Labyrinth der Masken von Leonardo Padura ist ein sehr kubanischer Kriminalroman. Labyrinth der Masken ist ein sehr globaler Kriminalroman, denn sein Originaltitel (Máscaras) schließt ihn – wie der deutsche Titel auch – ganz eng an das berühmte Diktum von Gilbert Keith Chesterton an, der Kriminalroman sei recht eigentlich ein Maskenball, bei dem nichts so sei, wie es ist, und das Spiel mit der Darstellung im Vordergrund stehe. Und die Bedeutung von Chesterton im lateinamerikanischen Raum kann man – via Jorge Luis Borges – gar nicht überschätzen, sie ist schlichtweg enorm.
Labyrinth der Masken ist aber auch deswegen ein Kriminalroman sui generis, weil er ein Roman über Außenseiter ist. Und das hat wiederum sehr kubanische Gründe. »Die Legislation und Propaganda Fidel Castros gegen Homosexuelle als Agenten des amerikanischen Imperialismus ist bekannt«, notierte lakonisch Hans Mayer in seinem entscheidenden Buch zum Thema, Außenseiter.
Gemeint ist damit die Zuordnung von Homosexualität zu anderen Parametern (deswegen spricht man oft von »Parametrisierung«) unsozialistischen Verhaltens: Intellektualismus, Habgier, mangelnde Begeisterung für den Aufbau des Sozialismus, Individualismus, Einzelgängertum etc. Kulturpolitisch gesehen gehörte Homosexualität zu dem Sündenzusammenhang »Formalismus«, »Dekadenz« und andere gegen den einzig wahren sozialistischen Realismus (im Gefolge von Lukács) gerichtete Untugenden, die zugleich politische Subversion bedeuteten und als konterrevolutionär geahndet wurden – mit härtesten Bandagen.
Homosexuelle und homosexuelle Künstler wurden Ziel von Repression und Isolation. Schwule Intellektuelle, die, so das Standardargument, die Jugend verführen könnten, wurden aus öffentlichen Positionen entfernt und der körperlichen Arbeit, der »Produktion« zugeführt. Exil oder Unsichtbarkeit waren ihre einzigen Alternativen. Prominente Fälle wie Reinaldo Arenas, Severo Sarduy oder José Lezama Lima produzierten internationale Skandale, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren allerdings gerne unter nebenwidersprüchliche Kinderkrankheiten des revolutionären Großprojekts Kuba verbucht wurden. Und insofern millimetergenau Hans Mayers Beobachtung bestätigten, dass eine »Denkrichtung, die eine jede sogenannte ›Personalisierung‹ verachtet, um allein die Kollektivität anzuerkennen … eine unmenschliche Praxis befördert«.
Eine der Hauptfiguren und -opfer der Parametrisierung war der Dramatiker Virgilio Piñera, dessen Porträt Padura in der Gestalt des Alberto Marqués zeichnet und damit einen erheblichen Beitrag zu dessen menschlicher und künstlerischer Rehabilitation auf Kuba selbst leistet. Juan Goytisolo erzählt eine Anekdote, der zufolge Che Guevara ein Buch von Piñera wütend und erbost durchs Zimmer geworfen und gebrüllt habe: »Schwuchtelkram«.
Das revolutionäre Pathos dieser wahren oder zumindest gut erfundenen Episode hat seine Logik: Wie alle Revolutionen hatte auch die kubanische einen gewissen puritanisch tugendwahnhaften Kern. Das Kuba der Batista-Zeit war die Lasterhöhle der Cosa Nostra; Meyer Lansky und seine Jungs versorgten eine zahlungsfähige Klientel im schicken Havanna mit allen menschlichen Bedürfnissen, nach denen Nachfrage bestand: Sex in allen Spielarten, Glücksspiel, Drogen. Homosexualität galt als Laster, als abartige Praxis einer reichen Elite – so wie die sexuelle Toleranz und Libertinage des Ancien Régime nicht als kleines Stück menschliche Utopie, sondern als Ausweis von Verrottung und Dekadenz gewertet wurde. Denselben Reflex finden wir in der sozialistischen/sozialdemokratischen Empörung über die »ungeheuerlichen« Vorgänge am Kaiserhof Wilhelms II., oder die schwulen Umtriebe eines Krupp-Erben auf Capri, als Liquidationsvorwand für die SA-Gruppierung um Röhm auf nationalsozialistischer Seite, verknüpft mit dem Antisemitismus zu Stalins Zeiten und so weiter und so traurig fort.
Die Ikonografie der kubanischen Revolution – prächtige, bärtige Mannsbilder, die dicke Zigarren rauchen, mit Schusswaffen hantieren, blanken Uniformfetischismus treiben und durch das Charisma ihres machismo weibliche Zuhörerscharen erregt erbeben lassen – fügt sich nahtlos nicht nur in das traditionelle Geschlechterbild Lateinamerikas, sondern in einen globalen Zusammenhang fragwürdiger Gewissheiten, die angeblich »normales Geschlechtsverhalten« mit »Natur« verwechselt. Wer will, kann diese Denkfigur bis Platon zurückverfolgen. Die, laut Hans Mayer, an ihren Außenseitern gescheiterte Aufklärung setzt sich in ihrem Scheitern in den Revolutionen des zwanzigsten Jahrhunderts fort.
Weil aber gerade erstens Kriminalromane in der Tradition von Dashiell Hammett (nicht von Chandler, by the way) den Blick der Außenseiter auf die Welt in besonders wirkmächtige Literatur verwandelt haben, und zweitens angeblich »schwule Kriminalliteratur« auf Kuba als besonders verächtlich galt (man hielt von offizieller Seite zum Beispiel Hercule Poirot für eine Schwuchtel und spekulierte degoutiert über die wirkliche Beziehung zwischen Nero Wolfe und seinem Adlatus Archie Goodwin, von Sherlock Holmes und seinem Watson ganz zu schweigen), darf man es ruhig als besondere Ironie sehen, dass 1972 anlässlich des Concurso Aniversario del Triunfo de la Revolución ausgerechnet das Innenministerium einen sozialistischen Kriminalroman forderte, in dem der Delinquent grundsätzlich der Außenseiter zu sein hatte. Entweder als ruchloser CIA-Agent, meistens mit jüdischen Namen, oder als asoziales Element – eben zum Beispiel als Homosexueller, den man, Lombroso lässt grüßen, an gewissen Parametern erkennen kann.
Selbst bei avancierterer literarischer Technik sind diese Grundmerkmale noch bei kubanischen Autoren wie Daniel Chavarría oder Luis Rogelio Nogueras zu finden; ästhetische Positionen des sozialistischen Realismus sind also anscheinend leichter suspendabel als Homophobie und Antisemitismus (wobei noch Sexismus und Rassismus hinzukommen, aber das ist ein anderes schlimmes Kapitel) – auch in der internationalen Rezeption.
In diesen einerseits spezifischen, andererseits globalen Zusammenhang gehört Paduras Labyrinth der Masken. Sein Held, der Teniente Mario Conde, personifiziert die ganze Komplexität des Themas. Conde ist eine extrem realitätstüchtige Figur, weil er keineswegs eine oberflächliche Scheinliberalität an den Tag legt. Er ist homophob sozialisiert, er ist hysterisch misstrauisch, wenn er Alberto Marqués verhören soll, ihn gruselt vor Transvestiten und er entwickelt eine gehörige Portion Angstlust, bevor er schlichten Respekt vor der Würde des alten Dramatikers entwickeln kann.
Ganz im Sinn der Mayerschen Distinktion zwischen »existentiellem« und »intentionellem Außenseiter« ist Conde aber auch der typische, topische, meinethalben allegorische Melancholiker. Skeptisch, nachdenklich, belesen, versoffen, lustbetont, aber beziehungsgestört. Ein Parametrisierter, allerdings aus eigenem Entschluss und eigener Reflexion – intentionell eben. Und so zerbröseln ihm im Laufe der Handlung die letzten Gewissheiten über den Gang der Welt. Die Masken der Revolution spiegeln sich verzerrt in den Masken des Transvestismus, beide werden offen für neue Zuordnungen. Und die neue Offenheit wird möglich, weil ein armer, verwirrter Jüngling im blutigen Ernst mit den alten Normen kollidiert ist. Er wurde ermordet. Der sozialistische Kriminalroman hat sein letztes Opfer gefunden – mit Leonardo Paduras Labyrinth der Masken beginnt eine neue Phase.
Und noch mal paradoxerweise ist damit der solcherart aufgestellte, anscheinend randständige kubanische Kriminalroman der derzeitigen mainstream-Variante der europäisch-amerikanischen kriminalliterarischen Erfolgswelle intellektuell und ästhetisch weit voraus.