Wie sind Sie dazu gekommen, ausgerechnet Kriminalromane zu schreiben?
Für mich ist das Schreiben eines Kriminalromans ein unendliches Spiel mit erfundenen Geschehnissen, die man so kombiniert, dass sie eine Geschichte ergeben. Es ist ein Spiel mit dem Leser, den man auf falsche Fährten lockt; ein Spiel mit den Figuren, die je nach Gutdünken des Autors sterben oder überleben; ein Spiel mit den Worten. Deshalb hat es auch so viel Spaß gemacht, die Abenteuer des Mandarin Tân zu schreiben. Wo sonst kann man denn so viele Intrigen inszenieren, wie man nur will? Dazu braucht es keine Stars, um die Helden zu verkörpern, keine üppigen Dekors und keine Spezialeffekte. Man darf ganz allein die Fäden ziehen. Mit der eigenen Fantasie und ihren Grenzen beim Schreiben zu spielen, diese Freiheit betrachte ich als Privileg. Aber wenn Schreiben ein Privileg ist, dann ist Gelesenwerden eine Ehre.
Ihre Romane haben Elemente aus drei verschiedenen Genres: Kriminalroman, Fantasyliteratur und historischer Roman. Ist es schwierig, die richtige Mischung zu erzeugen?
Es ist tatsächlich nicht immer einfach, ein Gleichgewicht zwischen den drei Genres zu finden. Klar ist, dass der Aspekt des Kriminalromans überwiegen muss, schließlich geht es in den Romanen ja um die Aufklärung von Verbrechen. Das Hauptaugenmerk liegt folglich auf dem logischen Ablauf der Handlung. Andererseits spielt die Geschichte im Vietnam des 17. Jahrhunderts und die historische Komponente muss gut untermauert sein. So müssen Anachronismen, die nicht parodistisch sind, um jeden Preis vermieden werden und man darf nur gut dokumentierte Informationen verwenden. Das letzte Element, das fantastische, ist für mich ein sehr befreiendes: die Fantastik erlaubt es, unseren Romanen eine irreale und visionäre Note zu geben. Persönlich erlebe ich es als großes Vergnügen, zwischen realen und surrealen Elementen zu navigieren und die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie zu verwischen. Trotzdem müssen die Elemente Realität und Logik in den Romanen überwiegen. Die Schwierigkeit besteht darin, eine harmonische Lösung zu finden, die die Fantastik integriert und erklärt und ihr trotzdem nichts von ihrer Faszination nimmt.
Welche Bedeutung haben die Motive der Verbrecher in Ihren Romanen?
Sie sind der Motor unserer Geschichten! Unsere Romane sind historische Kriminalromane, das bedeutet, dass der historische Kontext eine entscheidende Rolle spielt und nicht nur als exotische Kulisse dienen soll. Aus diesem Grund haben wir die Handlung auch ins 17. Jahrhundert verlegt, eine besonders bewegte Epoche voller innenpolitischer Krisen und Grenzkonflikte. Die Figuren müssen auf die explosive Atmosphäre reagieren und der Mörder muss daraus das Motiv für sein Verbrechen ziehen. Damit eine Kultur genau dargestellt werden kann, muss das Motiv des Mörders in der Philosophie und dem Glauben der Epoche verankert sein. Besser noch: Das Verbrechen muss ein Verbrechen sein, dass nur in genau dieser Epoche hat stattfinden können, weil nur zu diesem Zeitpunkt bestimmte soziale und historische Bedingungen vorhanden waren.
Für mich steht nicht die Tatsache, dass jemand einen Mord begangen hat, sondern die Frage, weshalb jemand einen Mord begangen hat, im Zentrum. Der impulsive, verrückte Psychopath interessiert mich weniger als der intelligente Psychopath. Dieser schaut voraus, manipuliert, plant und hat einen umfassenden Blick auf die Situation, die er für seine Absichten zu nutzen weiß. Ich versuche deshalb, meinen Mördern Eigenschaften wie eine fehlgeleitete, kalkulierende und erbarmungslose Intelligenz und einen genauen Sinn für Handlungsstrategien zu geben.
Ist es eine Tradition Ihres Herkunftslandes, in einem einzelnen Text seriöse Elemente mit parodistischen zu vereinen?
Meines Wissens gibt es diese Mischung in der klassischen vietnamesischen Literatur selten. Aber es ist unserer Markenzeichen, parodistische und manchmal etwas verrückte Passagen in die Erzählungen einzuflechten. Dadurch entstehen Brüche verschiedenster Art – Stilbrüche, Brüche des Rhythmus und des Blickwinkels – und die Erzählung gewinnt damit an Tempo. Diese Szenen haben jedoch auch eine inhaltliche Funktion: Sie dienen oft dazu, die Verbrechensaufklärung zu beschleunigen, indem sie für den Leser wichtige neue Erkenntnisse liefern oder Charaktere in ein neues Licht rücken. Außerdem erlauben uns parodistische Szenen, loszulassen und uns selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Natürlich profitieren wir auch in dem Sinne davon, dass wir politisch inkorrekte Meinungen auf diese Art äußern können. Wortspiele, Ungesagtes, Andeutungen, Verwechslungen und Anachronismen dienen dazu, eine spielerische Atmosphäre herzustellen. Und nicht zuletzt gehört die Parodie auch zu jenem Spiel, das mir persönlich sehr gut gefällt: den Leser hinters Licht zu führen!
Wie schreibt man »vierhändig«?
Um vierhändig zu schreiben, braucht es sehr viel Disziplin. Jede von uns sucht zuerst für sich in den Unibibliotheken nach Ideen für einen Plot. Danach entwerfen wir gemeinsam eine Handlung, die dann ziemlich detailliert ausgearbeitet wird. Dabei werden die Schauplätze für jede einzelne Szene festgelegt und die Einführung der verschiedenen Handlungselemente wird genau geplant. Anschließend werden die einzelnen Kapitel verteilt. Jede von uns beiden versucht, über diejenigen Charaktere zu schreiben, die ihr am meisten zusagen oder diejenigen Szenen auszuarbeiten, die sie am meisten inspirieren. Nach und nach setzen wir die bereits geschriebenen Szenen zusammen und »glätten« den Text, das heißt, wir versuchen auffällige Stilunterschiede zu eliminieren und den Ablauf kohärent zu machen.
Weshalb haben Sie als junge Frauen für Ihre Romane ausgerechnet eine Epoche und einen Schauplatz gewählt, wo die Lebensbedingungen für Frauen nicht sehr vorteilhaft waren?
Die Situation der Frauen in Vietnam war schon immer ambivalent: Einerseits sind sie in dem Sinne emanzipiert, dass sie arbeiten und am landwirtschaftlichen Leben teilnehmen; andererseits bleiben sie Sklaven des konfuzianischen Systems, in dem die Söhne den Töchtern übergeordnet sind. Die Bewegungsfreiheit der vietnamesischen Frau im 17. Jahrhundert hat aber schon damals viele europäische Reisende erstaunt. In China waren zum Beispiel in dieser Epoche die Rechte der Frauen viel eingeschränkter, sie mussten sich u. a. auch die Füße einbandagieren.
Es schien uns sehr interessant, diese ambivalente Situation deutlich zu machen, indem wir über Themen wie Konkubinen, arrangierte Heiraten oder Kuren gegen Unfruchtbarkeit schreiben und gleichzeitig intelligente Frauen zeigen, die Männer ohne deren Wissen manipulieren. Es geht uns darum, klare Machtverhältnisse aufzulösen und bei den Lesern Zweifel zu säen. Die eigentliche Ironie liegt jedoch in der Tatsache, dass sich die heutige vietnamesische Gesellschaft und damit die Rolle der Frau nicht grundlegend von derjenigen der Vergangenheit unterscheidet.
Wieso haben Sie das 17. Jahrhundert als Schauplatz für Ihre Romane ausgewählt?
Das 17. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der großen Krisen. Im 16. Jahrhundert wird beispielsweise die Autorität der Lê-Dynastie noch weitgehend respektiert und ihre Machtposition ist intakt. Als Tân sein Amt übernimmt, ist der Untergang der Lê-Dynastie aber bereits absehbar. Einer der Pfeiler des Konfuzianismus ist die Allmacht des Kaisers, der im göttlichen Auftrag regiert. Der Machtkampf, der zwischen den einflussreichen Handelsfamilien Trinh (im Norden) und Nguyên (im Süden) stattfindet, bedeutet demzufolge eine Verhöhnung der Fundamente dieses Systems und provoziert damit seinen Zusammenbruch. Diese Machtkämpfe zum Vorbild nehmend, treiben gleichzeitig die Mandarine immer mehr Amtsmissbrauch, erhöhen die Steuern und führen neue, ungerechtfertigte Abgaben ein. Bei der Bevölkerung auf dem Land wächst der Zorn, bis man zum Aufstand bereit ist. Das im Inneren destabilisierte Land wird zum Objekt der Begierde von Eroberern aus Japan und Europa. Händler und Jesuiten sind einerseits an den natürlichen Reichtümern interessiert (Metall, Weihrauch, wertvolles Holz, Gewürze) und andererseits an der Möglichkeit der Christianisierung eines Volkes, das eine ziemlich lockere Beziehung zum Glauben hat. Zudem setzen sich auch die uralten Konflikte fort zwischen den beiden Ländern Dai Viêt (Nordvietnam) und Champa ( Süd- und Zentralvietnam) um die Herrschaft über das Mekong-Delta und die Hochebenen und berauben so das Land seiner letzten Kräfte. In diesem Jahrhundert des Umbruchs zeichnet sich durch den Bürgerkrieg bereits der Riss zwischen Norden und Süden ab. Ein Riss, der eine klaffende Öffnung ankündigt, in welche sich die ausländischen Mächte hineinwerfen und der später zur Kolonialisierung des Landes führen wird. Gibt es eine geeignetere Epoche, um einen Helden agieren zu lassen? Einen Mandarin, vom Volk gewählt, voller konfuzianischer Überzeugungen, der im Laufe seiner Abenteuer die Basis einer Gesellschaft, die er idealisiert hat, zerbröckeln sieht. Voller Zweifel und desillusioniert, wird Tân schließlich das System, das ihm zur Macht verholfen hat, hinterfragen; seine größte Sorge wird es sein, in einer korrupten und bedrohten Welt für Gerechtigkeit zu sorgen. Im 18. Jahrhundert ist es dafür zu spät, die Würfel sind bereits gefallen und die Handelsfamilie Nguyên übernimmt die Macht, verlegt den Regierungssitz nach Phu Xuân (heute Huê) und öffnet die Tore für die Angreifer. Es ist auch kein Zufall, dass wir den Mandarin Tân die Seite der Familie Trinh aus dem Norden haben einnehmen lassen: Auf der zukünftigen Verliererseite klammert sich Tân an seine Ideale und Hoffnungen und kämpft für eine von Anfang an verlorene Sache. Seine Verbitterung wird dadurch noch spürbarer.
Können Sie uns etwas über die Geister und Gespenster, die in Ihren Romane umgehen, erzählen?
Wenn man die Abenteuer des Mandarin Tân liest, lernt man, dass Geister und Gespenster eine wichtige Rolle im Leben der Menschen spielen und sogar die Handlungen der Lebenden beeinflussen können. Gründe dafür liegen im weit verbreiteten Aberglauben des vietnamesischen Volkes. So werden zum Beispiel bestimmte Bäume, von denen man sagt, dass sie von weiblichen Geistern bewohnt werden, verehrt und gewissen Tierarten werden übernatürliche Fähigkeiten zugestanden. Zudem gibt es eine ganze Armee von Geistern und Dämonen, vor denen man sich in Acht nehmen muss, weil sie sehr empfindlich und jähzornig sind. Meist handelt es sich dabei um die Seelen von Menschen, die einen gewaltsamen Tod erlitten haben und die keine angemessene Bestattung erhalten und damit keine Ruhe gefunden haben: Ertrunkene, Gehängte, Verbrannte, Geköpfte. Jeder Typ der Wiedergänger trägt einen sprechenden Namen und verhält sich auch dementsprechend. Bei den Geistern gibt es die guten, die ein Dorf beschützen und die man jedes Jahr mit einer Feier ehrt, und die bösen, die man mit Ritualen zu vertreiben sucht. Für diese Verflechtung der Welt der Lebenden und der Toten gibt es verschiedene Gründe. Zunächst einmal ist der Ahnenkult in der konfuzianischen Gesellschaft sehr wichtig. Indem man die Erinnerung an seine Ahnen ehrt, wird man ein Teil von deren Unsterblichkeit. So wird auch die Wichtigkeit der männlichen Erben plausibel: Ohne männliche Erben stirbt die Familie aus und der Tote wird vergessen. Weiter ist im Taoismus, der in den buddhistischen Ländern neben dem Buddhismus koexistiert, die Praxis der Zauberei weit verbreitet. Folglich ist der Mandarin Tân dem Ahnenkult verbunden und gleichzeitig in der Dämonologie bewandert. Dennoch handelt es sich bei den Abenteuern von Tân nicht um Geistergeschichten sondern in erster Linie um Kriminalromane. Es sind auch nicht die Geister selbst, sondern es ist die Angst vor den Geistern, die die Auflösung des Falles vorantreibt. Der Aberglaube, der im psychologischen Kollektiv tief verwurzelt ist, stellt ein massives Druckmittel dar und wird damit zu einem Instrument der Justiz.
Haben Sie sich für die Figur des Mandarin Tân tatsächlich von einem Vorfahren inspirieren lassen?
Ja, der Mandarin in unserer Familie war unser Urgroßvater, der an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert gelebt hat. Er war einer der jüngsten Preisträger bei Bildungswettbewerben und war im Alter von sechzehn Jahren bereits ein hoher Funktionär. Seine fulminante Karriere wurde in unserer Familie oft zitiert und seine legendäre Figur wachte über uns … und über unsere Studien.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Figur des Schriftgelehrten Dinh kreiert und welche Funktion hat er in den Romanen?
Der Mandarin Tân ist durch eine reale Person inspiriert, der Schriftgelehrte Dinh hingegen ist eine rein fiktive Figur. Seine Rolle ist es, den Mandarin in seinen Ermittlungen durch das Stellen von etwas naiven Fragen, die sich auch der Leser stellen könnte, zu unterstützen. Der Blickwinkel von Dinh, obwohl weniger analytisch als der von Tân, inspiriert diesen oft zu zündenden Gedankengängen, die zur Lösung des Problems führen. Die Figur des Schriftgelehrten Dinh ist aber auch deshalb unverzichtbar, weil sie das kritische Element repräsentiert, das mithilft, die konfuzianischen Überzeugungen des Mandarins ins Wanken zu bringen. Er verkörpert die rebellische und ironische Stimme, die den eigenen Ansichten der Autorinnen am nächsten kommt.