Im Jahr 1934 verbrachten wir unsere Sommerferien in Schottland. Meine Eltern hatten eine Dorfschule gemietet, und eines nachmittags ging ich in das verlassene Klassenzimmer mit seinen leeren Bänken und staubdurchwirkten Sonnenstrahlen und dem typischen Kreidegeruch, der noch immer die Erinnerungen an Multiplikationstabellen und die wichtigsten Exportgüter Pernambucos wachrufen. Was ich dort fand, war ein unverschlossener Schrank, die kleine Bibliothek der Schule. Darin befand sich ein Buch mit dem aufregendsten Titel, der je eines kleinen Jungen Aufmerksamkeit erweckte, und ich kann mich so überaus klar daran erinnern, als ich dort in der muffigen Stille stand und die magischen Anfangsworte las: »Peter Blood, Baccalaureus der Medizin und noch diverser anderer Dinge, rauchte seine Pfeife und goss die Geranien auf dem Sims seines Fensters über der Water Lane in der Stadt Bridgewater. Missbilligende Blicke musterten ihn von einem Fenster gegenüber …«
Warum es mich packte und nicht mehr losließ, weiß ich noch immer nicht; einen Neunjährigen, der mit Wizard und Rover aufgewachsen ist, dürfte das eigentlich nicht ansprechen. Vielleicht war es der vielversprechende Satzteil »… und noch diverser anderer Dinge …«, der darauf hinwies, dass jemand mit dem tollen Namen Blood zu mehr als nur zum Blumenzüchten auserkoren ist. Vermutlich war es aber einfach nur die unerklärliche Gabe des Eröffnungssatzes, die nur wenigen Schriftstellern zu eigen ist und die Sabatini so meisterlich beherrscht. Dickens hat sie, und Stevenson, und Wodehouse, und sie entzieht sich jeglicher Analyse. Ich las weiter, völlig gefangen, bekam vom Stillstehen einen Krampf im Bein, als ich dem Schicksal Dr. Peter Bloods folgte, der unverschuldet in die Rebellion des Herzogs von Monmouth gegen den verruchten König James geriet, beim Bloody Assize als Rebell verdammt wurde (die politischen Untertöne sagten mir gar nichts, wen juckt das schon), als Sklave in die Karibik verschifft wurde, von der wunderbaren Arabella, der Nichte eines brutalen Plantagenbesitzers gekauft wurde, dessen Fessel Blood und seine Freunde sprengten, um Freibeuter an der Spanish Main zu werden …
Zu diesem Zeitpunkt war es zum Weiterlesen bereits zu dunkel, und während der nächsten zwei Tage war ich zu nichts mehr zu gebrauchen, was Ferienaktivitäten anbelangte: Ich war Seemeilen entfernt, soff in den Kaschemmen von Tortuga oder enterte die Windward Passage, das Rapier in der Hand, die Hemdsärmel an meinen dünnen Unterarmen hochgerollt. Ich trickste feige Dons aus oder kreuzte die Klinge mit verkommenen französischen Flibustiern, während eine schöne Gefangene bleich und mit schreckengeweiteten Augen zusah – dummes Mädchen, sie hätte sich keine Sorgen machen brauchen, denn meine Meisterschaft mit dem Schwert wurde nur noch von meiner Bildung, mit der ich Horaz (wer immer das sein mochte) zitierte, und vom Wagemut und der Gerissenheit übertroffen, mit der ich meine nächsten Piratenstreiche vorbereitete.
Es war toll. Wie Millionen anderer, die zum ersten Mal mit Sabatini in Berührung kamen, entdeckte ich Abenteuergeschichten, wie ich sie noch nie zuvor gelesen hatte. Ein Jungentraum war wahr geworden. Aber ich glaube, selbst damals ahnte ich schon, dass sich mehr darunter verbarg – das waren nicht nur Schauergeschichten par excellence, hier wurde das Bild einer lang vergangenen aber realen Welt gemalt. Das waren nicht die Pappcharaktere aus Kindercomics, kein Jeffery Farnol oder Peter Pan, nicht einmal Die Schatzinsel, sondern etwas viel Echteres. So ähnlich musste die Wirklichkeit damals gewesen sein. Ich wusste es noch nicht, aber hier wurde mir Geschichte gezeigt – von einem Meister. Erst Jahre später begriff ich das richtig und erkannte in Sabatini einen Schwadroneur der besonderen Art. Dieser Captain Peter Blood und all die anderen heroischen Gestalten, fiktiv oder geschichtlich, denen er mich vorstellte – Scaramouche, Cesare Borgia, Sakr el-Bahr, Queen Elizabeth, Colombo da Siena, Wellington, Kristina von Schweden, Tom Leach, Joseph Fouche, John Law, Sapphira Danvelt und der Rest – waren keine zufälligen Fantasiegestalten oder reale Menschen, die mal leichthin als Charakterdarsteller in Mantel-und-Degen-Abenteuern eingesetzt wurden, sondern peinlich genau ausgearbeitete Figuren in einem historisch korrekten Spiel.
Für den Augenblick aber – im Jahre 1934 – reichten mir die Schauergeschichten, und ein paar Monate nachdem ich das Buch gelesen hatte, entdeckte ich zu meiner großen Freude, dass mein Enthusiasmus geteilt wurde. Im fernen Hollywood diktierte Mr. Jack L. Warner – der Himmel möge ihn belohnen – ein Telegramm an Mr. Randolph Hearst: »Wir produzieren Raphael Sabatinis Captain Blood mit Robert Donat …« Als diese Nachricht in den Filmmagazinen erschien, wurde sie von meinen Klassenkameraden lauthals begrüßt. Die Jungs hatten zwar noch nie etwas von dem Buch gehört, aber sie erkannten einen guten Filmstoff, wenn sie ihn vor der Nase hatten. Donat war uns recht. Wir hatten ihn im Jahr zuvor aus dem Chateau d’If flüchten und zu unserer Begeisterung als Graf von Monte Christo fechten sehen. Deshalb schürzten wir die Lippen kritisch, als bekannt wurde, dass er in dem Film von einem Emporkömmling der Northampton Repertory Company ersetzt werden sollte, der noch nicht mal einen Schnauzbart hatte. Aber es ging uns wie den ängstlichen Schönen – unsere Sorgen waren unbegründet: Der grünschnäbelige Ersatzmann, Errol Flynn, sah besser aus als Richter Jeffreys, räumte Basil Rathbone aus dem Weg und freite und gewann Olivia de Havilland in einer Manier, die Donat – bei all seinen Fähigkeiten – niemals hätte rüberbringen können. Und wochenlang krachten auf dem Spielplatz die hölzernen Schwerter aufeinander, die wir heimlich im Werkunterricht angefertigt hatten, begleitet von wütenden Ausrufen wie »Solange ich lebe, wirst du sie nie bekommen!« und »Dann nehme ich sie mir, wenn du tot bist!«, ganz zu schweigen von »Wirf dein Drecksfranzösisch anderen an den Kopf!« oder »Nun, Bursche, Zeugen können wir schon gar nicht gebrauchen …«
Der Gipfel der Freude war für mich, dass Hollywood – was ja nur allzu selten passiert – das Buch werkgetreu mit allen wichtigen Bestandteilen auf die Leinwand brachte. Von dem Augenblick an als der Vorhang aufging und Erich Wolfgang Korngolds aufwühlende wagnerische Fanfare ins Kino donnerte, war es Captain Blood, wie Sabatini es geschrieben hatte, Darsteller, Geist, Handlung (soviel sie halt in zwei Stunden unterbringen konnten), Dialog und alles. Er gab ihnen den Stoff für einen Box-Office-Blockbuster, der noch heute, nach sechzig Jahren, der ultimative Piratenfilm ist, und sie zahlten es ihm zurück, indem sie sein Werk fair und fantasievoll einem viel größeren Publikum bekannt machten, als dies seine Bücher trotz ihrer hohen Auflagen vermocht hätten. (Graham Greene ließ einige kritische Äußerungen über die Perücken und Kostüme im Film verlauten, aber an unserer Schule stieß das auf taube Ohren.)
Soviel zu den Zaubern meiner Kindheit. Warum empfehle ich Sabatini und Captain Blood Erwachsenen, die Literatur ernst nehmen, wenn er und sein Werk selten, wenn überhaupt, mehr als ein herablassendes Kopfnicken von jenen mysteriösen Juroren erntete, die den literarischen Geschmack bestimmen, entscheiden, was wertvoll ist und was nur populär und die vage Grenze ziehen zwischen dem, was sie als intellektuell respektierlich und von bleibendem Wert erachten und was nicht. Ihr Urteil neigt peinlicherweise dazu, auch »Schunder« und »Trivialautoren« wie Bunyan, Dickens, Twain, Kipling und Wodehouse mit der »Hochliteratur« zu vermengen (und wir wissen, was einige Zeitgenossen von Shakespeare hielten), aber das nur ganz am Rande. Es genügt im Moment, dass Sabatini vom Kritiker-Establishment nie hoch angesehen wurde. Einerseits war er ein Erfolgsautor – und kein ernsthafter Kritiker teilt gern den Enthusiasmus der Masse –, andererseits war er nie obskur oder von »besonderer Bedeutung«; wie ich aufgezeigt habe, konnte ein Neunjähriger Spaß bei seiner Lektüre haben. Letztlich war er ein altmodischer bescheidener Erzähler von Geschichten, und zwar von Abenteuergeschichten, und nur wenn Leute wie er den Test der Zeit bestanden haben und nicht länger ignoriert werden können, werden sie in den knochenbleichen intellektuellen Olymp aufgenommen. (Warum das so sein muss, wo die Abenteuergeschichte doch seit Homer und den ersten Legenden das Herz der Literatur ausmacht, ist schwer zu verstehen.)
Aber ob Sabatini einen höheren Stellenwert im literarischen Pantheon einnehmen sollte oder nicht, ist mir egal. Seine Geschichten sprechen für sich, und wir müssen ein Jahrhundert oder zwei abwarten, ob seine besten Bücher (zu denen auch Captain Blood zählt) noch immer gelesen werden, wenn andere Autoren, die heute höher im Kurs stehen, längst vergessen sind. Ich könnte mir das gut vorstellen, denn ich bin zugegebenermaßen ein Bewunderer, weil ich ebenfalls Autor von historischen Romanen bin und um die technischen Schwierigkeiten dieses Genres weiß. Und ich erkenne mit grenzenlosem Respekt und erheblichem Neid einen Meister dieses Fachs, wenn ich einen vor mir habe. Was seine erzählerischen Qualitäten angeht, steht er niemandem nach, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Da ich dieses Statement bereits gemacht und bedeutungslose Adjektive wie »großartig« vermieden habe, gebe ich mich damit zufrieden, auf andere Aspekte in Sabatinis Werk hinzuweisen, die längst von anderen Autoren und dem Lesepublikum akzeptiert sind. Während er zu Recht als überragender Geschichtenerzähler gepriesen wird, wurde er vielleicht als Stilist, Gelehrter und vor allem als Beleuchter der Geschichte unter Wert eingestuft. Mit Captain Blood demonstrierte er seine Gaben auf all diesen Gebieten und brachte einen bemerkenswerten Roman in altem heroischen Stil zustande, einen Roman mit den Qualitäten eines Epos.
Nachworte, die zuviel von der Handlung verraten und so den Leser um wichtige Überraschungen betrügen und ihm letztendlich sein Vergnügen rauben, finde ich nicht gut. Glücklicherweise ist Captain Blood eine schwungvolle, geradlinige Erzählung in großem Maßstab (was Walter Scott das »große Tam-Tam« nannte), die nicht so sehr auf das Unerwartete baut. Dennoch will ich mich, nachdem ich bereits einen kurzen, unvollständigen Überblick über die Story gegeben habe, was hoffentlich niemandem den Spaß verdirbt, darauf beschränken, nicht die Romanhandlung, sondern die wahre Geschichte dahinter zu erzählen. Das ist praktisch, weil die enge Beziehung zwischen historischen Fakten und seiner eigenen Dichtung ein grundlegendes Element in Sabatinis Werk darstellt. Wie alle anderen großen Verfasser historischer Romane – beispielsweise Scott, Charles Reade, Robert Graves, Conan Doyle und Kenneth Roberts –, war er im Grunde Historiker, der die Vergangenheit als reichhaltige Goldmine betrachtete, aus der man nach Belieben, aber stets gewissenhaft fördern konnte, eine authentische Kulisse, vor der er seine Charaktere – echt oder erfunden – agieren lassen konnte, während er seinem Hauptanliegen diente: der Geschichte Leben einzuhauchen.
Captain Blood: Seine Odyssee basiert auf zwei historischen Persönlichkeiten und wurde womöglich von einer dritten inspiriert. Eine ganze Reihe Leute glaubt, ein Bukanier namens Captain Blood habe tatsächlich existiert, dem ist aber nicht so. Es gab jedoch einen Colonel Blood, einen klassischen Schurken des 17. Jahrhunderts, der während seines turbulenten Lebens Soldat war, Spion, Verschwörer, Flüchtling, professioneller Attentäter und ab und an als Arzt praktizierte. In die Geschichte ging er jedoch ein, weil er die Kronjuwelen aus dem Tower von London stahl und beinahe mit ihnen verschwunden wäre. Er war Ire, redegewandt und so überzeugend, dass Charles II. ihn nicht nur begnadigte, sondern ihm auch noch Vergünstigungen gewährte, und da Sabatinis Peter Blood ebenfalls Ire war, charmant und pfiffig, kann man wohl davon ausgehen, dass sein Name, seine Nationalität und sein ritterliches Verhalten dem umtriebigen Colonel entlehnt wurden.
Der erste Teil des Buches basiert auf den Erfahrungen eines Chirurgen namens Henry Pitman, der Sabatinis Eintrag im Dictionary of National Biography zufolge, angeklagt wurde, Rebellen bei Monmouths fehlgeschlagenem Versuch, König James II. zu stürzen, Beistand geleistet zu haben und danach von Richter Jeffreys beim Bloody Assize verurteilt wurde – jener berüchtigten Travestie der Gerechtigkeit, wo Rebellen und Unschuldige gleichermaßen an den Galgen gebracht oder in die Plantagen geschickt wurden. Ich habe selbst keine Quellen über Pitman eingesehen, aber offensichtlich entkam er in die Karibik – Sabatini lässt Blood als Rebellenanhänger deportieren, aber an anderen Stellen scheint er sich an Pitmans wahrer Geschichte orientiert zu haben, und seine Beschreibungen von Jeffreys ruchlosem Western Circuit, den Gräueln von Kirke’s Lambs und der zentralen Charaktere sind akkurat recherchiert. In Bezug auf Monmouths Aufstand bewies er großes Fachwissen, und auch mit der Person Jeffreys kannte er sich aus. Jeffreys taucht auch in anderen seiner Prosawerke auf, wie auch in seinem Sachbericht über die Verhandlung gegen Lady Alice Lisle. Sein Porträt des gutaussehenden, innerlich zerrissenen Richters in Captain Blood gehört zu den besten Charakterisierungen, die ich je gelesen habe.
Der zweite und größere Teil des Buchs, in dem Blood aus der Sklaverei entkommt und mehr oder weniger durch Zufall zum Anführer einer Bande von Bukanieren wird, erinnert stark an die spektakuläre Karriere Sir Henry Morgans (1635–1688), des walisischen Abenteurers, dessen Piratenzüge gegen die spanischen Städte und Schifffahrtslinien der Neuen Welt durch einen seiner Gefolgsleute große Popularität erlangte. Alexander Esquemelin, ein Niederländer, beschrieb sie in The Buccanneers of America, das im 17. Jahrhundert zu einem Bestseller in mehreren Sprachen wurde. Esquemelin, ein aufmerksamer und intelligenter Augenzeuge (möglicherweise war er Barbier und Chirurg) konfrontierte seine Leser mit blutigen Details, und Morgan klagte gegen seinen englischen Verleger erfolgreich auf Unterlassung, nichtsdestotrotz wurde das Buch zum Standardwerk über die Piraterie, und Morgan wird die zweifelhafte Ehre zuteil, der größte aller Seeräuber gewesen zu sein.
Genialität scheint im Zusammenhang mit der Seeräuberei ein unangebrachtes Wort, aber die Landungsoperationen des Walisers kommen dieser Bezeichnung sehr nahe. Und wäre er unter einem glücklicheren Stern geboren, man würde seinen Namen heute in einem Atemzug mit Nelson oder Drake nennen. Wie er in die Karibik kam, ist nicht ganz klar. Es heißt, dass er als Jugendlicher entführt wurde, aber er hat immer abgestritten, jemals in Ketten gewesen zu sein, und da er aus einer angesehenen Familie stammte, die Soldaten mit untadeligem Ruf hervorbrachte, mag er auf konventionellerem Wege nach Westindien gekommen sein. Sicher ist nur sein kometenhafter Aufstieg zum »Admiral« der Bukaniere und dass die Bruderschaft der Küste unter seinem Kommando zur besten Söldnerflotte der Sieben Meere aufstieg. Spaniens Macht und Prestige erlitt durch ihn den größten und peinlichsten Rückschlag seit der Niederlage der Armada.
Schade nur, dass Esquemelin kein Boswell war, denn obschon sein Bericht lebhaft und im Grunde akkurat war, weiß er über Morgan selbst nur wenig zu sagen. Daher können wir ihn nur anhand seiner Taten beurteilen und den gelegentlichen Einblicken, die uns Esquemelin in sein Verhalten und seinen Charakter gibt. Er war ganz klar ein außergewöhnlicher Anführer und Organisator. Er besaß großen Mut und kombinierte verwegene Planung mit der unheimlichen Gabe, Chancen genau abschätzen und Gelegenheiten ergreifen zu können, um eine Katastrophe in profitablen Erfolg zu verwandeln. Das Wort unmöglich hat er offenbar nicht gekannt, und die Dreistigkeit der Raubzüge seiner Bruderschaft in das Herz des Spanischen Reichs, die schrecklichen Märsche weit von ihren Schiffen durch unbekannten Fieberdschungel, wo sie in ihrer Not Leder essen mussten und Indianerüberfällen ausgesetzt waren, nur um dann, als sie erschöpft und halbverhungert ihr Ziel erreichten, festzustellen, dass ihre Feinde, die zu den besten Truppen der Welt gehörten, weit in der Überzahl waren, scheint heute kaum noch glaubhaft. Morgan führte seine Raubzüge zu Land und zur See nicht mit einer regulären, gut ausgestatteten und disziplinierten Truppe durch, sondern mit einer Bande von Halsabschneidern, die nur durch die Hoffnung auf reiche Beute, ihren Bruderschaftskodex und seinen eisernen Willen zusammengehalten wurde. Als ihn seine französischen Verbündeten bei Porto Bello verließen, fuhr er mit einer Kanuflotte weiter, stürmte zwei Forts und eine Burg (wobei Nonnen und Priester gezwungen wurden, seine Sturmleitern zu tragen) und nahm die Stadt durch die schiere Weigerung, seine Niederlage einzugestehen. Aus dem Flaschenhals von Maracaibo entkam er mit seinen eroberten Schiffen durch einen Akt unglaublicher Frechheit (den Sabatini für sich ausschlachtete), und bei Panama, dem offensichtlich uneinnehmbaren Juwel in der Spanischen Krone, hatte er Erfolg, wo Drake fehlte und spätere Kommandeure es gar nicht erst versuchten. Er eroberte die Stadt nach einem entsetzlichen Fußmarsch über die Landenge, ein Sieg, von dem der Historiker sagt: »Eine Meisterleistung irregulärer Kriegsführung, die bis heute Ihresgleichen sucht.«
Das waren die Höhepunkte einer Freibeuterkarriere, die nur Erfolge kannte und mit einem Ritterschlag von Charles II. (der wusste, was sich gehörte, egal, was man in Madrid denken mochte) sowie einer Berufung zum Lieutnant-Gouverneur von Jamaika endete. Morgan hatte Spanien unermesslichen Reichtums beraubt, dessen Kolonisten terrorisiert und gleichzeitig geholfen, seinem Land einen Platz im Westen zu sichern. Aber nun hatte seine Stunde geschlagen. Er wurde wegen seiner Freibeuterei und anderer Ungehörigkeiten aus dem Dienst entlassen und starb verbittert an lockerem Lebenswandel. »Dicke Wampe … Trinkgelage bis spät in die Nacht« konstatierte sein Arzt (der später als Sir Hans Sloane berühmt wurde).
Das war also Sabatinis historisches Material, aber während Morgans Taten sich aufdrängten, bedurfte seine Persönlichkeit, was den Roman anbelangte, einer Rundumerneuerung. Sein Ruhm war überschattet, um es einmal gelinde auszudrücken. Er prellte seine Kameraden um die riesigen Schätze von Panama, und seine Bukaniere begingen unsagbare Gräuel an ihren spanischen Opfern. Esquemelin mag diese mit einem Seitenblick auf die Verkaufsträchtigkeit des Buches übertrieben haben, oder Morgan war nicht in der Lage, seine Kumpane aufzuhalten (diese Entschuldigung nimmt Sabatini für Peter Blood in Anspruch), aber wenn nur die Hälfte der in The Buccanneers of America aufgezählten Morde, Foltern, Vergewaltigungen und mutwilligen Zerstörungen wahr ist, liegt uns eine entsetzliche Anschuldigung vor. Esquemelin sagt gerade heraus, dass Morgan so schlimm war wie der Rest, aber er berichtet auch von der schönen spanischen Lady, die der Admiral durch Höflichkeit und Drohungen verführen wollte und die dann schließlich gegen Lösegeld freikam. Romantiker haben solche Geschichten überhöht, aber Morgan war, obschon er eine vornehme Ader besaß und von Esquemelin nicht ganz fair porträtiert wurde, mit Sicherheit keine attraktive Persönlichkeit und schon gar kein Matinee-Idol.
Sabatini übernahm seine vorteilhafteren Züge – den Mut, die Autorität, den brillanten Einfallsreichtum, den versteckten Hinweis auf seinen ätzenden Humor, der in Esquemelins Bericht zwischen den Zeilen zu lesen ist – und warf den Rest über Bord. So modellierte er Peter Blood zu einem gutaussehenden, gebildeten, leicht sardonischen Abenteurer von erheblichem Charme, aber mit genug Fehlern, um ihn glaubhaft zu machen. Hierbei war der Autor nicht unehrlich. Es gab eine winzige Minderheit angesehener Exzentriker in einem Meer von kriminellen Brutalos und Schurken; wenn man den Aufzeichnungen Glauben schenken darf, bescherte uns einer davon die Bank of England, ein anderer wurde Erzbischof von York. Aber selbst wenn man einräumt, dass Blood eine hochromantische Figur ist und seine Odyssee ein packendes, aus der Geschichte gewobenes Melodram, ist es der authentischste Bericht in der Literatur über einen ganz speziellen Menschenschlag, der nicht unwesentlich zum Aufbau der Neuen Welt beigetragen hat, und eines Fragments der Vergangenheit, das, weil es so grell und unwahrscheinlich daherkam, zusammen mit seinen fantastischen Akteuren über Generationen in die Kinderzimmer, Billigvorstellungen im Kino und Jahrbücher für Jungs verbannt wurde.
Zugegeben, es fällt schwer, Piraten ernst zu nehmen, besonders wenn Experten wie Stevenson und Barrie sie abgehandelt haben. Die Schatzinsel ist verdienterweise die berühmteste Piratengeschichte, die je geschrieben wurde, und Long John Silver ist unsterblich. Ich vergleiche Blood nicht mit ihm, oder Sabatini mit Stevenson, weil sie einfach nicht vergleichbar sind. Die Schatzinsel ist eine Abenteuergeschichte für Jungen, erzählt von einem der begabtesten britischen Schriftsteller, der je die Feder aufs Papier gesetzt hat, und sie wird Bestand haben, so lange die Menschen lesen. Sie hat nichts mit Geschichte zu tun (abgesehen von der Übernahme eines unvergesslichen Namens, Israel Hands, bei dem es sich de facto um einen Piraten handelte), weil das weder Stevensons Anliegen noch seine Absicht war. Andererseits kann man Captain Blood sehr wohl als Geschichte im Kleid der Literatur sehen – eine Bezeichnung, die oft von Sabatinis Verlegern benutzt wurde. Und das aus gutem Grund, denn während seine Handlungsstränge frei erfunden waren, war der historische Rahmen, der sie zusammenhielt, genauestens recherchiert. Seine Kenntnis von einem halben Dutzend Sprachen gewährte ihm Zugriff auf Quellen, die anderen Verfassern von historischen Romanen versagt blieben. Weil er in seinem erzählerischen Werk die kleinsten Details der Vergangenheit mit Beschreibungen großer Ereignisse gleichstellte, sowie durch seine Porträts historischer Persönlichkeiten, ist er als »geschichtlicher Reiseführer« so verlässlich wie die meisten Historiker. (Mit Cesare Borgia ist er zu nachsichtig, und mit James I. geht er ein wenig zu hart ins Gericht, aber das ist nur meine persönliche Meinung.)
Wenn ich also Captain Blood der Schatzinsel oder allen anderen Piratenromanen vorziehe, dann deshalb, weil mir sein Autor einen Blick in die wirkliche Vergangenheit gestattete, im Mäntelchen des Abenteuerromans zwar, aber dennoch echt. Er nahm mich mit ins England des 17. Jahrhunderts, zu den Ereignissen, die zum Niedergang der Stuarts führten, erklärte den Aufstand von Monmouth, den Bloody Assize und die Auswirkungen danach, beschrieb die Schrecken der Sklaverei auf den Plantagen, das Ringen zwischen Spanien und seinen Rivalen in der Karibik, die seltsame Ethik, das Wesen und die Taten der Bruderschaft, halb kriminell, halb patriotisch, glorreich tapfer und abscheulich grausam, die dem Riesen Spanien die Stirn bot – und hielt mich dort in Faszination gefangen. Er weckte mein Interesse an Geschichte und zeigte mir, dass sie keine trockene Aneinanderreihung von Jahreszahlen und Herrschern ist, sondern das aufregendste aller Abenteuer. Dafür stehe ich, wie Millionen anderer, für immer in seiner Schuld.
Wie ich schon zuvor erwähnte, ist sein Stil einzigartig. Irgendwie ähnelt er seinen Helden, bei denen es sich fast immer um coole, elegante, ziemlich sardonische Gentlemen handelt, die die Welt mit skeptischen Augen betrachten. Genau so schreibt Sabatini, und wenn er auch manchmal eine Schwäche für den grellen, extravaganten Satz hat, so ist er doch nie schwer verständlich. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, ein zivilisierter, gebildeter Onkel mit Sinn für ironischen Humor spräche zu einem. Sein Stil ist täuschend einfach, und in Sabatinis mehr als vierzig Bänden habe ich noch keine erzählerischen Schwachstellen, ja nicht einmal einen achtlosen Satz gefunden – nicht schlecht für jemanden, der Millionen Worte geschrieben hat. Seit er vor hundert Jahren das Schreiben begann, hat sich viel geändert, und seine Bücher sind anscheinend in die Jahre gekommen. Sie sind voller altmodischer Werte wie Ritterlichkeit, Ehre, Pflicht und romantischer Liebe, und auch die Darstellung seiner weiblichen Charaktere, unter denen sich kaum je eine militante Feministin findet, scheint aus der Mode. Ich glaube aber zufälligerweise, und da mag ich naiv sein, dass diese Werte zeitlos sind und wir eine Zeitperiode durchleben, die sich in der Retrospektive als Verirrung erweist. Aber selbst wenn ich damit falsch liege, so unterstelle ich doch, dass selbst der weltlichste Zyniker der Gegenwart eine ganze Menge an Sabatini finden wird. Er war eine weise alte Eule, die zuviel vom Leben und der Geschichte gesehen hatte, um sich der kleinsten Illusion über die menschliche Natur hinzugeben – seine Bücher weisen jedenfalls auf seine Bereitschaft hin, das Schlimmste anzunehmen. Er hegte, wie das vorliegende Buch zeigt, eine besondere Zuneigung für Spitzbuben und liebte stilistisches Handwerk und Tüfteleien um ihrer selbst Willen.
Ob Captain Blood sein Meisterwerk ist, kommt auf den Standpunkt an. Scaramouche, eine Bildungsreise durch das Frankreich kurz vor der Revolution, hat seine Bewunderer, und ich habe eine Schwäche für King in Prussia, ein gnadenloses Porträt von Friedrich dem Großen, und sein letztes Buch The Gamester, das von dem Finanzgenie John Law handelt. Sabatini selbst mag Blood vorgezogen haben, denn er schrieb zwei Fortsetzungen in Form von Kurzgeschichtenbänden. Mit Sicherheit war er mit allen Salzwassern gewaschen. In The Black Swan, eine fast beschauliche Geschichte der Bukaniere, taucht Morgan in einer Miniaturrolle auf, in The Sea Hawk und The Sword of Islam werden die Korsaren der afrikanischen Küste vorgestellt, und in The Hounds of God, das zur Zeit der Armada spielt und sich mit einem Lieblingsthema Sabatinis beschäftigt, der Inquisition, liefert er kurze aber prägnante Porträts von Königin Elisabeth und Francis Drake. Aber Schluss jetzt: Dr. Blood und seine Geranien warten. All denen, die sie kennen, willkommen zu Hause, und für alle Glücklichen, die ihn zum ersten Mal treffen … mit Drakes Worten, als er mit seinen Banditen Nombre de Dios stürmte: »Ich habe euch in die Schatzkammer der Welt geführt: Wenn ihr mit leeren Händen rausgeht, seid ihr selbst schuld.«