Sie haben das Genre gewechselt, von Erzählungen zum Roman. Halten Sie die eine Form für vielversprechender als die andere?
Am Anfang habe ich auch Gedichte und Einakter geschrieben, habe jedoch nie versucht, meine ersten Werke zu publizieren. Als Schriftstellerin glaube ich, dass jedes Genre für sich seine Schönheit und seine Eigenheiten besitzt. Ich schreibe gerne Kurzgeschichten, weil sie naturgemäß intensiver sind. Zudem nehmen Kurzgeschichten weniger Zeit in Anspruch als Romane, was mir ein gewisses Gefühl von Vollendung und Befriedigung gibt. Romane hingegen sind eher so wie große Wandgemälde mit vielen Details: Figuren, Geschehnisse, Welten, die sich überschneiden. Man sieht das Resultat seiner Arbeit erst dann, wenn man auch die kleinsten Details fertiggestellt hat. Das ist anstrengend, aber auch aufregend. Ich genieße es, sorgfältig Detail um Detail aneinanderzureihen und sie unermüdlich ineinander zu verweben, bis ich schließlich einen kompletten Roman habe. Das Besondere an Romanen ist, dass viele andere Formen darin eingegliedert werden können – auch Kurzgeschichten –, und dass Romane Parallelwelten sind zur Welt, in der wir leben.
José Saramago hat seinen ersten Roman mit 25 geschrieben, der allerdings vom Publikum schlecht aufgenommen wurde. Er selber sagt, dass sein erster »erfolgreicher« Roman erst 1977 publiziert wurde, als er 55 Jahre alt war. An welchem Punkt würden Sie selbst Ihre Werke als erfolgreich bezeichnen?
Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was mein geschätzter Saramago genau unter Erfolg versteht – das ist ein sehr relatives Konzept. Natürlich ist es jedes Mal aufregend, wenn eines meiner Bücher ausverkauft und in einer höheren Auflage nachgedruckt wird, wenn meine Werke von den Kritikern gefeiert oder meine Bücher in weitere Sprachen übersetzt werden. Das alles hat aber nur oberflächlich mit dem Konzept des Erfolgs zu tun. Ich selber versuche, mich von diesen äußerlichen Kriterien zu distanzieren, um nicht vom »Erfolg« eingenommen zu werden und mich auch umgekehrt vom »Scheitern« nicht zurückwerfen zu lassen. Schreiben ist, wie Marquis mal gesagt hat, eine »höchst individuelle Karriere«. Der Schreibende steht alleine da gegenüber all seinen kreativen Schöpfungen und gegenüber all den technischen Fragen, die beim Verfassen eines Werkes gelöst werden müssen. Jedes neue Werk ist ein neuer Versuch, die Mängel und Fehler früherer Werke zu vermeiden und zu verbessern. Als Autorin hat man immer eine Vorstellung davon, was geschrieben werden muss. Jedes neue Werk ist ein unvollständiger Versuch, diese Vorstellung und diese Idee umzusetzen.
Sie haben in einem Interview erwähnt, dass Sie beim Schreiben von Maryams Labyrinth das Gefühl hatten, »ein Verbrechen zu begehen«. Weshalb?
Das war zwar zynisch gemeint, hat jedoch einen wahren Kern. Wenn ich schreibe, denke ich nicht viel darüber nach, wie Leser darauf reagieren werden (das tue ich üblicherweise dann, wenn ich mit dem Schreiben fertig bin). Als ich Maryams Labyrinth geschrieben habe, sah ich mich selber nicht als professionelle Autorin, die ihre Werke zu publizieren versucht; deshalb ließ ich meinem Schreiben und meiner Fantasie freien Lauf. Doch als ich mit dem Schreiben fertig war und das Buch für die Publikation vorbereitete, las ich den Roman noch einmal durch und hatte plötzlich Zweifel, wie das Publikum darauf reagieren würde. Meine größten Bedenken waren, dass das Buch eher wie ein Labyrinth denn wie ein Roman wirken würde, doch es wurde von Publikum und Kritikern gleichermaßen positiv aufgenommen. Ich habe viele Briefe bekommen von gewöhnlichen Lesern, die den Roman überhaupt nicht verwirrend fanden.
Obwohl Sie darauf bestehen, keine Feministin zu sein, haben Sie darauf hingewiesen, dass der »furchtlose« Stil Ihres Romans Maryams Labyrinth für das arabische Publikum ungewohnt sei, gerade weil er von einer Araberin geschrieben wurde. Denken Sie, dass die Kritiker den Stil auch dann noch als »furchtlos« bezeichnen würden, wenn auf dem Buchdeckel der Namen eines Mannes stehen würde?
Ich versuche nicht mehr, auf irgendetwas zu bestehen, wenn es um die Klassifizierung meiner Werke geht. Vielmehr langweilt es mich, meine Position zum Feminismus oder was auch immer erklären zu müssen. Ich glaube daran, dass gute Bücher (und ich hoffe, dass meine dazugehören) klüger sind als ihre Autoren, dass sie über die Gedanken und Vorstellungen des Autors hinausgehen und ihren eigenständigen Interpretationsspielraum erschaffen. Ich selber ziehe es vor, die Beziehung zu meinen Büchern zu beenden, sobald sie publiziert sind: ab diesem Zeitpunkt gehen sie in den Besitz der Leserinnen und Leser über, welche frei sind in ihren Interpretationen.
Was die Beschreibung meines Romans als »furchtlos«, »gewagt« etc. betrifft: Das waren nicht meine Worte, sondern diejenige eines englischen Journalisten, der eine Übersetzung des Romans gelesen hatte und darüber in Aufregung geraten war, bevor er mich interviewt hat. Das Ganze hat zu tun mit einer Frage, die mir im Verlaufe des Interview gestellt wurde bezüglich den zu erwartenden Reaktionen des Publikums auf mein Buch, das 2004 publiziert wurde. Was ich meinte, war, dass sich die ägyptische Leserschaft meiner Ansicht nach schon zu stark an autobiografisch geprägte Romane gewöhnt habe und von einer weiblichen Autorin eine andere Art von Schreiben erwarte. Deshalb hatte ich – irrtümlicherweise – geglaubt, dass Maryams Labyrinth nicht gut ankommen würde. Tatsächlich wurde es dann sehr gut aufgenommen, vielleicht auch deshalb, weil man es als (in einem kreativen Sinne) furchtlos, bahnbrechend etc. bezeichnet hat.
Wie mein Buch aufgenommen worden wäre, wäre es von einem Mann geschrieben worden, kann ich nicht beurteilen. Jeder Kritiker unterscheidet sich in seiner Interpretation von allen anderen Kritikern.
Wie, im Vergleich zur ägyptischen Leserschaft, hat der Westen auf Ihre Bücher reagiert – wobei ich mit »Westen« den kleinen Zirkel westlicher Leser/innen meine, die regelmäßig moderne arabische Literatur in Übersetzung lesen?
Die Reaktionen waren unterschiedlich, aber die meisten von ihnen schienen begeistert. Außerdem beschränken sich die Reaktionen nicht auf die Lektüren bereits übersetzter arabischer Literatur: Ein bekannter britischer Verlag hat mich 2008 kontaktiert, nachdem sie dort die englische Übersetzung meiner Kurzgeschichten gelesen hatten, um Inhaltsangaben und Details zu meinem Roman Hinter dem Paradies zu erfahren, an dem ich damals gerade arbeitete. Sie meldeten Interesse an, den Roman zu übersetzen und zu publizieren, sobald ich ihn fertiggestellt hätte. Ich war immer noch mitten im Schreibprozess und befürchtete, dass ich durch diese Anfrage von meinem Vorhaben abgelenkt würde. Ich habe sie deshalb darum gebeten, mit dem Angebot noch abzuwarten, bis ich mit dem Schreiben fertig war. Ein deutscher Filmregisseur, Matthias Wilfert, hat den Roman auf Englisch gelesen und war davon so begeistert, dass er einen Spielfilm daraus machen will – momentan ist er in der Pre-Produktionsphase.
Sie waren 2010 als einzige Frau für den International Prize for Arab Fiction (IPAF oder »Arabic Booker«) nominiert. Der Beirut39-Teilnehmer Youssef Rakha hat einen brillanten Artikel über die Kontroversen rund um den IPAF geschrieben. Von der einen Verschwörungstheorie haben Sie vermutlich schon gehört: Dass sogenannt »politische« Romane bei solchen Preisverleihungen mit einem Stigma behaftet sein sollen. Würden Sie dem zustimmen?
Ich bin generell kein Fan von Verschwörungstherorien. Meines Erachtens muss man dem Arabic Booker Prize die Fähigkeit zugute halten, gute arabischsprachige Autoren bekannt gemacht zu haben, die sonst außerhalb des traditionellen Zirkels der »Geweihten« stehen. Jahr für Jahr können diejenigen Bücher, die dank des Preises im Rampenlicht stehen, ihre Lesequoten spürbar erhöhen.
Grundsätzlich gilt, dass man der künstlerischen Qualität eines Werkes absoluten Vorrang gegeben sollte. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass all dies letztlich auch vom Geschmack der Jury abhängig ist, die jedes Jahr neu zusammengesetzt wird. In den drei bisherigen Durchgängen des Arabic Booker waren achtzehn Romane auf der Shortlist, die sich sowohl untereinander als auch bezüglich der Perspektive ihrer Autoren auf das Schreiben unterschieden. Das erschwert natürlich eine Klassifizierung all dieser Bücher im Hinblick auf eine einzige Kategorie. Aber das Problem ist, dass die Verschwörungstheorie weit verbreitet ist.
Sousan Hammad, Beirut39 – 39 Writers under 39, 17.03.2010
http://beirut39.blogspot.com/2010/03/mansoura-ez-eldin-proverbial-seamstress.html