Mansura Eseddin über den Philosophen Nasr Hamed Abu Zaid, dessen Gedanken Flügel trugen
Es war an einem heißen Sommertag, an der Sekundarschule eines kleinen, abgelegenen ägyptischen Dorfes, als ich zum ersten Mal den Namen Nasr Hamed Abu Zaid hörte. Damals las ich jedes Buch, das mir zwischen die Finger kam. Albert Camus hatte ich gelesen, Jean-Paul Sartre, Friedrich Nietzsche und viele andere, aber den Zugang zur islamischen Philosophie hatte ich gefunden. Das schien mir stets ein etwas weltfremdes Gebiet, unpassend zum modernen Zeitalter – bis ich Nasr Hamed Abu Zaid las. Seine Schriften haben mir Ibn Rushd, Ibn Arabi und andere islamische Denker näher gebracht. Abu Zaid, ein 1943 geborener Theologe, vermochte zu entschlüsseln, was mir unverständliches Geschwafel gewesen war, und er lehrte mich, kritisch und rational zu denken.
Später, an der Universität, musste ich erfahren, dass seine Schriften nicht geschätzt wurden, sondern dass er im Gegenteil ständigen Angriffen und Verleumdungen durch die herrschende Klasse ausgesetzt war. Gewisse islamische Geistliche begannen ihn zu verteufeln und ihn als Atheisten anzuprangern.
Ich begann, die Texte von Abu Zaid wieder zu lesen, diesmal mit einem kritischen Blick, und war noch mehr beeindruckt als zuvor von seinem Mut und seiner Kraft, seine Ideen gegen all diejenigen zu verteidigen, die ihn des Atheismus beschuldigten und seine Tötung für legitim erklärten – als ob die Ermordung einer Person die Verbreitung seiner aufklärerischen, hellsichtigen Ideen verhindern könnte. Jene Fanatiker, die seine Gedanken und Worte nach Beweisen durchsuchten, um ihn zu verurteilen, haben nie verstanden, dass Meinungen Flügel haben, und dass ihre Verfolgungsjagd Abu Zaid zur Symbolfigur der Meinungs- und Redefreiheit gemacht haben.
Abu Zaid hat Ägypten nur ungern verlassen, um eine Lehrtätigkeit an der Universität Leiden in den Niederlanden aufzunehmen. Meine Bewunderung für seinen Mut und die Aufopferungsbereitschaft für die Verteidigung seiner Ideen wuchs jedoch stetig an. Fanatiker fühlten sich durch sein Vorhaben, den Koran als linguistischen Text anzugehen, bedroht. Wer daran gewöhnt ist, in blinder Fügsamkeit zu leben, nimmt das Hinterfragen seiner Ideen unweigerlich als Bedrohung wahr.
Als ich während der kürzlich erfolgten Ägyptischen Revolution auf dem Tahrir-Platz stand, musste ich wieder an Nasr Hamed Abu Zaid denken. Ich wünschte mir, dass er diesen Moment hätte miterleben können. Vor einem Jahr ist er gestorben, aber mir kam es vor, als stünde sein Geist neben mir. Er wird mir immer als Held der Meinungs- und Redefreiheit in Erinnerung bleiben, in einem Land, in dem Schriftsteller für ihre Gedanken und Worte teilweise teuer bezahlen müssen. Nur wenige Menschen haben den Mut, in solchen Situationen die Ehre und Würde ihrer Worte zu bewahren. Nasr Hamed Abu Zaid ist einer davon.
Mansura Eseddin ist eine ägyptische Autorin und Journalistin. Ihr neustes Buch trägt den Titel Hinter dem Paradies (El-Ain, 2009). Mansura ist von Beirut39, einem Projekt, das in Zusammenarbeit mit dem Hay Festival entstand, als eine der 39 besten arabischen AutorInnen unter 40 auszeichnet worden.
The Telegraph, 01.06.2011
http://www.telegraph.co.uk/culture/hay-festival/8549522/Hay-Festival-2011-Mansoura-Ez-Eldins-hero-of-free-speech.html