Peter O'Donnell ist tot. Er starb am 3. Mai 2010 im Ater von neunzig Jahren in London, ein Kriminalschriftsteller, dessen bekannteste Serienfigur Modesty Blaise heißt, eine taffe Powerfrau auf den ersten Blick, auf den zweiten von irritierender Ambivalenz.
Modesty Blaise hat es wirklich gegeben, aber ganz anders, so wie in der Literatur eben üblich. Der auf dem Balkan stationierte Soldat O'Donnell war im Zweiten Weltkrieg einem Flüchtlingsmädchen begegnet, einem von unzähligen im großen Strom der Entwurzelten. Es war nur eine kurze Begegnung, dann war das Mädchen weiter seines Weges gezogen und hatte sich doch in O'Donnells Autorengedächtnis eingebrannt, um Jahre später als Modesty Blaise wiederaufzuerstehen. Zunächst ab 1963 als Comic, dann im Film und schließlich, 1965, im ersten Roman.
Auch Modesty ist durch den Krieg entwurzelt, ein Opfer, das es in der harten Schule des Lebens zur Täterin bringt, bevor, wie auch immer, das Gute siegt. Aus der Verbrecherorganisation, der Modesty vorsteht, wird eine Antiverbrecherorganisation, aber natürlich sind auch hier die Grenzen fließend. Jedenfalls: Modesty ist eine Superfrau und doch auch wieder nicht. Sie hat ihre Vergangenheit, ihre Verletzungen, ihre dunkle Seite, und das unterscheidet sie etwa von Emma Peel (The Avengers), die nicht nur äußerlich von Modesty inspiriert wurde, sondern auch in ihrer Ironie, allerdings ohne das tragische Element, das dem role model innewohnt.
Alle Modesty-Blaise-Romane sind Abenteuergeschichten, in denen die Macht des Bösen gebrochen wird, ohne dass sie tatsächlich verschwände. Man ist miteinander verwandt, auch die Guten bedienen sich fragwürdiger Mittel, sie müssen es tun, Gesetzbücher wären nur störend. Was die Romane auszeichnet, ist ihr unverblümter Unterhaltungscharakter. O'Donnell legt es nicht darauf an, uns die Welt zu erklären, er hält sie zu Recht für selbsterklärend. Ein einziger Kampf ist das, bei dem nur gewinnt, wer technisch am besten bestückt und skrupellos genug ist, seine Waffen auch zu gebrauchen. Diese Welt ist auch nur ironisch zu begreifen, beinahe zynisch. Dieser Zynismus jedoch ist niemals denkbar ohne das Traumatische, das ihn hervorgebracht hat und ohne die resignative Sehnsucht nach einer Zeit vor den Tragischen. Er sind also enttäuschte Liebe und Hass in einem, die Suche nach dem Paradies und das Wissen darum, dass auch in diesem Paradies die Schlangen im Gras unter den Apfelbäumen warten.
Vor wenigen Jahren feierte Modesty Blaise ihre Wiederauferstehung in den Romanen von Stieg Larsson. Sie heißt jetzt Lisbeth Salander und ist doch nur eine Karikatur ihres Vorbilds, ein im Grunde in ihrer Beliebigkeit schwelgendes Showgirl, die fastfood-Version.
Peter O'Donnell also, Modesty Blaise: Der ewige Beweis dafür, wie pure Unterhaltung die Welt nachhaltiger erhellen kann als manch ambitioniertes Stück Literatur, wie die schiere Spannung, das Amüsement immer auch die Hölle in sich zu tragen imstande ist, der sie entkommen ist. O'Donnell tot, Modesty Blaise unsterblich.
Quelle: dpr