Seit dem kalten Januartag, an dem Mario Conde auf Befehl seines Chefs sein Haus verlässt, bis zu dem, an dem er freiwillig während eines Wirbelsturmes zu seinem Haus zurückkehrt, um sich in die Literatur zu flüchten, ist fast ein Jahr vergangen – aber nicht irgendeines. Die Geschichten, die in der Tetralogie Das Havanna-Quartett von Leonardo Padura erzählt werden, ereignen sich 1989, einem besonders schwierigen Moment in der Geschichte Kubas. Eine Gruppe von Leitfiguren des Innenministeriums und der Streitkräfte ist wegen Drogenhandel und Korruption angeklagt und verurteilt worden. Außerdem beginnt sich zu dieser Zeit der »Sozialismus« aufzulösen, und damit stürzen gleichzeitig bestimmte Erwartungen und Hoffnungen ein. Es ist ein Präludium für das, was man später in Kuba den »período especial« nennt. Diese Tatsachen bilden den Hintergrund, vor dem sich die Figuren Paduras bewegen. Dass er als Hintergrund für die Tetralogie dieses Jahr ausgewählt hat, ist ein Hinweis auf das Interesse des Schriftstellers an der Untersuchung gesellschaftlicher Zustände.
Doch obwohl die Bilder in dieser Tetralogie im Wesentlichen zur Situation von 1989 passen, bewegt sich der suchende Blick oft in die Vergangenheit, insbesondere in das vergangene Jahrzehnt hinein. An anderen Stellen erscheinen auch charakteristische Begebenheiten des nachfolgenden Jahrzehntes. Und was noch wichtiger ist: Die Sensibilität (bis hin zur Hypersensibilität) mit der diese Angelegenheiten beleuchtet werden und auch die Handlungsweise der Protagonisten entspricht eigentlich eher den Neunzigerjahren.
»Weißt du eigentlich, wo mir der Kopf steht? Meinst du, es wär leicht, seine Arbeit zu tun, wenn ein ganzes Bataillon von internen Ermittlern hier in der Zentrale rumschnüffelt? Weißt du, wie viele Fragen mir Tag für Tag gestellt werden? Weißt du, dass bereits zwei unserer Beamten wegen Korruption entlassen worden sind und zwei weitere wegen Nachlässigkeit im Dienst suspendiert werden? Und kannst du dir vielleicht vorstellen, wem all diese Geschichten angelastet werden? Mir natürlich!« (Labyrinth der Masken, S. 29)
Die Bewunderung für die Polizei und die Mitarbeit der Bevölkerung, die man aus den Erzählungen der Siebzigerjahre kennt, hat sich hier in Distanz verwandelt. Sie zeigt sich an dem Hochmut und der Geringschätzung, die dem Leutnant von vielen Figuren entgegengebracht werden. So muss er zum Beispiel hinnehmen, wie ihn Fermín Bodes reizt:
»›Ich habe Spaß am Angeln, wie viele Leute in diesem Land, die ein Boot haben oder auch andere Sachen. Sie machen mit ihnen Dinge, die erlaubt sind und manchmal sind sie auch ein bisschen ungehörig. In der Zeitung spricht man immer noch davon. Es waren alles leitende Persönlichkeiten und Militärs und es gab sogar einige, die Polizisten waren, so wie Sie … oder sie hatten noch höhere Ränge‹, schloss er und tippte sich dabei mit zwei Fingern auf die Schulter.« (Das Meer der Illusionen, S. 105)
Conde kann seine Wut kaum zurückhalten. Er wünscht sich, dass Fermín der Mörder ist, damit er ihn ins Gefängnis stecken kann. Aber Fermín kann sich seine Unverschämtheit leisten, weil er im Fall von Forcade unschuldig ist.
In Handel der Gefühle erzählt Conde seiner Geliebten Karina die Geschichte seines Lebens, melodramatisch gefärbt und in der dritten Person, um sie zu verführen.
»Er sieht sich gezwungen, einen unerwarteten Weg einzuschlagen, der ihn von der Schönheit und der Fantasie entfernt und ihn, mit einer Pistole im Gürtel, in die finstere Welt der Bösen führt, ausschließlich der Bösen, unter denen er leben muss, in dem Glauben, dass er der Gute ist, der den Frieden wiederherstellen soll. Doch der kleine Junge, der jetzt nicht mehr so klein ist, träumt weiterhin davon, dass er irgendwann einmal den Fängen des Schicksals entwischen und in jenen Garten zurückkehren kann, wo er dann den erträumten, den richtigen Weg finden wird. Währenddessen jedoch lässt er Gefühle zurück, die ihm absterben, Lieben, die ihm verdorren, und Tage, viele Tage, die er damit verbringt, durch die schmutzigen Kloaken der Stadt zu stapfen.« (Handel der Gefühle, S. 98)
Die letzten Worte des Zitates könnten allerdings zu einem Missverständnis führen. In Wirklichkeit gehen die Kriminellen in Das Havanna-Quartett ihren Geschäften nicht in den Randbereichen der Gesellschaft nach. Es sind sehr ungewöhnliche Straftäter in der kubanischen Literatur: ein Diplomat, der Vorgesetzte eines Büros, ein Student, ein Leiter der Institution OFICODA. Auch die Opfer befinden sich nicht jenseits des Gesetzes. Zwei von ihnen, Rafael Morín und Lissette Núñez, genießen sogar gesellschaftliche Anerkennung. Das Geschick, das der Leutnant bei der Aufklärung der Verbrechen beweist, garantieren ihm ein gewisses Prestige bei seinen Kollegen in der Zentrale. Aber Conde selbst bleibt unzufrieden: Während seiner Ermittlungen hat er andere Verbrechen aufgedeckt, für die es noch keine Akte gibt. Es geht um Persönlichkeiten, die einen hohen Grad an Autorität innehaben oder -hatten. Und sie haben ihre Position benutzt, um materiellen Vorteil daraus zu ziehen – Persönlichkeiten, die ihren Luxus und ihre doppelte Moral zur Schau stellen. Unter ihnen ist der entthronte und skrupellose Gerardo Gómez de la Peña, der folgendermaßen rechtfertigt, dass er einen Matisse an der Wand hängen hat:
»Warum sollte ich mich schämen, gerade ich, der ich alt und pensioniert bin, dem es einfach gefällt, dieses Bild anzusehen. Wie ich sehe, Leutnant, kennen Sie dieses Viertel nicht. Hier gibt es in all den Häusern, die so komfortabel wie dieses sind, andere, ähnlich schöne Bilder. Sie sind alle mehr oder weniger auf dem selben Wege erworben worden. […] Nein, natürlich schäme ich mich nicht. Wer hat der hat, und wer's nicht hat, hat Pech gehabt, nicht wahr?« (Das Meer der Illusionen, S. 65)
In den Romanen von Padura werden vor allem die verborgenen Verbrecher gezeigt. Von diesen Figuren ausgehend, lassen sich die starken Gegensätze darstellen, die die gesellschaftliche Ungleichheit zeigen. Die Art, dieses Problem anzugehen, entspricht einer Entwicklung, die sich eher in den Neunzigerjahren zeigt. Als Folge der Wirtschaftskrise, unter der das Land litt, sind die Unterschiede in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft noch deutlicher geworden. Der Vergleich zwischen dem Haus des Firmenchefs, Rafael Morín, im Rang eines stellvertretenden Ministers, mit dem einfachen Appartement seiner Mutter, in dem er selbst geboren und aufgewachsen ist, spricht für sich:
»Dieses dunkle, überbelegte Mietshaus schien Welten entfernt von dem Anwesen in der Calle Santa Catalina. Man konnte sagen, es trennten sie Ozeane und Berge, Wüsten und Jahrhunderte.« (Ein perfektes Leben, S. 123)
Aber es gibt auch andere Vergehen in der Tetralogie, denen der Leutnant toleranter gegenübersteht und von denen er sogar profitiert. Josefina widmet sich der Vorbereitung wohlschmeckender Mahlzeiten, um den Heißhunger von Carlos und seinem Gast zu befriedigen. Aber dafür muss sie über die Lebensmittelnormen hinwegsehen und sich außerhalb des Legalen bewegen. Die beiden wissen ganz genau, dass die unglaublichen Mahlzeiten, die die Frau ihnen serviert, das Ergebnis von Delikten sind, die auf Diebstahl zurückgehen. Aber sie nehmen es gerne in Kauf. Als Josefina einen gut gewürzten Eintopf mit Meeresfrüchten auftischt, wagt es Conde zu fragen:
»Und wo, zum Teufel, hast du das alles besorgt, Jose?«
»Vergiss mal für einen Moment, dass du Polizist bist, und deck den Tisch, los!« (Handel der Gefühle, S. 71)
Er fragt nicht weiter nach und verspeist zufrieden das Eintopfgericht. Genauso widmet sich auch sein Freund und Informant Candito heimlich Geschäften: der Herstellung von Schuhen zunächst, dann von Warnlampen. In den Neunzigerjahren könnte er als jemand durchgehen, der auf eigene Rechnung arbeitet. Aber im Jahr 1989 lief er immer noch Gefahr, für seine privaten Geschäfte verurteilt zu werden. Mario Conde deckt den alten Kollegen aus der Schule nicht ganz ohne Angst, aber er nutzt seine Informationen und macht Gebrauch von seinen Produkten.
Als Carlos Conde einlädt, im Schuppen von Candito einige Bierchen zu trinken, ziert sich dieser:
»Du weißt doch, dass ich mich nicht auf so was einlassen kann, Dünner. Was der macht, ist illegal, und wenn was passiert .«
Als der Freund darauf besteht, verteidigt er sich:
»Ich kann nicht, Alter. Ich bin Polizist, Mann, vergiss das nicht.« (Labyrinth der Masken, S. 17)
Aber schließlich stimmt er zu und er trinkt das Bier und isst, was ihm Candito anbietet. Ebenso wie er vorher die Sandalen erworben hat, die der Freund für seine Geliebte Karina angefertigt hat. In Das Havanna-Quartett kommen auch noch andere Delikte vor, wie Devisenverkehr, Drogenkonsum und -handel sowie Prostitution. Die Art und Weise mit der diese Angelegenheiten in der Tetralogie behandelt werden, zeigt, dass die Perspektive, aus der die gesellschaftliche Wirklichkeit gesehen wird, auf einer eigenen Bewertung der Neunzigerjahre beruht. Der ersten der aufgezählten Straftaten wird zum Beispiel in den Romanen wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Aufgrund der Tatsache, dass der Handel mit dem Dollar nicht mehr unter Strafe gestellt wird, verliert diese Angelegenheit im folgenden Jahrzehnt an Bedeutung. Stattdessen werden die Themen Drogen und Prostitution, die kurze Zeit später die Sorge der Gesellschaft hervorgerufen haben, zu den wichtigsten Teilen bei den Ermittlungen zur Aufklärung des Mordes in Handel der Gefühle. Bei Lissette Núñez stellt sich das Problem der Prostitution mit den typischen Zeichen dessen dar, was die Umgangssprache mit dem Begriff »jineterismo« bezeichnet hat. Sie war eine junge Werktätige, deren Grundbedürfnisse alle befriedigt waren, aber der Wunsch, ihren Kleiderschrank erheblich zu erweitern, macht es erforderlich, dass sie sexuelle Beziehungen zu Einheimischen und Fremden aufnimmt. Am Ende wird sie von einem Studenten gejagt und ermordet, ebenfalls Prostituierter, wegen eines Tausches von Prüfungsfragen gegen körperliche Zuwendung.
In der kubanischen Gesellschaft tauchen Phänomene auf, von denen man früher nur entfernt gehört hatte und deren Bezeichnungen nicht sehr geläufig sind. Deswegen muss Conde, als er den Auftrag zur Aufklärung des Mordes an Alexis Arayán erhält, seinen Chef bei der Aussprache des Wortes »Transvestit« korrigieren. Sogar Alberto Marqués wundert sich über die Kühnheit von Alexis, das Kostüm der Electra Garrigó zu tragen. Die Feindlichkeit gegenüber der Homosexualität bleibt bestehen, aber das, was an der Darstellung im Roman Labyrinth der Masken neu ist, ist die Entscheidung vieler Homosexueller, sich als solche zu erkennen zu geben vor der Mehrheit der Heterosexuellen. Das hängt mit der Entstehung einer gewissen Flexibilität der sozialen Kriterien gegenüber der Homosexualität zusammen. Es zeigt sich im Roman an der Entwicklung des Verhaltens von Mario Conde gegenüber dem Dramaturgen Alberto Marqués: Aus seiner anfänglich ablehnenden Haltung während des ersten Gesprächs entwickelt Mario Conde allmählich Sympathie, die er nach seinem letzten Treffen mit ihm zum Ausdruck bringt:
»Wie dem auch sei, dachte er, er ist schwul, das jedenfalls ist nicht gelogen. Aber ich mag ihn, auch das ist nicht zu leugnen.« (Labyrinth der Masken, S. 208)
Die Veränderung in der Einschätzung von Marqués ist im Wesentlichen auf die Anerkennung seiner intellektuellen Überlegenheit zurückzuführen. Conde, als Polizist anfänglich den gesellschaftlichen Vorurteilen verhaftet, schätzt nun Marqués wegen seiner Sensibilität und seines frustrierten Schriftstellerdaseins. Deshalb betrachtet Conde seinen Bericht – anders als vorher – mit Wohlwollen. Grundlage dieses Wandels ist eine Gemeinsamkeit der beiden Figuren. Beide sind in ihren künstlerischen Hoffnungen durch falsche administrative Entscheidungen behindert worden, die mit der Rolle der Kultur in der sozialistischen Gesellschaft zusammenhängen. Conde zwingt Alberto Marqués noch einmal, das Urteil zu durchleben, das gegen ihn im Namen der kubanischen Kunst gefällt worden war. Das hatte zu seinem Ausschluss aus der Gruppe geführt, die er gegründet hatte, und es führte zu seiner anschließenden Isolierung.
Die Absicht der Figur drückt hier auch die des Schriftstellers aus. Er versucht, einen schwierigen Moment der kubanischen Kultur in den Siebzigerjahren zu zeigen. Deswegen reicht ihm auch nicht die Geschichte des Dramaturgen. Er schließt die Geschichte des religiösen Dichters mit ein und die der Hauptdarstellerin und ihrer literarischen Zeitung, der Viboreña. Damit das Bild komplett ist, wird diesen Figuren noch der erfolgreiche Schriftsteller Miki entgegengestellt, den »ein sauschlechter Roman und zwei Bände mit harmlosen Erzählungen, die keinem wehtaten, unverdientermaßen in die Kategorie eines Künstlers erhoben hatten.« (Labyrinth der Masken, S. 54).
Die Idee von der Dauerhaftigkeit der wahren Kunst, die die historische Zeitläufte überdauert, ist eine der zentralen Vorstellungen in Labyrinth der Masken und in gewisser Weise auch in der gesamten Tetralogie. Auf der anderen Seite sieht es so aus, als wäre die Welt für die Figuren in Das Havanna-Quartett unverständlich geworden. Die Flucht- und Rückzugswege, die sie suchen, sind unterschiedlich. Candito, aufgrund von Schicksalsschlägen zum Leben auf einem Baugelände verurteilt, sucht Zuflucht in der Religion und erklärt dem erstaunten Mario Conde:
»Und warum kannst du dir mich dabei nicht vorstellen? Wäre es dir lieber, dass ich mein ganzes Leben lang ein Kleinkrimineller bin, der den ganzen Tag darauf wartet, dass ein Polizist vor dieser Tür steht, der natürlich nicht du sein wirst? […] Ist es nicht besser zu singen und ein wenig zu beten, Conde, und zu denken, dass es irgendwo jemanden gibt, der nur von dir fordert, dass du an ihn glaubst und gut bist? Mario, ich habe einfach die Schnauze voll von all der Scheiße, die um uns herum ist.« (Das Meer der Illusionen, S. 88)
Andrés, den seine Freunde für einen erfolgreichen Mann halten, ist desorientiert und bedrückt von der alltäglichen Routine. Er entscheidet sich, das Land zu verlassen, um sein Leben zu verändern. Die Auswanderung, seit vier Jahrzehnten ein bedeutendes Moment der kubanischen Geschichte, wird in der Tetralogie durch eine Reihe von Figuren thematisiert: Der Vater von Rafael Morín, der Vater von Andrés Miguel Forcade, Dulcita, die Tochter von Rangel. Die Gründe für die Auswanderung sind unterschiedlich. Gleichzeitig werden die Veränderungen geschildert, die in der kubanischen Gesellschaft aufgrund der Auswanderung dieser Figuren geschehen sind. Die Reaktion der Kumpel von Andrés – Überraschung, nicht etwa Ablehnung – weist auf diese Veränderungen hin. Doch für Conde zählen das Zugehörigkeitsgefühl zu seinem Herkunftsort und die Freundschaft zu den wichtigsten Werten. Im Vergleich zu den anderen Figuren hat Carlos, der an den Rollstuhl gefesselt ist, noch die positivste Einstellung. Er ist nur knapp dem Tod entgangen, was es ihm erlaubt, das Leben auf eine andere Art zu schätzen, ohne große Ressentiments. Eine Flasche Rum, die Übertragung der Baseballspiele im Fernsehen sowie die Zuwendung der Mutter und der Freunde reichen ihm aus, um zu überleben. Mit der Figur Carlos' ist durch dessen Behinderung auch der Bezug zu den kubanischen Militäraktionen in Angola in den vier Romanen präsent. Aber es geht hier weder um Heldentum noch um die Gründe oder Folgen seiner Handlungen. Der Krieg wird nicht in einem epischen Sinne zur Sprache gebracht, sondern aus der Sicht eines Individuums, das durch ihn verstümmelt wurde. Es gibt keine Lobeshymnen, sondern intensiven Schmerz.
El Conde fühlte sich nicht recht wohl dabei, hier glücklich zu sein, während der dünne Carlos, der schon lange nicht mehr dünn war, zum Krüppel geschossenes Bauernopfer eines geopolitischen Krieges, keine Möglichkeit mehr hatte, seine Triebe zu befriedigen, jedenfalls nicht mit einer ausgeflippten Tussi. Und der unter der Vorstellung litt, seine ehemalige Freundin könnte ihn so sehen, ganz tief unten. (Labyrinth der Masken, S. 212)
Viele der Figuren der Tetralogie sind von Einsamkeit und Pessimismus geprägt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Humor gibt. Er kommt häufig durch die Umgangssprache zum Ausdruck, manchmal, ganz kubanisch, bis ins Vulgäre hinein. Diese humoristischen Elemente kommen in verschiedenen Kontexten vor. Sie werden vor allem im Zusammenhang mit sozialen, politischen und erotischen Situationen hervorgebracht. Als zum Beispiel Alberto Marqués von dem Beginn seiner sexuellen Erfahrung berichtet, sagt er:
»Und seit meinem zwölften Lebensjahr, als mir klar wurde, dass ich in den Freund meiner Schwester verliebt war, wusste ich, dass es für mich keine andere Möglichkeit gab, als meine Sexualität mit Männern auszuleben. Was ich seitdem auch immer und überall getan habe, bis heute. Denn so bin ich nun mal und werde es immer bleiben, jetzt und immerdar, wie es geschrieben steht.« (Labyrinth der Masken, S. 207)
Auch als sich Conde an die Schuhe erinnert, die der ehemalige Minister Gerardo Gómez de la Peña trug, als er noch die beschleunigte Entwicklung der Wirtschaft versprach, verpackt er seinen Ärger in Humor:
»Mario Conde dachte darüber nach, ob diese Schuhe, die damals an ihm vorbeigegangen waren und von denen er immer noch träumte, der Grund sein könnten, warum er aufhören würde, Polizist zu sein - angesichts der Notwendigkeit, so schnell wie möglich an Geld zu kommen und seinen russischen Stiefeln, eher zum Wandern in der Steppe, Tundra oder Taiga geeignet, einige Exemplare an die Seite zu stellen, die weniger proletarisch waren.« (Das Meer der Illusionen, S. 54)
Das Hintanstellen vieler seiner Träume hat Mario Conde ungläubig gemacht. Das erklärt vielleicht den bitteren Nachgeschmack nach der Lektüre von Das Havanna-Quartett. Aber die Kriminalliteratur, die sich um soziale Themen bemüht, zeichnet sich nun mal dadurch aus, dass sie die Probleme und Widersprüche der Literatur benennt, dass sie selbst die dunkelsten Ecken der Wirklichkeit zeigt. Aber – wir erinnern uns der letzten Worte in Das Meer der Illusionen – das Ende der Welt ist noch nicht gekommen. Und gerade in der Literatur findet Conde eine Art Befreiung von seiner Frustration und Zuflucht vor der Erinnerung.
Noemí Madero ist Professorin an der Fakultät für Kunst und Literatur in Havanna.