Während meiner ersten Jahre waren Audienzen eine der offiziellen Funktionen, bei denen ich dachte: Autsch, jetzt kommts drauf an! Sie sind zwar kein so großes Problem mehr – doch sie sind noch immer eine der Herausforderungen, wo ich weiß, dass ich »auf Draht« sein muss. Audienzen gibt es ungefähr jeden zweiten Montag um zehn.
Ich weiß nicht im Voraus, wer kommen wird, aber ich bekomme jedes Mal eine Liste mit sieben Leuten, sodass ich immer weiß, wen ich vor mir habe und warum er oder sie gekommen ist. Die Leute bitten um eine Audienz, wenn es in ihr eigenes Programm passt. Der springende Punkt ist, dass sie nicht im Voraus um eine Audienz ersuchen müssen; dennoch kommen sie meistens aus einem speziellen Grund. Die Liste nennt Namen, Beschäftigung und Grund, und in der Regel hält sie auch fest, in welcher Region er oder sie lebt – also habe ich etwas, an dem ich mich zu Beginn festhalten kann. Zum Glück habe ich die meisten Ecken Dänemarks besucht, sodass ich fast immer mit einer Bemerkung über die Gegend, aus der die betreffende Person stammt, beginnen kann.
Ich improvisiere – das tue ich lieber, weil dann die Unterhaltung spontaner ist. Man kann in den etwa zwei Minuten, die es dauert, eine ganze Menge Dinge anschneiden; man kann dabei auch eine Menge Unsinn von sich geben – das kommt schon vor, und ich hoffe, die Leute vergeben mir meine Wirrköpfigkeit. Manchmal stelle ich der gleichen Person die gleiche »geniale« Frage im Abstand von zwei Jahren. Es endet meistens damit, dass wir herzlich über meine Vergesslichkeit lachen – meine Auffassungsgabe hat eben Grenzen!
Natürlich versucht man, sein Bestes zu geben. Es sollte für jemanden, der zu dieser unmöglichen Morgenstunde in seiner Sonntagskleidung ankommt, keine Zeitverschwendung sein. Es lässt sich mit Dänen jedoch sehr leicht reden, und dass ich jetzt älter bin, hat auch irgendwie geholfen. Es ist leichter, als fast Fünfzigjährige dazustehen und Fragen über dies und jenes zu stellen, als es das war, als ich gerade über dreißig war und mich im Vergleich zu einem distinguierten Ständigen Unterstaatssekretär, der alt genug war, um mein Vater zu sein, und der eine lange Karriere hinter sich hatte, wie ein fürchterliches Baby fühlte. Manchmal kam ich mir wie ein kleines Mädchen vor, und dennoch sagte ich mir: »Nun ja, du bist vielleicht erst dreiunddreißig, aber du bist kein kleines Mädchen – du hast die Position, die du hast, und er hat die Position, die er hat, und deshalb seid ihr beide hier.« Dass jüngere Leute nach und nach in höhere Positionen gelangen, hat ebenfalls geholfen.
Während der Sitzungsperiode des Folketing tagt der Staatsrat meist jeden zweiten Mittwoch. Jeden Mittwoch kommen der Premierminister und der Außenminister, um mich über die politische Lage zu informieren; beide haben bestimmte Themen, über die ich mit ihnen reden soll. Es ist jetzt für mich leichter geworden, Fragen zu stellen. Mir ist wohl bewusst, dass achtzehn Jahre mich etwas gelehrt haben. Am Anfang hörte ich meistens zu; heute führen wir eher eine Unterhaltung. Viele Themen sind genau dieselben wie die, über die man in den Zeitungen lesen kann, jedoch ausführlicher dargestellt, und oft höre ich schon von ihnen, ehe sie die Medien erreichen. Und dann gibt es Vertraulicheres – wofür die Zusammenkünfte vor allem gedacht sind.
Und natürlich erhalte ich alle Botschaftsberichte. Sie kommen ins Kabinettssekretariat, und der Kabinettssekretär geht sie durch, und wenn es etwas Besonderes gibt, sage ich: »Das würde ich mir gerne näher ansehen« ... Ich habe mich immer sehr für die aktuellen Ereignisse interessiert.
Mein Mann und ich lesen mehrere dänische Zeitungen und auch ausländische Zeitungen und Wochenblätter, die uns wohl unterrichtet halten. Wir erhalten die Zeitungen zusammen mit unserem Frühstückstablett ans Bett, und gleichzeitig hören wir die Nachrichten im Radio. Meistens beginnen wir unseren Tag zwar um acht, doch verlangt unser Programm häufig, dass wir früher auf den Beinen sind; das macht mir jedoch nichts aus, ich habe keine Schwierigkeiten aufzuwachen. Ich blättere die Tageszeitung morgens immer durch und lese sie später am Tag oder Abend genauer, meistens zwischen sechs und acht, zu der Zeit, in der ich mich konzentriert der Lektüre – auch der von Büchern – zuwende, wenn ich mich von meinen Zeichnungen fern halten kann!
Ich würde mich nicht als einsam oder isoliert bezeichnen, aber bis zu einem gewissen Grad könnte man sagen, ich bin allein. Ich habe meinen Mann, meine Söhne, meine Familie – wir stützen und inspirieren einander –; dennoch ist es absolut unentbehrlich, dass wir gute Mitarbeiter, Ratgeber, Leute, denen wir vertrauen, haben. Leute, die ihre Augen und Ohren offen halten können, die uns, wenn nötig, Ideen liefern und unterstützen und die wissen, dass sie uns nicht bloß auf dem Laufenden halten, sondern uns auch mitteilen sollten, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Es gibt mit Sicherheit keine Etikette, die mein Personal davon abhält, mich zu kritisieren, und das habe ich ihnen klargemacht. Ich gebe zu, dass ich Kritik nicht so gut aufnehme, wie ich es sollte. Ich habe nachdrücklich betont, dass sie mich kritisieren müssen, auch wenn ich vielleicht nicht besonders liebenswürdig bin ... Ich bin der festen Meinung, dass es einem gesagt werden sollte, wenn etwas nicht richtig ist. Andererseits ist es wundervoll, wenn man spürt, dass die Dinge gut laufen, wenn man hört, dass eine unternommene Anstrengung Früchte trägt – und auch hierbei muss man seinen Mitarbeitern vertrauen können, weil man immer wissen will: Habe ich es richtig gemacht? Habe ich mein Bestes gegeben, und ist mein Bestes gut genug?
Natürlich gewinnt man eine gewisse Routine, obwohl ich es nicht gern so formuliere. Man gewöhnt sich an seine Position und Arbeit. Es ist nicht mehr jeder Schritt neu, und man kann seine Kräfte auf das konzentrieren, was wichtig ist. Zu Anfang nagte häufig ein kleiner Zweifel an mir, einfach weil so vieles anscheinend so natürlich und geradeaus war, dass ich verwirrt war: War das wirklich angemessen? Würden die Leute denken, dass ich »hoch und mächtig« geworden war? Bei einigen Gelegenheiten hätte ich ruhig sehr viel direkter werden können, finde ich, doch ich wusste ganz genau, dass feine junge Damen das nicht taten. Und so war die feine junge Dame manchmal eher noch verlegener und verwirrter als unbedingt notwendig.
Aus: Dänemark fürs Handgepäck
Hg. von Stefanie Lind
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