Es ist ein bedeckter Tag, wir sind in der Nähe der Ramblas in Barcelona, das Gemurmel der in den Gassen flanierenden Menschen dringt zu uns herüber. Domingo Villar hatte uns um einen Gesprächstermin gebeten, um uns von seinem Leben und vor allem von seinem ersten Roman Wasserblaue Augen zu erzählen, ein von Kritikern und Publikum hymnisch aufgenommenes Buch, das dem jungen Galicier eine große Zukunft verspricht.
Der Verlag hat kürzlich Zahlen veröffentlicht, nach denen Wasserblaue Augen der meistverkaufte Roman Galiciens ist. In der Bestsellerliste erscheinst du neben den Kassenschlagern von Paul Auster. Ist dir dieser Erfolg bereits zu Kopf gestiegen oder bist du noch immer bescheiden, wie es sich für einen echten Galicier gehört?
Ich gebe zu, es ist schön zu sehen, dass das Buch so vielen gefällt und in so wichtige Sprachen wie Italienisch oder Deutsch übersetzt wird. Doch ich bin mir auch bewusst, dass ich sehr großes Glück hatte, und ein Aufstieg kann auch immer bedeuten, dass man danach viel tiefer fällt. Daher versuche ich, dem Erfolg meines ersten Buchs nicht allzu viel Beachtung zu schenken und mich auf das Erzählen neuer Geschichten zu konzentrieren.
Inwiefern hat sich das Leben von Domingo Villar seit dem Erscheinen von Wasserblaue Augen verändert?
Der größte Unterschied liegt wohl darin, dass ich heute nicht mehr der Einzige bin, der weiß, dass ich schreibe. Ganz generell glaube ich, dass Autoren schreiben, um gelesen zu werden, ja, um Geschichten weiterzuerzählen. Und wenn man weiß, dass sich Verleger darum kümmern, dass sie deiner Arbeit Beachtung schenken, ist dies viel befriedigender.
Wie kommt man darauf, einen Roman zu schreiben? Ist es die Erfüllung eines Traums?
Für mich würde dann ein Traum in Erfüllung gehen, wenn ich mich voll und ganz der Literatur widmen könnte. Denn die Schriftstellerei ist ein Beruf, der Konstanz verlangt und den Autor zu vielen einsamen Stunden verdammt. Aber er hat auch seine heiteren Seiten.
Welche Mittel hast du eingesetzt, damit der Roman veröffentlicht wird? Erpressung oder Drohung?
Erpressung hat nicht gereicht, ich musste auf Folter zurückgreifen, erst psychologische, dann körperliche. Erst beim Foltern entdeckte ich, wie lästig eine Formaldehydinjektion an der richtigen Stelle sein kann.
War es leicht, einen Verlag zu finden, oder musste das Manuskript von Verlag zu Verlag geschickt werden?
Als ich mit dem Schreiben des Romans begann, war meine Frau gerade mit unserem ersten Kind schwanger. Dieses und unser zweites Kind wurden geboren, bevor Wasserblaue Augen veröffentlicht wurde – es dauerte also eine ganze Weile! In etwa hat es sich so zugetragen: Ich schrieb das Manuskript auf Galicisch, Ollos de agua, schickte es mehreren Verlagen in meiner Heimat und wartete auf eine Reaktion. Als ich nach einigen Monaten noch keine Antwort erhalten hatte, begann ich, das Buch zu übersetzen, was wieder einige Monate in Anspruch nahm. Die spanische Übersetzung stieß dann sofort auf das Interesse verschiedener Verlage, sodass ich schließlich wählen konnte, in welchem Haus ich den Roman publizieren wollte. Ich entschied mich für Siruela und bin sicher, dass ich die richtige Wahl getroffen habe.
Hast du ein außerordentlich gutes Gedächtnis oder musstest du einige Male nach Vigo reisen?
Mein Gedächtnis ist nicht nur äußerst schlecht, es lügt auch noch wie gedruckt! Ich war zwar während der Schreibphase mehrmals in Vigo, um meine Familie zu besuchen. Doch die Stadt, in der meine Geschichte spielt, ist nicht die, die ich während meiner Besuche vorfand, sondern vielmehr die, die ich stets vermisste, während ich in Madrid schrieb.
Du hast gesagt, dass du vertrauenswürdige Quellen genutzt hast, um die für die Recherchen des Romans notwendigen Informationen zu bekommen. Gibt es dazu erzählenswerte Anekdoten?
Der Mord geschieht in einer Wohnung in der 18. Etage des Hochhauses von Toralla, in dem, ohne dass ich es wusste, Bekannte von mir wohnen. Als ich davon erfuhr, habe ich ihnen einen Brief geschrieben, in dem ich sie bat, ihre Spritzen zu verstecken, falls sie Saxofonisten zum Abendessen einladen würden. Lustig war auch das Gesicht des Mediziners, als ich ihn fragte, was mit dem Penis eines Patienten geschehe, wenn man ihm Formaldehyd injiziere.
Wie läuft die Übersetzung ins Italienische? Was halten deine italienischen Kollegen von deinem Roman?
Giorgio Todde, mein italienischer Verlagskollege, und ich sind uns einig, dass es fast nichts Besseres gibt als ein gutes Gespräch bei einem guten Glas Weißwein. Einer Meinung sind wir aber auch, wenn es darum geht zu verhindern, dass Baulöwen unsere Küstenlandschaften zerstören. Was mein Buch betrifft, nehme ich an, dass Giorgio auf die italienische Übersetzung wartet, um es lesen zu können, und sich dann seine Meinung darüber bilden wird.
Welche Autoren beeinflussen deinen Schreib- und Erzählstil?
Unter den Krimiautoren gibt es viele, die ich mag: Hammett, Dürrenmatt, Vázquez Montalbán, Camilleri, Silva, Muñoz Molina … Gerade lese ich ein ausgezeichnetes Buch, Nordermoor von Arnaldur Indriðason, einem Isländer.
Ist Wasserblaue Augen die persönliche Brücke Madrid–Vigo von Domingo Villar?
In gewisser Weise schon. Madrid ist eine unglaublich offene Stadt, in der ich mich zu Hause fühle, doch in Vigo sind meine Wurzeln: meine Familie, meine ältesten Freunde, ja es ist die Stadt meiner Kindheit … Ich besuche sie gern und oft. Vigo als Schauplatz für meine Bücher, das ist auch immer wieder eine Art Besuch zu Hause. Zudem scheint mir Vigo die geeignete Szenerie für Kriminalromane zu bieten, sowohl aus geografischen als auch aus anthropologischen Gründen.
Hast du schon einen Genrewechsel in Erwägung gezogen? Welche Autoren anderer Genres gefallen dir?
Ich habe nie darüber nachgedacht, aber ich schließe es nicht aus. Im Moment verlangt aber alles in mir danach, weiter aus der Sicht von Leo Caldas zu schreiben. Doch wer weiß, was danach kommt. Andere Autoren, die ich sehr mag, sind Cunqueiro, Tolstoi, Baroja, Cortázar oder Torrente Ballester …
Wie verläuft ein Tag im Leben von Domingo Villar beruflich?
Jetzt, wo ich ein neues Buch vorbereite, ziemlich anstrengend. Ich habe einen Job, der mich den ganzen Vormittag, bis in den Nachmittag hinein beansprucht. Wenn ich nach Hause komme, schreibe ich, bis die Kinder in die Badewanne müssen, und nach dem Essen schreibe ich weiter, meistens bis in die frühen Morgenstunden.
Du hast erwähnt, dass deine Frau aus Aragonien stammt. Da fragt man sich, ob du die politische Verwandtschaft durch die Figur von Rafa reflektierst. Hast du dir damit Probleme eingehandelt?
Wir haben einige Jahre in Galicien gelebt, und meine Frau amüsierte sich über unsere vagen Ausdrücke, wofür sie einen ganz konkreten Ausdruck benutzen würde. Es hat gedauert, bis sie sich daran gewöhnen konnte. Ich glaube, dass wir uns nach so vielen gemeinsamen Jahren nun doch etwas angleichen, ich werde direkter und sie etwas vorsichtiger in ihren Äußerungen.
Du hast immer gesagt, dass du seit Wasserblaue Augen ununterbrochen gearbeitet hast, sogar, nachdem dieser Roman bereits abgeliefert war. Als Leser muss ich dich daher fragen: Könntest du uns eine kleine Zusammenfassung geben von Leo Caldas II?
Im neuen Roman ermitteln Leo Caldas und Rafael Estévez in einem Raubüberfall in Vigo. Parallel dazu wird die Leiche eines Mannes an den Strand der Ria gespült. Nachbarn des Toten aus dem Fischerdorf wagen es erst nicht, ihre Vermutungen zu äußern, als sie es dann tun, zielen sie in eine sehr ungewöhnliche Richtung. Ein dritter Handlungsstrang berichtet über die private Situation des Protagonisten: Caldas’ Mitarbeit im Radio wird für ihn langsam unerträglich. Dann ist auch noch der einzige Bruder seines Vaters schwer erkrankt, und Alba hat erneut Lebenszeichen gesendet.
Dein Verlag wird voraussichtlich im September dieses zweite Abenteuer von Leo Caldas in den Handel bringen. Wirst du dich selbst um die Übersetzung kümmern? Wie lange wird es dauern, bis sie in den Buchhandlungen steht?
Gerade erst habe ich den ersten Entwurf beendet, doch es werden noch viele Wochen mit Korrigieren ins Land ziehen, bis das Buch dann fertig ist. Ich hoffe, dass es im Herbst in den Buchhandlungen sein wird.
Bringt man nach seinem Debüt das nächste Buch auf den Markt, kommt es schnell zu Vergleichen.
Vergleiche sind unvermeidbar, aber ich versuche, mein Schreiben nicht darauf auszurichten. Ich verlasse mich auf den Geschmack der Leser. Das gibt mir Sicherheit.
Wasserblaue Augen wird nächstes Jahr verfilmt. Kannst du uns etwas über dieses Projekt erzählen?
Eigentlich bin ich nicht direkt in dieses Projekt eingebunden. Die filmische Adaption liegt in den Händen eines Drehbuchautors, Carlos Portela, und eines Regisseurs, Jorge Coira. Sie kümmern sich um das Fortschreiten des Projekts. Aber ich bin mir sicher, dass sie sehr gute Arbeit leisten.
Das Interview führte José Andrés Espelt.