleich nach meiner Geburt, bei der Namensgebung, wurde ich auf die Spur gesetzt, Schriftsteller zu werden. Und zwar deswegen, weil mein Vater, von Beruf Lehrer, sich immer danach sehnte, selbst Schriftsteller zu werden, aber damit keinen Erfolg hatte. Als es nun darum ging, mir meine Namen zu geben, wählte er als ersten Henry (weil es einen unverheirateten reichen Cousin namens Henry gab, der allerdings kurz nach meiner Geburt heiratete und selbst Kinder bekam). Henry hat mir nie gefallen, also habe ich mich selbst Harry – die Verkleinerungsform von Henry – genannt. Meine dritte Initiale steht für Fitzwalter, ein alter Familienname. Der zweite Name auf der Liste meines Vaters war Reymond. Buchstabiert eben nicht konventionell mit a, sondern mit e. Mein romantisch bewegter Vater erklärte zwar, auch dies sei ein alter Familienname. Aber viel wichtiger war, von seinem Standpunkt aus, dass er fand, Reymond mache sich »richtig gut auf dem Umschlag eines Kinderbuchs«. Meinen ersten Roman schrieb ich allerdings erst nach dem Tod meines Vaters. Es handelte sich um einen Detektivroman, von dem ich hoffte, er sei leichter zu veröffentlichen als andere Romane. Meine Hoffnung wurde zunichte. Ich probierte es noch mal. Das gleiche Resultat. Der dritte Versuch war dann endlich erfolgreich: Mein damaliger Agent lehnte das Manuskript ab, also schickte ich es direkt an den berühmten Verleger von Kriminalromanen, an Victor Gollancz. Und eines Morgens klingelte das Telefon: der große Meister persönlich. »Mr Keating, wenn Sie das Buch noch ein wenig überarbeiten, würde ich mich glücklich schätzen, es zu veröffentlichen.« Am Ersterscheinungstag 1959 wurde Death and the Visiting Firemen von Julian Symons besprochen, der es über den grünen Klee lobte: »Zwei Hurras und ein halbes für Mr Keating.«
Und damit waren Sie Kriminalschriftsteller …
Ja, von da an war ich Kriminalschriftsteller. Obwohl ich auch zwei Romane veröffentlicht habe, die keine Krimis sind. Sie erhielten zwar wohlwollende Kritiken, aber verkauft haben sie sich nicht so gut.
Welche Art von Literatur, Musik und Kunst mögen Sie eigentlich persönlich?
Vermutlich sind mir doch die Klassiker des englischen Romans am liebsten – Dickens, Trollope, Conrad und dann Graham Greene. Ganz weit oben auf meiner Lieblingsliste stehen aber auch Amerikaner wie Saul Bellow oder John Updike. Für mich sind das alles wunderbare Schriftsteller, egal worüber sie schreiben. Bei der Musik sind es Mozart und Benjamin Britten. Mit Pop konnte ich nie so recht etwas anfangen, Jazz dagegen mag ich gerne. Und bei der Malerei: immer wieder Picasso.
Wie sind Sie, gerade vor diesem Hintergrund, auf Ganesh Ghote gekommen? Eine Figur, für die es ja kaum Vorläufer gab, Upfields Bony mal ausgenommen?
Ganesh Ghote kam mir vornehmlich deswegen in den Sinn, weil amerikanische Verlage meine frühen Bücher nicht wollten. »Zu britisch«, hieß es immer. Also grübelte ich lange, und dann fiel mir Indien als nichtbritischer Schauplatz ein – oder zumindest als einer, über den wenigstens ein paar Amerikaner ein bisschen was wussten – und Bombay als die vielleicht »westlichste« Stadt des Landes. Doch wer sollte mein Detektiv sein? Eines Tages saß ich in meinem Büro auf meinem roten Sessel und überlegte, wo genau in Indien Bombay liegt. Links oder rechts, westlich oder östlich? Da erschien mir vor meinem inneren Auge ein reichlich naiver Mann, der andauernd genau die Sorte Fragen stellt, die jemand aus dem Westen gerne beantwortet haben möchte. Und er hatte knochige Schultern, mehr nicht. Manchmal glaube ich, dass damals eine Art blauer Blitz aus Bombay quer über den Globus in meinem Kopf eingeschlagen hat. So ist Inspector Ghote entstanden. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich fand, er solle Ghosh heißen. So, als würde er auf jede Überraschung mit dem englischen Ausruf »Gosh!« reagieren. Da ich gerade jemanden kennengelernt hatte, der für eine Werbeagentur lange Zeit in Indien gearbeitet hatte, skizzierte ich ihm in einem Brief kurz das Buch, das ich plante, und er schrieb postwendend zurück: »Aber nein, Ghosh ist ein bengalischer Name. Das wäre so, als ob man einen französischen Detektiv Iwan Iwanowitsch nennen würde.« So kam Ghote zu seinem Namen.
Mögen Sie ihn?
Wer könnte ihn nicht mögen? Ganz tief drinnen, so wie er selbst ist? Auf dem Gipfel von Ghotes Karriere wurde ich einmal von der Radio Times interviewt – als Schlagzeile hatten sie »Inspector Ghote, c’est moi«. Natürlich ist er viel besser zu Fuß und viel tapferer als ich.
Kam Ghote in England sofort gut an, oder waren die Leser zunächst verwirrt?
Ich hatte einfach Glück. Die Besprechung von Julian Symons und einige andere gute Rezensionen haben den Roman hochgeschossen und nach einem Jahr verließ er sogar die Umlaufbahn – The Perfect Murder gewann den Gold Dagger der Crime Writers’ Association.
Und in Indien?
Indische Leser fühlten sich ebenfalls zu Ghote hingezogen. Bedauerlicherweise rührt dies in einem gewissen Maße daher, dass damals, in den frühen Sechzigerjahren, die Inder sich noch nicht ganz von der Vorstellung befreit hatten, dass Menschen aus dem Westen unabänderlicherweise allen anderen Ethnien überlegen seien – das war ihnen schließlich lange genug vom britischen Raj eingepflanzt worden. Zum Glück ist diese Vorstellung inzwischen da gelandet, wo sie hingehört. Aber erfreulicherweise erinnert man sich auf dem Subkontinent immer noch an Ghote, was vielleicht auch mit dem Film zusammenhängt, der von der indischen Merchant-Ivory-Produktion nach The Perfect Murder gedreht worden war.
Haben Sie jemals befürchtet, man könnte Ihre Ghote-Bücher als »kolonial« missverstehen? Und ist das je geschehen?
Ja, ich habe mir immer darüber Sorgen gemacht, dass ich Indien – ein Land, das ich sehr liebe und bewundere –, ohne es zu wollen, herablassend oder gönnerhaft behandeln könnte, und habe beim Schreiben öfters die innere Augenbraue hochgezogen. Ich glaube aber, dass die guten Rezensionen in der indischen Presse und vor allem der warme, liebenswürdige Empfang, den man mir bereitet hat, als ich dann zum ersten Mal nach Indien kam, meine Befürchtungen letztlich zerstreut haben. Und ach ja, es gab ein Buch über mich, von einer in Amerika lehrenden indischen Wissenschaftlerin: H. R. F. Keating, Post-Colonial Detection. So viel dazu.
Solange ich Sie und Ihre Ghote-Bücher kenne, also schon sehr lange, hat sich ein Gerücht immer ehern gehalten: H. R. F. Keating war nie in Indien. Wie konnte das aufkommen – oder haben Sie es gar selbst gestreut?
Harry Keating hat nie einen Fuß auf indischen Boden gesetzt, bevor er angefangen hat, über Bombay zu schreiben. Eine solche Reise war ganz einfach zu teuer für einen Vater von vier Kindern. Tatsache ist auch, dass Air India mich nach den ersten vier Ghote-Büchern zu einer Indienreise eingeladen hat. Vorher kannte ich das Land nur aus Romanen über Indien und als regelmäßiger Leser der Times of India und anderer Zeitschriften.
Zweites ehernes Gerücht: Während Ihrer Zeit bei der Times haben Sie auf dem Stuhl von Graham Greene gesessen, buchstäblich.
Ach Gott, ja. Als ich als Jungredakteur bei der Times anfing, flüsterte mir jemand zu – die Leute neigten zum Flüstern in dieser erhabenen Umgebung –, dass der Stuhl, auf dem ich mich niedergelassen hatte, ehemals der von Graham Greene gewesen sei. Einbildung oder nicht, ich fühlte mich zunehmend unter einem mysteriösen Einfluss.
Wo liegt überhaupt der künstlerische Anreiz für Sie, Kriminalliteratur zu schreiben?
Ich habe herausgefunden, dass der Kriminalroman einen ganz großen Vorzug für jemanden hat, der Romane schreibt: Irgendetwas Rätselhaftes, ein Geheimnis zieht in den Roman hinein und treibt jede Geschichte bis ans Ende. Egal, was ich sonst noch hineinpacken möchte, egal, welches Subgenre ich von Fall zu Fall benutze – darauf kann ich mich fest verlassen.
Eine Zeit lang haben Sie unter dem Pseudonym Evelyn Hervey geschrieben. Wollten Sie mal jemand anders sein?
Zu Evelyn Hervey kam ich nach einem, na ja, milde gesagt, alkoholseligen Mittagessen mit meinem Agenten. Der ermutigte mich nämlich, eine neue Serie zu schreiben, die in der Viktorianischen Zeit spielen und eine Gouvernante als Heldin haben sollte. Dafür, fand er, brauchte ich einen neuen Namen. Und je länger das Essen dauerte, desto fantastischer wurden die Namen, bis wir bei einem hängen blieben, bei dem unklar war, ob er männlich oder weiblich ist.
Eines interessiert mich noch: Sind die Macher von Columbo eigentlich je auf die Idee gekommen, Ihnen Prozente dafür zu zahlen, dass sie Inspector Ghote als role model benutzt haben?
Nein, dazu haben sie keinen Anlass gesehen. Aber von Ismail Merchant hab ich tatsächlich ein bisschen Geld gesehen.
Und welches Ghote-Buch soll als Nächstes in der metro-Reihe erscheinen?
Gute Frage, ha! Mein Vorschlag: Doing Wrong – von 1993!
Vielen Dank, Mr Keating!
Das Interview führte Thomas Wörtche.