Wann auch immer meine malawischen Freunde in meinem Londoner Atelier vorbeikommen, quillt der Raum über mit lebhaften Unterhaltungen und Heiterkeit, und das bereits bevor Alkohol und Essen serviert sind oder irgendein verständlicher Witz erzählt wurde. Für einen Beobachter wäre es eine sinnlose Übung, nach dem Grund für die Eile, dem Ziel der Diskussionen oder dem Auslöser all des Gelächters zu suchen. Für gewöhnlich gibt es so etwas nämlich gar nicht. Beim malawischen Kuseleula geht es einfach um größtmögliche Lebhaftigkeit. Freizeit in Malawi dreht sich in erster Linie darum, mithilfe aller verfügbaren Mittel so überschwänglich wie möglich zu sein.
Es hat keinen Sinn mit Frauen herumzuhängen, wenn man keinen Sex mit ihnen hat. Es hat keinen Sinn an Gott zu glauben, wenn man vom ihm nicht gleich für zahlreiche Nächte des Gebets beansprucht wird. Es hat keinen Sinn zu trinken, wenn man sich nicht bis zum Umfallen besäuft. Es hat keinen Sinn zu tanzen, wenn man nicht vom Rhythmus besessen ist.
Eine beliebte Freizeitbeschäftigung in Malawi heißt Bawo. Dieses Brettspiel ist so komplex wie Schach oder Dame, aber man braucht dafür nicht mehr als Baumsamen und Löcher im Boden. Wie in einer Sprache kann man beim Bawo Witz und Durchtriebenheit zum Ausdruck bringen. Man »spielt« Bawo nicht – man »geht« Bawo. Man »gewinnt« Bawo nicht, man »isst« seine »Freunde«, bis es keine mehr gibt. Man »isst« sich gegenseitig, bis man nicht mehr »gehen« kann. Gut wird man in Bawo nicht, indem man sich eine eiskalte Strategie überlegt, sondern indem man ein Gefühl dafür entwickelt. Ein guter Bawo-Geher kann immer einen Ausweg finden. Der allgemeine Rausch, in den man gerät, sobald man begreift, wie man das Spiel zu »gehen« hat, ist der ganze Sinn von Bawo. Und das macht ziemlich schnell süchtig. Hastings Kamuzu Banda, Malawis erster Präsident, musste das Spiel kurz nach der Unabhängigkeit eine Zeit lang verbieten, um die Männer zurück an die Arbeit zu bekommen.
Auch Fußball gehört in die freie Zeit. In der malawischen Variante, dem Mpira, geht es nicht etwa um Tore, sondern einzig und allein darum, rohe körperliche Kraft einzusetzen – was aber genauso gut ist, da die Fußballfelder meist uneben, steinig und staubig sind und die widerspenstigen Lumpenbälle unberechenbar durch die Luft sausen wie kaputte Federbälle. Jegliche Strategie, wie man am besten Tore schießt, wäre am Ende sinnlos, weil es zu lange dauert, sie umzusetzen. Man punktet, wenn man zufällig in die Nähe eines Torpfostens kommt. Beim Mpira wollen die Malawier einfach den Lumpenball herumkicken und dabei die Zeit genießen. Den Augenblick. Als die Nationalelf des Kongo bei der Weltmeisterschaft 1974 aus Ungeduld Brasiliens Freistoß ausführte, hatte die malawische Nation dafür vollstes Verständnis.
Als ich die Kamuzu Akademie besuchte, das sogenannte »Eton des Buschs«, war Rugby das begehrteste Spiel im Sportkalender. Fußball mit all seinen Regeln und lästigen Stollenschuhen war langweilig geworden. Im Rugby konnte man seinen Gegner packen, ihn zu Boden reißen und dort festhalten. Man konnte ihm das T-Shirt vom Leib reißen, den Ball schnappen und um all seine Freunde herumlaufen, während sich diese hinter einem die Köpfe einschlugen. Man konnte den verdammten Ball himmelhoch bolzen, bis der Lehrer irgendwann das Kicken verbot, weil das Spiel nirgendwohin führte.
Die Malawier mögen auch Discos, aber sie öffnen um die Mittagszeit und finden unter freiem Himmel statt. In Ngoni, dem abgelegenen Dorf meiner Mutter, pflegte man das Gumbagumba zu spielen – ein großes südafrikanisches Grammophon, das von mehreren Autobatterien angetrieben wurde. Rumba-Schallplatten aus dem Kongo waren am populärsten, da sie der malawischen Ganztonmusik gut entsprachen. Jede Note ist wie ein Gongschlag, der Wellen des Lebens durch den Körper sendet. Ich habe meiner Mutter einmal eine Aufführung von Schwanensee auf DVD gezeigt und in der Pause fragte sie mich: »Wann fangen sie denn an zu tanzen?«
Wenn zu später Stunde alle, inklusive der wagemutigeren Kinder, eine Menge des traditionellen Gebräus chimera intus hatten, wurde das Gumbagumba ausgeschaltet und zum ngoma übergegangen, einem antiken Kriegstanz aus Südafrika. Zu donnernden Rhythmen und aufsässigen Gesängen die Füße auf die harte Erde stampfend und unsichtbare Speere durch die Luft wirbelnd, tanzten die Ngoni den ngoma bis zum Morgengrauen.
Bei den Chewa, dem Stamm meines Vaters, hielt ein Geheimbund maskierter Tänzer namens Gule Wamkulu (Der große Tanz) das Dorf während der Zeit der Initiationsrituale und über das Jahr verteilt in Atem. Wenn die schrecklichen Masken auftauchen, um zu tanzen und die Menschen einzuschüchtern, müssen die Dorfbewohner den »Geist der Ahnen« mit großzügigen Gaben und donnernden Tänzen und Gesängen besänftigen. Dennoch weiß jeder Chewa, ob Kind oder Erwachsener, dass es im Gule Wamkulu um nichts anderes als Übermut und Gelächter geht. Für die Chewa sind Furcht und Lachen ein und dasselbe.
Ein weiterer beliebter Zeitvertreib in Malawi sind Begräbnisse. Sie sind der perfekte Anlass, sich emotional völlig zu verausgaben, und sie geben den Hausfrauen Gelegenheit, ihren tyrannischen Ehemännern zu entfliehen. Die malawische Totenwache ist eine laute Angelegenheit. Alle Möbel werden für gewöhnlich aus dem Haus geräumt, der Sarg hineingebracht und dann heulen sich die Frauen die ganze Nacht die Seele aus dem Leib. Manche helfen sich dabei mit Alkohol oder lassen sich von anglikanischen Hymnen anfeuern. Am darauffolgenden Tag übernimmt der Pfarrer und predigt für Stunden, bis sein Taschentuch vollkommen verschwitzt ist und er es auswringen muss. Man kann aber auch zu einer Hochzeit gehen, um sich gehen zu lassen. Malawische Hochzeiten sind üblicherweise offen für alle und gehen mit reichlich Singen, Heulen und Tanzen einher.
Was Filme als Freizeitspaß betrifft, ist Bruce Lee der gefragteste Mann in Malawi. Mit Karatestreifen kann man nichts falsch machen, da die Schauspieler nicht dazu neigen, zu viel zu reden, sondern gleich zur Sache kommen. Genau wie Sylvester Stallone, Bruce Willis, Mr. Bean, Schwarzenegger und Jackie Chan. Bei jedem Hieb schreien die Zuschauer einstimmig »iweeee!« (du!). In meiner Jugend waren auch James-Bond-Filme sehr beliebt, obgleich heftig bearbeitet – die langweiligen Redepassagen wurden normalerweise herausgeschnitten. Da die Kampfszenen aufgrund des häufigen Zurückspulens eine schlechte Bildqualität aufwiesen, musste der Filmvorführer das Ganze mit einem gutem Ton wettmachen – für gewöhnlich mit einem dröhnenden Gumbagumba-Lautsprecher. In der heutigen, etwas freizügigeren Zeit haben die meisten Kinos auf Video umgestellt und beenden das Programm mit einem Pornofilm. Aufgrund seiner diesbezüglich ausgefallenen Technik sind hierbei die Filme mit Rocco Siffredi besonders beliebt.
Im malawischen Theater sind Komödien der Hit. Man kann es auch mit Tragödien versuchen, aber das Publikum hat nicht die Geduld, darauf zu warten, bis sich die Spannung aufbaut. Die Leute ertragen keine Stagnation. Die Zuschauer unterhalten sich so lange miteinander, bis die interessanten Stellen im Stück kommen, in denen sich die Darsteller gegenseitig mit Dolchen und dergleichen erstechen. Ich habe einmal eine Shakespeare-Aufführung an der Universität gesehen, in der sie versucht haben, dieses Problem durch Zurück- und Vorspul-Modi zu lösen. Wenn das Publikum anfing zu reden, spielten die Darsteller im Schnellvorlauf. Wenn ein Abschnitt beliebt war, spulten sie quasi zurück und wiederholten den Part.
Manche Malawier versuchen sich in ihrer Freizeit als Maler. Dabei ist »Imfa Sithawika« das beliebteste Motiv. Das »Niemand entkommt dem Tod«-Gemälde, dessen Schöpfer unbekannt ist, zeigt einen Mann in einem Baum, den er gerade gefällt hat. Auf dem Boden ist ein Löwe, der ihn betrachtet und ein Gesicht wie ein Mensch besitzt. Mit dem Mann im Baum befindet sich eine schwarze Mamba mit erhobenem Kopf. Der Baum ist drauf und dran, in einen Fluss zu fallen, wo ihn wiederum ein mit ungeheuerlichen Zähnen bestücktes Krokodil geduldig erwartet.
Für manche Tiere ist die Freizeit der Malawier tödlich. Es empfiehlt sich in diesem Land zum Beispiel nicht, ein streunender Hund zu sein. Schnell wird man von einem Pulk Jugendlicher (und Erwachsener), die ständig auf der Suche nach einem Kick sind, zu Tode gesteinigt. Auch Hunde, die sich gerade paaren möchten, oder wilde Tiere wie Schlangen, Echsen und Füchse sind nicht davor gefeit. In Dowa jagt man Mäuse bis zu ihren Löchern und verzehrt sie als Delikatesse. Vögel sind dazu da, gesteinigt zu werden, wo auch immer man sie findet. Besonders trifft dies auf die Eule zu, deren Blick und Ruf als schlechtes Omen gelten. Die lachende Hyäne in der Nacht betrachten Malawier als bösartige Nachbarin, die mit Zauberkraft dafür sorgt, dass man seine Arbeit verliert.
Dieser Zeitvertreib, Tiere wahllos zu Tode zu steinigen, erklärt vielleicht am ehesten die malawische Besessenheit, ausgelassen und überschwänglich zu sein, sowie das Verlangen danach, den Augenblick so intensiv wie möglich zu erleben. So spiegelt sich die Conditio humana in diesem Vierte-Welt-Land wider. Man stirbt schnell in Malawi. Die Lebenserwartung im Land liegt bei 37 Jahren.
Erstmals erschienen in: Kulturaustausch - Zeitschrift für internationale Perspektiven
Aus dem Englischen von Sebastian Kubitschko