Interview: Mohamed Amjahid
zenith: Frau Alem, ihr Buch Das Halsband der Tauben handelt von Prostitution, Menschenhandel, Drogenexzessen und Waffenlobbyisten in Mekka, der heiligen Stadt der Muslime. Sie haben trotzdem als erste Frau überhaupt den Arabischen Buchpreis dafür bekommen.
Raja Alem: Das geht anscheinend zusammen. Mekka verliert nicht seine heilige Aura, nur weil ich über die Wahrheit schreibe, die dort alltäglich passiert.
Sie schreiben auch über Liebe und Sex, wie passt das mit Saudi-Arabien zusammen?
Vielleicht nicht ganz, vielleicht nicht in der nackten Öffentlichkeit. Aber ich kann ja nur von mir sprechen: Ich bin ein Mensch, der für die Liebe geschaffen wurde. Ich liebe sehr viel und sehr intensiv.
Beim Arabischen Buchpreis gab es dieses Jahr noch eine Premiere, nämlich zwei Gewinner gleichzeitig. Sie teilen sich die Ehre mit dem marokkanischen Schriftsteller Mohammed Al-Achari. War eine weibliche Hauptgewinnerin dann doch eine zu große Zumutung?
Ich glaube, das ist die falsche Frage. Man sollte nicht schauen, welches Geschlecht jemand hat. Ich glaube auch nicht, dass der Preis aufgeteilt wurde, nur weil ich eine Frau bin. Wenn man das so denkt, hat Mohammed Al-Achari ja auch nur einen halben Preis bekommen und sollte sich Gedanken über seine Manneskraft machen. Vielleicht kann man das Preisgeld teilen, aber die Ehrung, die ist für mich unteilbar.
Ihr Stil wird als eine Mischung aus moderner, gesetzloser Literatur und traditionellen Themen beschrieben, sind Sie damit einverstanden?
Mein Stil? Das bin ich. Ich trage es in mir, diese ganz alte, traditionelle Geschichte. Gleichzeitig lebe ich auch hier auf dieser Welt, ich liebe es, mich in Abenteuer zu stürzen. Deswegen schreibe ich modern. Mein Buch »Das Halsband der Taube« besteht aus vielen Emails der Heldin Aicha an ihren deutschen Geliebten. Ich habe keine Angst vor einem ungeschminkten Gespräch, so wie es täglich in Millionen Emails geschieht.
Sie haben eine enge Verbindung zu Ihrer Schwester, die Künstlerin ist. Wie viel Raja Alem, wie viel Shadia Alem finden sich in ihren Romanen?
Meine Romane handeln eigentlich oft über Raja und Shadia, alles was uns in den Kopf kommt, alles was wir erleben, wandert in meine Texte.
Inwiefern?
Sie hat eine Art, mir die Sachen zu sagen. Ja, wir brauchen gar nicht miteinander zu sprechen. Ich schreibe gerade an meinen neuen Roman in englischer Sprache und sie hat gleichzeitig ein Kapitel geträumt, als ich es geschrieben habe. Als sie mir von ihrem Traum erzählte, habe ich meine Geschichte ergänzt. Und sie ist gleichzeitig meine schärfste Kritikerin und zerfetzt schon mal ganze Kapitel in der Luft.
Sie ist also immer involviert?
Nein, wir bewahren auch genügend Privatsphäre, ich spreche mit ihr nicht über meine Bücher, wenn sie entstehen und schaue dafür nur dann auf ihre Kunst, wenn sie vollendet ist. Schreiben das ist für mich wie eine Schwangerschaft, man kann doch den Bauch nicht einfach aufschneiden und reinschauen. Es muss sich entwickeln und irgendwann mal kommt die schmerzhafte Geburt.
Sie kritisieren die Veränderung ihrer Heimatstadt Mekka und die vielen Wolkenkratzer, die dort aus dem Boden gestampft werden. Wie gefährlich ist das saudische Wirtschaftswachstum für die Kultur dort?
Sehr gefährlich! Siehe doch nur die ganzen Leute in Mekka und Jedda, die mit ihren Luxusautos unterirdisch in ihre Wolkenkratzer fahren, sie atmen nur noch ihre Klimaanlagenluft und gehen gar nicht mehr raus. Wachstum und Wirtschaft sind aber dennoch ein notweniges Übel.
Wie gefährlich ist Politik für Kultur?
Politik ist die Pest, die die Welt verrecken lassen wird. Politiker manipulieren die Welt, manipulieren die Menschen, sie stiften nur Streit. Politik lässt mir nicht genügend Freiraum, damit ich mich entfalten kann.
(Quelle: www.zenithonline.de)