Was macht den Tod Trotzkis so bedeutsam?
Seine Ermordung war ein symbolischer Moment der Unumkehrbarkeit. Grundthema ist der Verrat an der größten Utopie des 20. Jahrhunderts. Der Kommunismus wollte eine freie und gleichberechtigte Gesellschaft ins Leben rufen. Ein Gedanke, der in der Sowjetunion fast von Beginn an verdreht wurde. Und diesen Traum hat Stalin verdorben.
In welcher Weise wirkt sich die Ermordung Trotzkis auf die aktuelle Situation einer Insel wie Kuba aus?
Die Geschichte hängt nicht immer direkt mit Fakten zusammen. Das von Stalin kreierte wirtschaftliche und politische System wurde von Kuba nach der Revolution von 1959 übernommen. Dieses Modell befindet sich in Veränderung. Seine Unfähigkeit, Wohlstand, Schaffenskraft und Produktivität hervorzubringen, hat schwerwiegende Probleme im Land verursacht, das sich seit zwanzig Jahren in einer endlosen Krise befindet. Daran gemessen ist die Ermordung Trotzkis nichts als eine Anekdote, die man lesen kann als Zeichen für die Intoleranz und den Fanatismus einer Diktatur, die kein Andersdenken erlaubt. Scheinbar eine klassische Tragödie.
Warum haben Sie einen historischen Roman geschrieben?
Mich beschäftigt die Suche nach unserem Ursprung. Ich habe bereits über Musik, den Rum und kubanischen Baseball geschrieben, aber nun stelle ich alles in einen universalen Zusammenhang. Der Fehler unserer Literatur besteht darin, sich ausschließlich mit lokalen Themen zu befassen. Mich hingegen interessieren die Gemeinsamkeiten in den Bereichen des Lebens, des Denkens, der Menschlichkeit verschiedener historischer Persönlichkeiten. Denn in gewisser Hinsicht korrespondiert die Geschichte mit meiner Erfahrung als Mensch von heute.
Stark, solang die Revolution voranschreitet, schwach, als die Revolution sich zurückzieht. Ist das Ihr Urteil über Trotzki?
Ja. Seine ganze Fähigkeit und Intelligenz stellt er während der Revolution unter Beweis. Er konnte das Volk nicht kontrollieren, nur mobilisieren, und deshalb hat Stalin so leicht über ihn triumphieren können. Während seines Exils erlebte er seinen politischen Niedergang, ausgelöst und vorangetrieben durch Stalin. Am Ende war er ein einsamer Mann, dessen einzige Waffe die Sprache blieb. Und die setzte er ein, als Kritiker oder als Prophet, doch sie gereichte nicht mehr dazu, etwas aufzubauen. Sein Tod war unnötig und lässt ihn in den Augen der Nachwelt viel größer erscheinen.
Ein Teil des Romans spielt in Mexiko, wo Trotzki Unterschlupf gefunden hat. Sind Sie in seinem Haus gewesen?
Zum ersten Mal bin ich 1989 dort gewesen und habe es in einem vernachlässigten Zustand vorgefunden. Die Arbeiten zur Restaurierung und Umwandlung in ein Museum hatten gerade erst begonnen. Sein Grab befindet sich im Garten. Es war ein überwältigendes Gefühl, hineinzugehen. Zwei Wochen nach dem Mauerfall in Berlin. Ein weiteres großes Ereignis für mich. Zu der Zeit war ich noch nicht reif für ein Buch wie Der Mann, der Hunde liebte.
Was bleibt von seiner Lehre?
Seine Ideen über die Revolution, den Sozialismus und die Wirtschaft sind bis heute interessant; sie bieten viel mehr als die Analyse über die Pervertierung der Revolution. Sein großer Beitrag war das Aufzeigen der Dekadenz. Es geht nicht darum, einen Aufstand zu machen, sondern ihn zu erhalten und zu wahren Veränderungen zu gelangen. Ohne dass die Partei ihre Macht zementiert und die Bevölkerung dominiert.
Wie stellen Sie sich eine nächste Utopie vor?
In der Tat halte ich sie für notwendig. Ich denke an eine Gesellschaft, in der Freiheit, Gleichheit und Demokratie wirkliche Werte sind und nicht bloß Schlagworte. Der Kapitalismus hat ausgedient. Die Menschheit verlangt nach einer Lösung, die nur mit großen Veränderungen einhergehen kann, die zum Wohle aller dienen.
Sehen Sie einen Unterschied zwischen dem Fanatismus von damals und dem Hass von heute?
Der Unterschied liegt im Detail. Die Methoden und Motivationen mögen verschieden sein, doch von außen erscheint es sehr ähnlich. Es lässt sich nicht leugnen, dass Fanatismus und Fundamentalismus Synonyme sind. Beide sind krankhafter Ausdruck eines Glaubens, und beide lassen sich genauso gut in Fußballstadien finden.
La Repubblica, 2.10.2010. Interview: Sebastiano Triulzi