Nach einer Premiere, die mit Buhrufen geendet hatte, schrieb Oscar Wilde am nächsten Tag in seiner Kritik: »Das Stück war ein großer Erfolg, nur das Publikum war eine glatte Fehlbesetzung.« Hinter der Pointe verbirgt sich die Erkenntnis, dass der Zuschauer im Parkett und auf der Galerie nicht einfach passiver Konsument, sondern aktiver Mitwirkender ist, dass er den Abend – und in einer Kindervorstellung den Nachmittag – vielmehr mitgestaltet und durch seine Reaktionen erst zu dem Ereignis macht, für das es sich lohnt, eine Ein-trittskarte zu kaufen oder Abonnent zu werden. Als einziger Zu-schauer im Zuschauerraum zu sitzen ist – wenn man nicht gerade Ludwig II. heißt – im mehrfachen Sinne des Wortes eine fürchterliche Vorstellung.
Und doch wird der Zuschauer, dieser so unersetzliche Protagonist, in Theateranthologien mehr als stiefmütterlich behandelt. Dass die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht, damit muss man sich wohl abfinden. Aber dass der Zuschauer seiner Mitwelt noch nicht einmal ein bescheidenes Blümchen wert sein soll, das hat uns gestört. Wir hätten schon immer gern mal ein Buch gelesen, das lauter aus der Sicht des Publikums geschilderte Theatermomente versammelt. Weil es dieses Buch nicht gab, haben wir uns selber darangemacht, es zusammenzustellen. Und sind dabei zu unserer Überraschung weit über unsere Erwartungen hinaus fündig geworden.
Natürlich, manche Autoren waren gesetzt. Dass Madame Bovary oder Anna Karenina ins Theater gehen, das war uns geläufig. Dass wir bei Kurt Tucholsky und Alfred Polgar die Qual der Wahl haben würden, war zu erwarten gewesen. Aber viele Passagen, die wir beim Lesen, Suchen und Herumfragen aufstöberten, haben uns selber überrascht. In den Kinderbüchern von den Mumins hätten wir keine derart hinreißende Theaterszene vermutet. Und wer hätte geahnt, dass schon vor fast zwei Jahrtausenden ein Schauspieler so durchdrehen konnte, als hätte er zu viel Zeit im New Yorker »Actors Studio« verbracht?
Manchmal haben wir auch den einen oder anderen Text in unsere Sammlung aufgenommen, der die selbst gesetzten Kriterien nicht exakt erfüllte, der uns aber einfach zu sehr begeisterte, als dass wir ihn dem Leser hätten vorenthalten wollen.
Es sollte ein Buch zum Schmökern werden, so vielfältig und abwechslungsreich wie der Spielplan eines guten Theaters. Um den Lesegenuss nicht zu stören, haben wir darauf verzichtet, Kürzungen in den Texten durch Auslassungszeichen zu kennzeichnen. Idealerweise soll die eine oder andere kurze Kostprobe dem Leser Lust machen, die Werke des Autors mal wieder aus dem Regal zu holen. Wir können aus eigener Erfahrung bestätigen: Wiederbegegnungen sind oft die schönsten Rendezvous!
Wir hatten bei der Arbeit eine Menge Spaß. Wenn wir in unserem Stammcafé Rizzoli vor unseren Bücherstapeln saßen, haben wir mit unserer lautstarken Begeisterung bestimmt manchen Kaffeetrinker bei der Zeitungslektüre gestört. Hoffentlich empfinden Sie, liebe Leser, bei der Lektüre dasselbe Vergnügen!
Unser Dank gehört all denen, die uns durch Tipps und Hinweise bei der Arbeit unterstützt haben.
Bruno Hitz
Charles Lewinsky