Am 9. August 1919 trat Señor Zorro in »The Curse of Capistrano« (Der Fluch von Capistrano) in der Zeitschrift Argosy’s All Story Weekly zum ersten Mal in Aktion. Die Geschichte, verfasst von Johnston McCulley, erschien bis zum 6. September 1919 in fünf Teilen. Zorro, der Fuchs, stand den Unterdrückten im Dorf Reina de los Angeles gegen die Ungerechtigkeit bei. Die Popularität des Fuchses veranlasste den Verlag Grosset & Dunlap, die Geschichte in gebundener Form und unter dem neuen Titel »The Mark of Zorro« (Das Zeichen von Zorro) 1924, fünf Jahre später, wiederzuveröffentlichen. Dieser Original-Zorro liegt hier in deutscher Erstveröffentlichung vor.
Seit dem ersten Erscheinen Zorros sind fast achtzig Jahre vergangen. Wie die gesellschaftlichen Werte einem Wandel unterworfen waren, so hat sich auch die Figur entwickelt. Diejenigen, die den Zorro kennen, den Guy Williams in der Walt-Disney-Fernsehserie von 1957-1959 verkörperte, werden McCulleys Figur als zugleich gewalttätiger und romantischer empfinden. Der gut aussehende Fuchs Williams mit seinem strahlenden Lächeln ritzte niemals ein Z in die Haut seiner Widersacher, wie McCulleys Original das tut. Allerdings brachte der Held bei Disney den tapsigen Sergeant Garcia immer wieder dadurch in Verlegenheit, dass er ein Z in seine Uniform ritzte. Der sadistische, schroffe, schwülstige Sergeant Gonzales, den die Leser zu Beginn von McCulleys Geschichte kennenlernen, entwickelte sich im Lauf der Zeit ebenfalls weiter und verwandelte sich in den liebenswerten Sergeant Garcia.
Der in Mantel und Maske gewandete Zorro verbirgt sich hinter einer wenig wahrscheinlichen zweiten Identität. Im Sohn des reichen Witwers Alejandro Vega, dem trägen Don Diego, der edlen Seele mit seiner Abneigung gegen jede Form von Gewalt, ist für niemanden der heroische, maskierte Rächer zu vermuten. Zorro ist den Soldaten entlang des El Camino Real, der Überlandstraße, die die kalifornischen Missionen miteinander verbindet, als »Schrecken der Landstraße« bekannt. Für die Bevölkerung ist er ein Held, der sie gegen jede Form von Ungerechtigkeit in Schutz nimmt. Diego, ein Mann, der das Gespräch über Lyrik dem Duell vorzieht, stellt die perfekte Folie für sein Alter Ego, den Fuchs, dar. Zorros Tollkühnheit, seine überragende Fechtkunst und sein unbedingter Gerechtigkeitssinn nahmen die Fantasie der Menschen von Anfang an gefangen. Der edle Fuchs, zugleich romantisch, leidenschaftlich und gerecht, wurde zur liebenswertesten Schöpfung seines Autors Johnston McCulley.
McCulley ließ seinen Helden im spanischen Kalifornien auftreten – einer verklärten Zeit des friedvollen Lebens auf Gütern mit riesigen Viehherden, wo sanftmütige Padres den Indianern, die für die Missionen arbeiten, die Segnungen der Zivilisation nahelegen und Caballeros glutäugigen Señoritas nächtliche Ständchen bringen. Zorro hat über Generationen hinweg Millionen von Verehrern in seinen Bann geschlagen und sogar andere Schriftsteller dazu angeregt, ebenfalls Helden mit doppelter Identität zu schaffen – der bekannteste ist wohl Batman von Bob Kane. Der einflussreichste Fan des Fuchses allerdings war der Stummfilmstar Douglas Fairbanks.
Während der Hochzeitsreise mit Mary Pickford, Amerikas unbestrittenem Filmliebling, las Fairbanks McCulleys »The Curse of Capistrano«. Er war auf der Suche nach einem Helden, der seiner Karriere neue Bereiche eröffnen könnte, einem, der vor allem das weibliche Publikum der Nachmittagsvorstellungen ansprechen sollte. Der Schauspieler war für seine Ausstrahlung auf der Leinwand und seine akrobatischen Fähigkeiten bekannt. Zorro war für ihn wie geschaffen, denn als der doppelgängerische Fuchs konnte Fairbanks Actionszenen als Zorro mit dem komödiantischen Anteil Diegos verbinden. Das Ergebnis begründete ein völlig neues Filmgenre: die Abenteuerkomödie.
Fairbanks gab seinem Film den Titel »The Mark of Zorro«, das Zeichen des Zorro, ein Ausdruck, der zum Höhepunkt von McCulleys »The Curse of Capistrano« fällt. Zorro hat Capitán Ramón im Duell besiegt und seine Stirn mit einem Z versehen.
Wie die Zunge einer Schlange stieß Señor Zorros Degen dazwischen. Dreimal schoß er vor, und auf Ramóns makelloser Stirn, mitten zwischen den Augen, prangte plötzlich ein rotes, blutiges Z.
»Das Zeichen des Zorro!«, rief der Gesetzlose. »Jetzt tragt Ihr es auf immer, Kommandant!«
»The Mark of Zorro« hatte am 28. November 1920 im Capital Theater von New York Premiere und erzielte wahre Besucherrekorde. Die Übertölpelung der Soldaten durch Zorro, wie er mit kühner Eleganz seinen Degen schwang und voller Leidenschaft um die liebliche Señorita Lolita Pulido warb, all das ließ den Film zum sofortigen Erfolg werden. Vor allem Fairbanks Darstellung des Diego mit seiner versonnenen, trägen Art und seinen Zauberkunststücken beeindruckte das Publikum nachhaltig. In Scharen strömten Frauen in die Nachmittagsvorstellungen, um diesen charmanten, poetischen, heroischen Liebhaber zu sehen. Zorro erfüllte seine Aufgabe, er gab Fairbanks Karriere eine neue Richtung und sicherte ihm seinen Platz als Filmlegende.
Zorros filmischer Erfolg führte auch zu einer Verfeinerung seiner gedruckten Erscheinungsform. Als am 6. Mai 1922 die erste von sechs Folgen von »The Further Adventures of Zorro« (Zorros neue Abenteuer) in Argosy’s All Story Weekly erschien, hatte McCulley Diegos Repertoire um Zaubertricks erweitert, wie das zuvor schon Fairbanks getan hatte. Zwei Jahre später, 1924, brachten Grosset & Dunlap »The Curse of Capistrano« in Romanform unter dem Filmtitel »The Mark of Zorro« heraus.
McCulleys Erfolg mit Zorro bescherte dem ehemaligen Reporter aus Ottawa, Illinois, eine kometenhafte, produktive Karriere als Verfasser von Theaterstücken, Drehbüchern und Romanen. Seine Geschichten reichten vom Krimi bis zum Western. Aber es war der Fuchs, mit dem man den Autor bis zu seinem Tod, vierzig Jahre nach dem ersten Erscheinen Zorros, sofort in Verbindung brachte. Im Lauf seiner Karriere veröffentlichte McCulley insgesamt fünfundsechzig Geschichten um Zorro in unterschiedlichen Magazinen, einige davon als Fortsetzungen. Die letzte, »The Mask of Zorro« (Die Maske des Zorro) erschien 1959 in Short Stories for Men. Diesen Titel erhielt auch der 1997 von TriStar Pictures und Steven Spielbergs Amblin Entertainment produzierte Film mit Anthony Hopkins und Antonio Banderas.
Zorro wurde zu einer kalifornischen Legende, die die Zeiten überdauert; Historiker allerdings warfen die Frage nach dem Wahrheitsgehalt hinter der Geschichte auf. Mitte der 1980er-Jahre kam es zu einer interessanten Debatte in kalifornischen Historikerzeitschriften, die ein tieferes Verständnis der Legende förderte, indem sie die darin verankerten Vorurteile und ihren romantischen Reiz offenlegte. Die in den Artikeln angesprochenen Fragen bieten einen historischen Bezugsrahmen, in den sich die jetzige Wiederveröffentlichung von »The Mark of Zorro« einordnen lässt Johnston McCulley siedelte die erste Erzählung um Zorro während der »Zeit des Niedergangs der Missionsstationen« an. Diese Beschreibung entspricht der Zeit zwischen 1822 und 1848, während derer Kalifornien unter mexikanischer Herrschaft stand. Die Provinz bestand seit 1769 als spanische Kolonie, als in San Diego die erste von insgesamt einundzwanzig Missionen gegründet wurde. Mit der Unabhängigkeit Mexikos von Spanien, 1822, wurde Kalifornien Teil der Republik Mexiko. Auch wenn sie vorgeblich im spanischen Kalifornien angesiedelt sind, beinhalten die Zorro-Geschichten McCulleys doch Elemente sowohl der spanischen wie auch der mexikanischen Epoche. Erstere Periode, 1769-1821, wurde als die Zeit der Missionen bekannt. Die zweite, 1822-1842, als die Zeit der Rancheros. Die Missionen beherrschten die kalifornische Wirtschaft von 1769 bis zum Beginn der Säkularisation 1834. Danach wurden die Viehzüchter beherrschend. In der Welt McCulleys existieren beide nebeneinander, gleich mächtig und gleich wichtig.
Der Autor erfand eine Garnison in Los Angeles. Während der spanischen Ära wurden in Kalifornien zwar vier Garnisonen eingerichtet, in Los Angeles aber hat es niemals eine gegeben. Die Stadt wurde 1781 als eine von drei bürgerlichen Ansiedlungen in der Provinz gegründet. Der Historiker Abraham Hoffman betrachtet es als den größten Mangel der Zorro-Legende, dass sie
… in einem geschichtlichen Vakuum existiert, einem, das die dramatischen Ereignisse, in die Kalifornien verstrickt war und die die Zukunft Kaliforniens beeinflussen sollten, gänzlich ignoriert: die Unabhängigkeit Mexikos von Spanien, der Kontakt mit den Yankees durch den Leder und Talghandel, die Ankunft der amerikanischen Trapper, die Säkularisation der Missionen, die Russen in Fort Ross, Sutters Privatimperium, die Ereignisse, die zum mexikanischamerikanischen Krieg führten, und den Erwerb Kaliforniens durch die Vereinigten Staaten. McCulley erwähnt nicht eines dieser Vorkommnisse; seine Geschichte könnte ebenso gut auf dem Mars spielen (A. Hoffman, »Zorro: Generic Swashbuckler«, The Californians, Sept./Okt. 1985).
Mag McCulleys ursprünglicher Titel auch poetisch gewesen sein, er passte doch nicht recht zur Geschichte. Das einzige Capistrano in der Nähe von Los Angeles war die Mission von San Juan Capistrano, sechzig Meilen südlich von Los Angeles an der Küste gelegen. Der Autor schuf sich ein Städtchen, das zu seiner Geschichte passte und mit einigen historischen Details angereichert war, aber keinesfalls einem geschichtlichen Ort entsprach. Die Taverne, in der sowohl McCulleys erste Kapitel wie auch der Höhepunkt der Geschichte spielen, hat nie existiert, ebenso wenig zierten reiche Häuser, wie das Don Diegos, die Plaza. Es gab nur einstöckige Hütten mit flachen, teergedeckten Dächern. Auch wurde der Ort nicht vom Garnisonskommandanten beherrscht, sondern vielmehr durch den alcalde oder Bürgermeister, mit seinem ayuntamiento, dem Stadtrat, und sechs regidores, den Stadträten.
Zwar folgte auf die Ära der Missionen die der Rancheros, aber es gab eine Übergangszeit. Der spanische König gestattete bereits vor der Säkularisation der Missionsländereien, als die meisten der Ranches gegründet wurden, Landbelehnungen an Privatpersonen. McCulley ließ dieses Wissen in »Zorro Races with Death« (Zorros Wettlauf mit dem Tod, 1947) einfließen. Don Alejandro Vega protestiert gegen den neuen Kommandanten auf seinem Gut und erklärt: »Ich habe dieses Land durch eine Belehnung des Königs von Spanien erhalten … «
Der König gründete während der spanischen Ära durch solche Belehnungen in der Umgebung von Los Angeles fünf private Güter (H. Knill, Early Los Angeles, Santa Barbara CA, 1984). Das größte davon, mit einer Ausdehnung von über 300000 Morgen (N. Sanchez, Spanish Arcadia, Los Angeles, 1929), wurde 1784 Manuel Nietos übertragen. Das von ihm verwaltete Land erstreckte sich vom Rio Santa Ana zum Rio San Gabriel und vom Pazifik bis zu den Bergen. Der treuhänderisch verwaltete Besitz Nietos könnte gut McCulleys Vorbild für die Besitzungen der Vega gewesen sein.
Von Historikern wurde die Zeit zwischen 1782 und 1819 als die romantische Epoche Kaliforniens bezeichnet. McCulley griff auf diese Zeit zurück, um Bilder des frühen Kalifornien zu evozieren, wo das Leben aus
… einer nicht enden wollenden Reihe von Gastlichkeiten und gesellschaftlichen Annehmlichkeiten bestand, gewürzt mit sportlichen Aktivitäten unter freiem Himmel. Es gab kein Hotel in Kalifornien. Jede Tür war offen, und dem Gast standen Essen, Unterkunft, ein frisches Pferd, ja sogar Geld zur freien Verfügung, gleich ob er Freund oder Fremder war. Kein weisser Mann musste sich sonderlich mit Arbeit beschäftigen, und sogar Schulbücher waren eine Sache für sich. Musik, Spiele, Tanz und lebhafte Konversation – das waren die Beschäftigungen jener Zeit, das bedeutete Bildung. Auch waren Männer und Frauen viel im Freien; alle waren sie geübte Reiter, konnten sie mit dem Lasso umgehen und fehlerfrei schießen, auch die Frauen, dies waren Fähigkeiten, die zu ihrem Lebensstil passten und das Jagen zur weit verbreiteten Freizeitbeschäftigung machten. Wenn fremde Schiffe anlegten, wurden Bälle und Feste ausgerichtet, wenn auch diese Besuche keineswegs die einzigen Anlässe für diese Art von Unterhaltung waren (C. E. Chapman, A History of California, the Spanish Period, New York, 1921).
McCulley beschrieb Lolita als ausgezeichnete Reiterin, wie es von der Tradition her nahelag. In einer Schlüsselszene gegen Ende von »The Curse of Capistrano«, glaubt sich Zorro von Soldaten verfolgt.
Er warf einen Blick zurück über die Schulter – und riss erstaunt den Mund auf. Denn wer da von einem Dutzend Soldaten verfolgt auf ihn zu ritt, war niemand anderes als Señorita Lolita Pulido, und er hatte sie doch auf der Hadenda Fray Felipes in Sicherheit geglaubt. Ihr langes schwarzes Haar wehte offen hinter ihr her. Die zarten Fersen hatte sie in die Flanken des Pferdes gepresst. Sie beugte sich beim Reiten vornüber, hielt die Zügel niedrig, und selbst in dieser Situation staunte Señor Zorro über ihre Reitkünste.
Im spanischen Kalifornien, wo die gesellschaftliche Stellung auf Rang, Abstammung und Herkunft basierte, bestand eine ausgeprägte Aristokratie. Der Patriarch einer Familie herrschte mit autokratischer Macht, die so weit ging, dass er sogar bestimmte, wann der junge Mann unter seiner Aufsicht sich zum ersten Mal rasieren durfte. Diese gesellschaftliche Hierarchie und der damit verbundene Snobismus fanden breiten Eingang in McCulleys Geschichten. Diego hält auf das Drängen seines Vaters hin um Lolitas Hand an, eine Sohnespflicht mit historischer Basis. Ebenso sind die Figuren McCulleys von Fragen der Abstammung besessen. Diego war »ein gut aussehender Jüngling von bester Herkunft«. Die Freundschaft zwischen Diego und Sargento Gonzales wird als außergewöhnlich empfunden angesichts der Unterschiede in Erziehung und Geburt, denn Diego entstammt einer »Familie von Geblüt«. Als Diego die Pulido besucht, um Lolita als Frau fiir sich zu gewinnen, erklärt er Don Carlos, Lolitas Vater, dass dieser »von hervorragendem Geblüt [sei], … dem besten im ganzen Land. … Jedermann weiß das, Señor. Und ein Vega muss natürlich, wenn er sich nach einer Gefährtin umsieht, eine Frau von erstklassigem Blut erwählen.«
Solche Ansichten stoßen in der heutigen Gesellschaft auf wenig Gegenliebe.
Die starre soziale Schichtung und patriarchale Autorität erstreckte sich auch auf das Leben auf den Haciendas. Sie waren strukturiert wie europäische Lehen im feudalistischen Mittelalter und wurden jeweils von einem obersten Herrn, einem majordomo, geführt, dem ein großes Kontingent von Arbeitskräften zur freien Verfügung stand.
Das Jahr 1810 war ein Wendepunkt in der Geschichte der spanischen Kolonie Kalifornien. In Südamerika hatte sich eine Unabhängigkeitsbewegung gebildet, die sich durch Zentralamerika nordwärts bis Mexiko ausgebreitet hatte. Die spanischen Schiffe, die Kalifornien vom mexikanischen San Blas her angelaufen hatten und Waren und Sold für die Soldaten geliefert hatten, blieben aus. Das spanische Mutterland hatte der Kolonie Kalifornien verboten, mit Schiffen anderer Nationalitäten Handel zu treiben, aber sobald die spanischen Schiffe nicht mehr kamen, begann der Handel entlang der Pazifikküste. Leder und Talg wurden wertvolle Handelsgüter für die englischen Kolonien am Atlantik.
Der Handel mit Talg und Leder, der in den Missionen seinen Mittelpunkt hatte, wurde zum wichtigsten ökonomischen überlebensfaktor für Kalifornien. Umfangreiche Arbeiten waren nötig, um die Rinderhäute für den Handel vorzubereiten, dasselbe galt auch für das Auslassen des Fettes in Talg für die Kerzenherstellung. Die Arbeit wurde von den Indianern in den Missionen unter Aufsicht der Padres geleistet. Der Betrug mit Leder spielt eine zentrale Rolle in mehreren von McCulleys Geschichten um Zorro, so auch in »The Curse of Capistrano«, wo die Käufer die Verkäufer beschuldigen, mit unsachgemäß behandeltem Leder zu handeln.
Zwar wurde die Unabhängigkeit Mexikos am 24. Februar 1821 verkündet, das abgelegene Kalifornien erfuhr davort aber erst im Januar 1822. Es war die letzte der nördlichen Provinzen Spaniens, die den Eid auf die neue Republik Mexiko ablegte. Die mexikanische Hoheit läutete eine unbeständige Epoche in der Geschichte Kaliforniens ein. Die Bürger Kaliforniens, die Californios, hatten den Kampf für die Unabhängigkeit von Spanien nicht unterstützt, und jetzt zerstritten sie sich unter der Herrschaft der mexikanischen Gouverneure. Rivalitäten zwischen dem Norden und dem Süden des Landes entstanden, wobei der Süden für größere Unabhängigkeit eintrat, während der Norden sich enger an Mexiko binden wollte. San Francisco und Monterey bekriegten sich mit Los Angeles und San Diego über die Frage der Provinzhauptstadt. Gier und kleinliche Rivalitäten wurden bestimmend für die Zeit. McCulley könnte ohne Weiteres die skrupellosen Anführer jener Zeit als Vorbilder für die bösen Kommandanten herangezogen haben, mit denen Zorro sich zu messen hat.
Während der Jahre, in denen Kalifornien unter mexikanischer Herrschaft stand, kam es zur Säkularisierung des Missionsbesitzes. Die spanische Regierung hatte ursprünglich vorgesehen, dass die Ländereien der Missionen zehn Jahre nach deren Gründung in bürgerlichen Besitz übergehen sollten. In der Zwischenzeit sollten die Indianer zum Christentum bekehrt und zur Arbeit ausgebildet werden. Das Land würde anschließend den Indianern übergeben werden, die es als Teil des spanischen Weltreichs zu bewirtschaften hätten. Es vergingen allerdings fünfundsechzig Jahre, bevor die kalifornischen Missionen säkularisiert wurden.
Der kalifornische Gouverneur Echeandia setzte zwischen 1834 und 1836 einen Dreijahresplan für die Säkularisation um. Die Hälfte des Landbesitzes der Missionen wurde unter den Indianern aufgeteilt, der Rest wurde der Obhut weltlicher Verwalter unterstellt. Einige davon waren ehrlich, aber andere bereicherten sich und ihre Freunde. Missionsland, das nicht in indianischem Besitz war, wurde in Form von politischen Gunstbezeugungen verteilt. Den Indianern lag die Idee von Privatbesitz fern. Man hatte sie nicht auf das selbstbestimmte Leben vorbereitet. Als Konvertiten auf den Missionen waren sie im Grunde Sklaven gewesen. Ohne die Disziplin des Missionssystems war die zwangsläufige Konsequenz ihre Unfähigkeit, das ihnen anvertraute Land zu behalten.
Die Padres waren unglücklich, dass sie ihr Reich verloren. McCulley spielte auf den Missmut der Mönche angesichts der Säkularisationspläne in »The Curse of Capistrano« an. Nachdem man ihn ungerechtfertigterweise ausgepeitscht hat, beklagt sich Fray Felipe bei Diego:
»Es ist nicht mehr als eine weitere Ungerechtigkeit … Seit zwanzig Jahren müssen wir Missionsangehörigen das nun schon erdulden, und es wird immer schlimmer. Der heilige Junipero Serra hat seinen Fuß in dieses Land gesetzt, als andere das nicht wagten, und bei San Diego de Acála errichtete er die erste Missionsstation, der eine ganze Kette folgen sollte, und auf diese Weise schenkte er der Welt ein Imperium. Der Erfolg war unser Fehler. Wir verrichteten die Arbeit, andere aber ernten die Früchte … Sie fingen an, uns die Ländereien der Missionen wegzunehmen, Land, das wir bestellt haben, Land, das Wüste war und das meine Brüder in blühende Landschaften und Gärten verwandelt haben. Sie beraubten uns unserer weltlichen Güter. Und damit nicht zufrieden, verfolgen sie uns nun auch noch.
Das Reich der Missionen ist dem Untergang geweiht, caballero. Die Zeit ist nicht mehr fern, da die Dächer der Missionsstationen einstürzen und die Wände bröckeln werden.«
Aus dem historischen Kontext wird klar, dass der Padre nicht die Indianer meint, wenn er von denen spricht, die die Früchte der Arbeit ernten, sondern vielmehr die kalifornischen Siedler und Soldaten, die das wertvolle Land der Missionen begehrten. Die einfachen Soldaten waren begierig darauf, das reiche Land der Missionen zu erwerben. Da sie seit 1810 auf ihren Sold hatten verzichten müssen, erwarteten sie, in den ausgewählten Missionsgütern eine verspätete Wiedergutmachung zu erhalten. Zwar war es den Indianern untersagt, ihren Besitz zu verkaufen, doch die Soldaten waren willige Käufer. Oft allerdings erlangten sie das Land, das den Indianern zur treuhänderischen Verfügung gestellt worden war, durch Betrügereien.
Kalifornien wurde, als Teil des Vertrages von Guadalupe Hidalgo, im Jahr 1848 für fünfzehn Millionen Dollar an die Vereinigten Staaten abgetreten. Die Californios wurden zu Fremden im eigenen Land. Gezwungen, sich an einen neuen Lebensstil anzupassen, mussten sie nicht nur ihre Kultur, sondern auch ihren Besitz verteidigen. Die ungenauen Grenzen, die ihre Haciendas festlegten – ein Findling hier, ein Bach dort, nirgends aber ein verbindliches Dokument –, machte die Californios vor amerikanischen Gerichten leicht angreifbar. Riesige Mengen erstklassigen Landbesitzes fielen so habgierigen Yankees in die Hände, womit sich die Landnahme von den Indianern gewissermaßen wiederholte.
Eine weitere Verletzung trat auf, als Kalifornien im Jahre 1850 ein eigener Staat wurde. Es wurde ein Gesetz zur Besteuerung ausländischer Goldgräber erlassen, das sich auf diejenigen bezog, die keine gebürtigen US-Bürger waren. Diese Steuer traf die Californios mit besonderer Härte, denn zum einen betrachteten sie sich nicht als Ausländer, zum anderen aber waren sie es gewesen, die den 49’ers, den Goldgräbern, die während des Goldrauschs von 1849 ins Land gekommen waren, das Goldauswaschen in den Waschrinnen erst beigebracht hatten.
Die Ablehnung der Bräuche und Wertvorstellungen der Californios führte zu schweren Zerwürfnissen zwischen der angloamerikanischen und der hispanischen Kultur. Die Californios, die sich den hereinströmenden Immigranten von der Ostküste widersetzten, wurden Gesetzlose (J. A. Burciago, »Tiburcio Vasquez: A Chicano Perspective«, The Californians, Mai/Juni 1985). Möglicherweise dienten diese bandidos McCulley als Vorbild für seinen Zorro. Die amerikanische Justiz der 1840er- und 50er-Jahre betrachtete Tiburcio Vasquez als Verbrecher, aber für seine Landsleute war er ein Held, der sich weigerte, sich den angloamerikanischen Eroberern zu unterwerfen.
Der größte der legendären kalifornischen Desperados, Joaquin Murrieta, terrorisierte das County Calaveras angeblich in den frühen achtzehnhundertfünfziger Jahren über drei Jahre hinweg. Gouverneur Bigler heuerte Captain Harry S. Love an, um dem Banditen das Handwerk zu legen. Zwanzig von Loves California Rangers verfolgten Murrieta drei Monate lang. Während eines grossen Feuergefechts am Panoche-Pass töteten Loves Männer zwei Banditen, von denen sie behaupteten, es handle sich um Joaquin und seinen Stellvertreter, Three-Fingered Jack. Die Rangers trennten einem von ihnen den Kopf und dem anderen eine Hand ab und legten die Trophäen in Whiskey ein. Sie wurden in San Francisco zur beliebten Attraktion.
Die Ergreifung Murrietas allerdings bleibt, ebenso wie seine tatsächliche Existenz, umstritten. Ob die Legende auf Wahrheit beruht oder nicht, sie veränderte nachhaltig das Bild des Californio. Vor 1854 verband man den Californio mit romantischen Vorstellungen friedvoller Viehweiden, nach der Verbreitung der Legende von Murrieta allerdings verband man damit nur noch Angst und Schreden. Murrietas romantische Tapferkeit und seine aristokratische Herkunft, in Verbindung mit seinem Eintreten gegen die Ungerechtigkeit, könnte McCulleys Fantasie bei der Schaffung seines Zorro beflügelt haben. Andere berühmtberüchtigte Bandidos, wie etwa Jack Powers, könnten die Entwicklung von McCulleys Figur ebenso beeinflusst haben. Powers Scharfsinn und seine außerordentlichen Fähigkeiten als Reiter verhalfen ihm dazu, allgegenwärtig zu erscheinen, und doch niemals am Schauplatz eines Verbrechens gesehen zu werden. Wie es schwierig ist, den exakten historischen Zeitpunkt, an dem die Geschichten um Zorro angesiedelt sind, zu benennen, so lässt sich auch keine isolierte tatsächliche Figur bestimmen, der Zorro nachgebildet ist.
McCulley verwob Elemente der spanischen und mexikanischen Epochen der Frühzeit Kaliforniens in seine Zorro-Erzählungen, die er dann in einer gänzlich neuen Umgebung ansiedelte. Ebenso wie er die Garnison in Los Angeles erdichtete, vermischte er Teile zweier verschiedener historischer Abschnitte, doch das störte die Leser kaum. Der Autor trieb Schindluder mit der Wahrheit, um eine farbenfrohe, faszinierende Legende zu erschaffen. So wie Zorro seinen Degen einsetzte, um mit seinen Widersachern zu spielen, so setzte McCulley die Feder ein, um Señor Zorros märchenhaften Abenteuern im Kampf um die Gerechtigkeit Gestalt zu verleihen.
McCulley vermied es, seine Schriften zum Mittel der Kritik an gesellschaftlichen Zuständen zu machen. Er hat die repressive, paternalistische Haltung der Kirche gegenüber den Indianern niemals thematisiert, ebenso wenig wie er die Ansichten über »gutes Blut«, die seine Figuren äußern, korrigiert hätte. Wenn solche Ansichten auch historisch verbrieft waren, lassen sie sich doch damit nicht entschuldigen oder tolerieren. Solche Einstellungen führten zu einer Klassengesellschaft, in der die Grundlagen eines demokratischen, pluralistischen Staates ausgehöhlt werden.
Trotz aller Mängel schuf McCulley einen Volkshelden, der so bekannt ist, dass er an einem einzigen Zeichen zu erkennen ist. »Man braucht nur zzz, zzz, zzz zu machen, und schon hat man Zorro«, bemerkt der Historiker Abraham Hoffman, während er drei schnelle Stöße durch die Luft führt (A. Hoffman, Interview, »The History of Zorro«, Arts and Entertainment Biography, Serie, gesendet am 26. Juni 1996).
In dieser Ausgabe von Johnston McCulleys »The Mark of Zorro« ist der echte Señor Zorro wieder unterwegs. Genießen Sie Ihren Ausflug in die romantische Frühzeit Kaliforniens, in der der Fuchs den Unterdrückten beisteht. Selbst die geschichtlichen Fakten können Zorros edles Einstehen für die Gerechtigkeit nicht schmälern. Seine Mission ist bewundernswert wie eh und je.
S.R. Curtis
Berkeley, Kalifornien, Mai 1997