Mauricio Botero war so freundlich, mir das Manuskript seines neuen Buches zum Lesen zu geben. Als ich es beendet hatte, drückte ich unverhohlen meine Begeisterung aus, wofür mir die Ehre zuteil wurde, das Vorwort zu verfassen, eine Aufgabe, zu der ich mich keineswegs hinreichend befähigt betrachtete. Nach einigem Überlegen und einer Bestandsaufnahme meiner Möglichkeiten sagte ich mir, immerhin habe ich ja einmal ein Buch über Beethoven geschrieben. Außerdem hatte ich meine jahrelange Tätigkeit als Verleger und Buchhändler noch in guter Erinnerung. Sie versetzt mich auch in den Stand, die Freuden zu verstehen und nachzuvollziehen, die Don Otto erlebt, der Held dieser von der köstlichen Feder Mauricio Boteros hervorgezauberten Geschichten.
Zum ersten Mal begegnete ich Mauricio, als ich noch in meinem Beruf arbeitete. Obwohl ihm gerade einmal die ersten Barthaare sprossen, erschien er mit einem Manuskript über ein bedeutendes historisches Thema in meinem Büro. Dass dieser junge Mann sich anmaßen wollte, sich mit einem Indalecio Liévano oder einem Gerardo Molina zu messen, die, neben anderen, den Stolz unserer Publikationsliste verkörperten, schien mir ein wenig zu viel des Guten. Brüsk wies ich sein Ansinnen zurück – das sei kein Thema für Heranwachsende. Der junge Mann verstand mich sehr wohl, forderte mich aber auf, dennoch einen Blick auf seinen Text zu werfen. Mit abschätziger Miene überflog ich einige Seiten, um zu meiner großen Überraschung festzustellen, dass der Inhalt sich als überaus verständig erwies, so als hätte ein rundum gebildeter Weiser wie der Doktor Alfonso López Michelsen, ein Freund des jungen Mannes, ihn verfasst. Hierauf hörte ich mir aufmerksam an, was der junge Bursche, der seine Gelehrtheit hinter lautem Lachen und ironischen Bemerkungen versteckte, mir zu sagen hatte. Ich begriff schon bald, dass ich einen gestandenen Historiker vor mir hatte, dessen Werk dem Verlag alle Ehre machen würde. Und das Manuskript ward Buch. Bald darauf verschwand Botero, man hatte ihn zum Kulturattaché der kolumbianischen Botschaft in Buenos Aires ernannt. Dort lernte er Borges kennen, der sogleich sehr eingenommen von ihm war; die beiden wurden unzertrennlich.
Nach diesem diplomatischen Zwischenspiel tauchte Botero wieder auf. Wir spielten Schach und für gewöhnlich besiegte er mich, vielleicht, weil er sich des altbekannten Tricks bediente, der darin besteht, den Gegenspieler durch beiläufig geäußerte Witzchen oder gelehrte Anekdoten vom eigentlichen Spiel abzulenken. Jedenfalls gewährte er mir aufgrund unserer Freundschaft eines Tages auch Einblick in das Manuskript seines Meisterwerks Der Tanz der Bäume, das bis heute neben manch anderem Lesenswertem in einer geheimen Schublade schmort. Der Tanz der Bäume ist ein grandioser Ritterroman, der sich hinter einem Werk wie John Steinbecks König Artus und die Heldentaten der Ritter seiner Tafelrunde nicht zu verstecken braucht. Später begriff ich, weshalb er die Veröffentlichung dieses Textes aufschob: Botero war längst in ein erbittertes Degenfechten mit Themen von allergrößter Bedeutung verstrickt, in dessen Verlauf er seine Leser halb ernst, halb im Scherz tiefgründigen Reflexionen aussetzte. Dieses Buch erschien schließlich unter dem Titel Konkav und konvex (und wurde mit dem nationalen Essaypreis ausgezeichnet). Darin zeichnet sich bereits ab, wozu der Autor sich in Don Ottos Klassikkabinett endgültig aufschwingen sollte: die meisterhafte Verknüpfung der Welten der Musik und der Kultur im Allgemeinen und der Philosophie im Besonderen.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie schwer sich der Herausgeber dieses Buches damit getan haben muss, diesem Buch einen Platz in seinem Programm zuzuweisen, verweigert es sich doch jeder gängigen Zuordnung. Es lässt sich, trotz seiner thematischen Einheit, weder als Essay- noch als Erzählband und erst recht nicht als Roman klassifizieren. Das dazugehörige Genre müsste erst erfunden werden – doch auch so strahlt der Text in seinem eigenen Licht. Viele Bücher sind durch meine Hände gegangen, aber keines hat mich stärker beeindruckt. Es folgt der Empfehlung Graciáns: »Gut und kurz, ist doppelt gut.«
Wäre dieses Buch länger, liefe es Gefahr, die Feier für den Leser allzu sehr auszudehnen und zuletzt in ein Besäufnis auszuarten. Für unsere gehetzte Gegenwart hat es dagegen genau den richtigen Umfang, auf dass seine Leser etwas lernen und sich zugleich ergötzen – indem sie einen alternden Guerillero bei der Suche nach einer bestimmten Aufnahme erleben, oder erfahren, dass der rothaarige Priester Antonio Vivaldi ungehörigerweise mit zwei Schwestern zusammengelebt hat, wie auch durch Geschichten wie die von dem Mann, für den die Musik nicht nur eine »Entweihung der Stille« darstellt, sondern der nicht einmal einen Unterschied zwischen Musik und Lärm anerkennen will, ganz zu schweigen von dem Experiment mit den Ratten, die Bach den Vorzug vor Rockmusik gaben. Versenken Sie sich in dieses eigenwillige Buch, liebe Leser, es wird gewiss nicht bei der einmaligen Lektüre bleiben, und jedes Mal werden sich neue Schätze darin entdecken lassen.
Luis Carlos Ibáñez (geboren 1928 in Paraguay, Unternehmer, Schachspieler und Musikliebhaber. Nach Kolumbien übergesiedelt, begründete er zusammen mit Belisario Betancur den angesehenen Verlag Tercer Mundo. Ibáñez starb im Oktober 2003 in Bogotá.)