Sie haben verschiedene literarische Preise bekommen. Ihr Erzählband Obabakoak ist in vierzehn Sprachen übersetzt worden. Ihr Buch El hombre solo ist ebenfalls bereits in verschiedenen Ländern erschienen. Sie sind ein bekannter, ein begehrter Autor geworden. Dennoch nehmen Sie sich Zeit, bis Sie einen neuen Roman schreiben.
Das Taschentuch ist doch für die Nase da, und nicht die Nase für das Taschentuch, oder? Lesen und Schreiben ist Teil meines Lebens. Ist mein Beruf. Nach zwanzig Jahren harter Arbeit beschloss ich eines Tages, Obabakoak zu veröffentlichen, als Rechenschaftsbericht sozusagen, ein Musterbuch – ähnlich wie die Musterwohnungen, die man künftigen Käufern vorzeigt. Auf dem Schutzumschlag der baskischen Ausgabe ist ein altes Gebäude in Bilbao abgebildet: Dort haben meine literarischen Dispute begonnen, dort ist die Banda Pott gegründet worden, ein kritischer Freundeskreis, der von der These ausging, dass es in der Dichtung und in der Literatur zu viele verschwendete und verkrustete Worte gibt. Mit diesem Kreis ist der Schriftsteller in mir gewachsen. Der Rummel, den die literarischen Preise nach sich gezogen haben, hat mich erschöpft. Ich habe meinen gewohnten Lebensrhythmus aufgeben müssen, ich habe mich mit Menschen und Situationen konfrontiert gesehen, denen ich nicht immer gewachsen war. Ich musste wieder zu einer gewissen Ruhe zurückfinden. Schreiben ist unabdingbarer Teil meines Lebens. Ich werde also nicht etwa aufhören zu schreiben, aber ich werde mir – irgendwann – immer wieder die Frage stellen müssen, ob ich ein weiteres Buch veröffentlichen will, auch wenn es in meinem Kopf von Ideen wimmelt.
Sie haben gesagt, Sie hätten die Absicht, ein Essay über die Zusammenhänge zwischen dem Humor, dem Missgeschick und der Wahrheit zu schreiben.
Für meine Arbeit stütze ich mich immer auf persönliche Erfahrungen. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, neben einem Lyrikband und ein paar Romanen auch zwei, drei Essays auf meinem Nachttisch liegen zu haben. Eine Gattung, die ich vor einiger Zeit für mich entdeckt habe und die mich überaus fasziniert. Einer meiner bevorzugten Autoren ist Montaigne, der in einem seiner Essays über die Sehnsucht schreibt, in einem anderen über Intimwäsche. Was mich daran fasziniert, ist der Topos, der Humor mit Missgeschick verbindet. Edward Lear, der Dichter des Un-Sinns, der Autor des Book of Nonsense, ein sehr origineller, humorvoller Autor, ist ein absoluter Außenseiter, der schrecklich unter seiner tatsächlich riesigen Nase leidet. Es gibt aber auch den albernen Topos über den Clown, der behauptet, Clowns seien allesamt tieftraurige Menschen. Im Übrigen macht es mir ebenso Spaß, die Mühen und Nöte der Schriftsteller zu analysieren. Auf dem Tibidabo in Barcelona gab es einen Spielautomaten, den man Den schlafenden Dichter nannte. Man steckte eine Münze hinein, und der Dichter begann zu schreiben, doch nach und nach erlahmte seine Hand, bis er schließlich über seinem Heft einschlief. Was mir besonders auffiel an ihm, war, dass er ein Harlekinkostüm trug.
Das Bild, das man sich im 19. Jahrhundert vom Schriftsteller machte, hat sich nicht wesentlich verändert. Für die Romantiker war der Autor der Nabel der Literatur. Und heute ist es immer noch so. Ehrlich! Die Leute kennen die Autoren, nicht die Bücher. Der Autor, der voller leidenschaftlicher Hingabe in seiner stillen Kammer schreibt – das ist ein unverwüstliches Klischee aus der Romantik, das sich hartnäckig hält. Was für ein Sakrileg zuzugeben, dass ein Buch aus einem sozialen Gefüge heraus entsteht. Ein Schriftsteller ist nie eine Einzelerscheinung. Er nimmt zusammen mit anderen Schriftstellern zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Platz innerhalb der Literaturgeschichte ein. Er ist in der Lage zu schreiben, weil vor ihm der Autor Y geschrieben hat, und vor dem Autor Y der Autor X. Den genialen Schriftsteller – ein Wort, das ich hasse wie die Pest –, den einzigartigen, unverwechselbaren, den individuellsten aller Individuen, den gibt es nicht!
Sie wollen damit sagen, dass Sie im Grunde Ihre Literatur der Literatur verdanken?
Genau. Ich habe es immer wieder gesagt und stehe dazu: Dass ich die Hälfte dessen, was ich geschrieben habe, meinen Freunden verdanke. Ich diskutiere mit ihnen, sie diskutieren mit mir. Ich entwickle eine Theorie, und sie zerpflücken sie oder stimmen mir zu. Es gibt darunter immer wieder welche, die mich auf ganz ungewöhnliche, ungeahnte Dinge aufmerksam machen, Dinge, mit denen sie sich eingehend auseinandergesetzt haben. Ich ziehe Menschen vor, die über etwas Konkretes reden, und nicht bloß einzig und allein über sich selbst. Und ich verdanke Büchern sehr viel. Als ich zwanzig war, waren für mich Kafka, Brecht und Dylan Thomas wegweisend. Aber auch die Tagebuchaufzeichnungen von Adamov, die jene unbeschriebene, jungfräuliche Phase meines Lebens entscheidend geprägt haben. Doch ich bin Wirtschaftswissenschaftler von Beruf, wie Sie wissen; ich bin also nicht nur von literarischen Werken beeinflusst worden. Ich mag zum Beispiel auch Bücher über Mathematik, ein Fach, mit dem ich lange auf Kriegsfuß gelebt habe. Mit der Zeit jedoch drang ich in die Geheimnisse der Mathematik ein. Ich bin von allen Büchern fasziniert; wenn auch von den einen mehr, von den anderen weniger.
Sie schreiben auch Kinderbücher. Stützen Sie sich dabei auf Ihre Kindheitserinnerungen?
Wenn ich zu schreiben anfange, gehe ich nie von einer Erinnerung aus. Entscheidend für mich ist meine Sicht der Welt, die Meinung, die ich mir darüber gebildet habe. Und die breite ich dann vor mir auf dem Schreibtisch aus. Die Unterscheidung zwischen städtischer und ländlicher Welt zum Beispiel existiert für mich nicht. Das mag Pächter oder Steuereinnehmer interessieren. Für meine Bücher habe ich ein anderes Unterscheidungskriterium entdeckt, das aus dem Mittelalter stammt: die Grenze zwischen Ackerland und Wald. Der Wald verkörpert die Einsamkeit; das ist der Ort, wo soziale Gesetze außer Kraft sind. Die Außenseiter, die Gauner, die Mörder, die Besiegten suchen im Wald Zuflucht. Die Anachoreten ziehen sich in den Wald zurück, um zu sich selbst zu finden. Der Wald ist ein Ort der Buße. Wald und Ackerland, das sind zwei entgegengesetzte Pole. Ich stelle immer wieder fest, dass viele Dinge, die ich in meiner Kindheit beobachtet habe, diese Trennung bestätigen. In meiner Geschichte Post tenebras in Obabakoak ist diese Unterscheidung deutlich erkennbar. Der Verdingbub verkörpert den Wald, die Lehrerin das kultivierte Land. Über diese Grenze schreiben setzt voraus, dass ich mich oft der Sprache der Feenmärchen bedienen muss, denn Feenmärchen sind keine ländlichen Märchen, sondern Waldgeschichten. Durch sie kehre ich wieder in mein Heimatdorf zurück. In anderen Kulturkreisen ist es die Wüste, die die Rolle des Waldes übernimmt.
Was für Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?
Wenn man Sohn einer Lehrerin ist, kann man sich wahrscheinlich nie ganz in die enge Dorfgemeinschaft in einem abgelegenen Tal integrieren. Dennoch habe ich eine sehr glückliche Kindheit verlebt. Damals gelangten nur drei Zeitungen ins Dorf. Sie kamen mit dem Zug, und Señora Justa, die Posthalterin, holte sie mit einem Handwägelchen an der Bahn ab. Als ich dreizehn war, schickte man mich nach Andóain auf die Schule, ein industrialisiertes Dorf, und das war ein richtiger Schock für mich. Dass Jungen und Mädchen zusammen spielen, erschien mir wie eine Ungehörigkeit. Ich gehöre eben zu jenen, die ich mit Euskadi-cherokee bezeichne. Damit meine ich alle Basken, die in einer Höhe von über 100 Metern über dem Meer leben, in einer einsprachigen Gegend, wo man nur Baskisch spricht. Meine Eltern stammen aus Asteasu und Albistur, zwei Dörfern auf der anderen Seite des Berges. Meine ganze Familie wohnt in einem Umkreis von 10 Kilometern. Meine vertraute Umgebung besteht gewissermaßen aus einer Miniaturwelt. Aus unserer Familie ist nie jemand ausgebrochen, und man neigt auch nicht zu sentimentalem Überschwang.
Sie haben in Bilbao, in Barcelona und in Madrid gelebt. Warum sind Sie schließlich wieder in Ihre engere Heimat zurückgekehrt?
Als niemand mehr das alte väterliche Haus bewohnte, wo mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater gelebt hatten, beschloss ich, zurückzukehren. Es ist kein abgelegenes Haus. Es steht mitten im Dorf. Ich habe dort neue Freunde gefunden, die natürlich viel jünger sind als ich. Vor ein paar Jahren habe ich mir übrigens auch ein eigenes Haus gebaut. Ich wohne an verschiedenen Orten gleichzeitig; ziehe mich irgendwohin zurück, wenn ich schreibe. Wer weiß, vielleicht kehre ich nicht mehr ins Baskenland zurück, obwohl das eher unwahrscheinlich ist. Das Leben ist für mich nichts Abstraktes, sondern etwas Greifbares: ein Weg, ein Haus, ein Freund. Ich habe nie wie ein Fisch im Wasser leben können. Auf Baskisch sagt man, wie ein Vogel im Weizenfeld. Nein, das liegt mir nicht. Doch wenn es mir zu eng wird, gehe ich einfach. Die Eisenbahnen sind dazu da, dass man einsteigt.
Haben Sie nicht die Absicht, eine Familie zu gründen?
Ich glaube, dass sich mein Beruf nicht mit einer kinderreichen Familie vereinbaren lässt. Trotzdem habe ich mich in letzter Zeit vermehrt auf meinen engeren Familien- und Freundeskreis gestützt, denn jedesmal, wenn ich aufs Meer hinausfuhr, zog ein Sturm auf. Wenn man ein sehr bewegtes Leben hat, ist es gut zu wissen, wo man hingehört.
Haben Sie Verständnis für die nationalistischen Bewegungen im Baskenland?
Es gibt Schriftsteller, die sich in ihrem literarischen Werk eingehend mit dem Nationalismus befassen. Bei mir ist das nicht der Fall. Ich bin Baske. Ich lebe im Baskenland. Dass mich die Frage beschäftigt und mich ganz persönlich betrifft, ist klar. Aber ich denke, dass man den baskischen Nationalismus immer von einer kindlichen oder böswilligen Seite aus beurteilt hat – als handle es sich um eine einmalige, um eine außergewöhnliche Erscheinung. Als ob auf der ganzen Welt nur die Basken nationalistisch wären. Die nationalen Gefühle der Basken sind eine Reaktion auf einen anderen Nationalismus. Drücken wir es so aus: Die Basken kämpfen gegen andere Nationalismen an. Es gibt Volksgruppen, die es nicht nötig haben, ihre Eigenständigkeit zu bestätigen oder gar zu unterstreichen, weil sie stark und mächtig sind. Ich möchte einmal sehen, was in Spanien passiert, wenn das Spanisch unterdrückt würde und alle plötzlich anfingen, Englisch zu reden. Ich wohne in einem Dorf, wo Untergetauchte leben, wo es Gefangene gibt, wo es Tote gegeben hat. Alle meine Jugendfreunde haben irgendwann einmal im Gefängnis gesessen. Das kann mir nicht gleichgültig sein. Gespräche haben im Baskenland immer weniger Platz. Die Stellungen sind bezogen. Es ist mir unbegreiflich, dass man einen demokratischen Block bildet, dabei aber eine politische Gruppierung ausschließt. Das muss schwerwiegende Folgen haben.
Ist es nicht die ETA selbst, die zu dieser Situation geführt hat?
Sicher. Doch die ETA ist nicht allein dafür verantwortlich, dass es die ETA gibt. Alle politischen Gruppierungen tun heute so, als hätten sie mit dieser Entwicklung nichts zu tun: Als handle es sich bei der ETA um einen Baum, der ganz von allein in einem verwilderten Garten gewachsen ist. Hauptverantwortlich für das Vorhandensein der ETA ist die ETA selbst, gut, dennoch müsste man langsam einsehen, dass alle zur gegenwärtigen Situation beigetragen haben. Nicht nur die Basken, auch der spanische Staat. Die ETA ist nicht aus dem Nichts entstanden. Es gibt Leute, die sie heute mit einem Federstrich aus der Welt schaffen möchten, dabei aber vergessen, dass sie selbst noch vor fünf, sechs Jahren auf ihrer Seite waren. In der gegenwärtigen Situation, wo niemand auf den andern hört, ist das Gespräch zu einem Dialog zwischen Tauben und Stummen geworden, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Dazwischen stehen die Waisen. Und die Luft wird immer dünner.
Das Gespräch wurde 1995 geführt. Die Fragen stellte Cristina Turrau.