»Sich hinlegen und sterben« ist der erste der drei Romane von Adalet Agaoglu, die man als »Trilogie der knappen Zeit« bezeichnet. Die Autorin folgt den Spuren dreier Romanfiguren durch den Lauf der Zeit. Mit »Eine Hochzeitsnacht« (1979, Bir Dügün Gecesi) und »Nein« (1987, Hayir) wird die Trilogie fortgesetzt. Die karnevalesken Elemente, die Adalet Agaoglu einsetzt, finden sich nicht nur in den drei Romanen, sondern tauchen auch in ihren anderen Werken auf.
»Sich hinlegen und sterben« beginnt sehr ernst: Aysel, die Hauptperson, beschließt, sich im sechzehnten Stock eines Hotels zum Sterben hinzulegen – ein Krisenmoment vor dem Tod. Das erinnert an Dostojewski: Die Macht der Aufklärung erreicht im Moment der Krise ihren Höhepunkt. Da wird das Hotelzimmer zu einem »Raum auf der Schwelle des Todes«. Aysels Hotelzimmer, an einem Hotelgang gelegen, der allen zugänglich ist, allen, deren Stimmen von draußen durch die Tür dringen (das Geräusch des Staubsaugers, das raue Lärmen des Reinigens, Gurgeln, das Rauschen einer Dusche, eine Frau, die schreit: »Ruhe bitte, ich will schlafen!«), gemahnt an das kleine »sargartige« Zimmer Raskolnikoffs in »Schuld und Sühne«.
Raskolnikoff fühlt sich schuldig, weil er die alte Frau getötet hat; Aysel, weil sie mit einem ihrer Studenten geschlafen hat. Ich glaube, dass es grundsätzlich falsch ist, Adalet Agaoglu eine »Autorin der Krisenmomente« zu nennen. Der Augenblick, in dem der Gedanke an Selbstmord vorherrscht, ist offensichtlich ein Krisenmoment, und diesen Moment wertet Agaoglu als eine letzte Abrechnung auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Auch das Zeitschema dieser drei Romane entwirft sie so, dass diese Abrechnung sein muss, und die Aufeinanderfolge der einzelnen Szenen lässt sie, die Autorin, auf diesem Schema beruhen.
»Die Trilogie der knappen Zeit«, die mit dem Selbstmordversuch beginnt, steuert in »Nein« mit einer Studie Aysels auf das Ende zu; als Romanfigur steht sie der Erzählerin am nächsten. Und Aysel, die Wissenschaftlerin, arbeitet an einem Essay über den Selbstmord von Intellektuellen. Mit anderen Worten: Der Selbstmord ist die Grundidee der Bilderfolge bzw. der Bildstruktur am Anfang und am Ende. Der unvollendete Gedanke von der Wiedergeburt durch den Tod, der inneren Bilanz und der Sorge um den Wandel steht direkt daneben. Hier liegt eine Groteske vor.
Unmittelbar nach der tragisch-ernsten Szene des Selbstmordversuchs in »Sich hinlegen und sterben« taucht die zutiefst komische Darbietung zum Schulabschluss – in einer anatolischen Kleinstadt – als »bunter Abend« in der Erzählung auf. Die Gegensätze zwischen zuerst ernsthaften und dann komischen Elementen stehen nebeneinander und werden gegeneinander ausgespielt; dadurch kommt es zu einer karnevalesken Atmosphäre.
Der Lehrer Dündar, der sich leidenschaftlich für die Republik begeistert (seine Schuhe, die unter dem Vorhang auftauchen, sind dauernd in Bewegung: braun mit weißen Tupfen!), der Landrat, der Kommandant der Gendarmerie mit einer Kokarde an der Mütze, der Staatsanwalt, der Finanzdirektor, der Amtsschreiber, die Vertreter der Honoratioren und des Handwerks, Sakir Aga, Koca Torik, Katip Osman und Emin Efendi, die nervös sind, weil den Kindern eine solche Darbietung zugestanden wurde, ehrenwerte Herren, die daher dauernd lachen und sich davor drücken, sich selbst Rechenschaft abzulegen, und der Doktor, der zu allen Zeremonien und Veranstaltungen zu spät kommt und möchte, dass man seinen Idealismus honoriert, sie alle vertreten verschiedene Persönlichkeiten und Charaktere. Unter den Zuschauern sind auch Frauen, die Hüte mit Pfauenfedern tragen, und alte Frauen, die ihre Gesichter mit karierten Tüchern bedeckten, zehnmal heimlich beten: »Lieber Gott, vergib uns diese Sünde« und sich dreimal auf die Brust spucken. Zu der Aufführung gehört die Nationalhymne, die, begleitet vom Musikkorps der Kleinstadt, gesungen wird, der Chor, weitere Märsche, Atatürks Aufruf an die Jugend, Gedichte, die begeisterte Rede des Lehrers Dündar (auch wenn er nicht mit so viel Beifall wie erwartet bedacht wird), das Epos von Ergenekon (der legendären Urheimat der Türken), das Geigenspiel von Sevil, der Tochter des Staatsanwalts, die Polka »Das Fenster zum Westen wird sich öffnen«, wiederum begleitet vom Musikkorps der Kleinstadt, und Vorführungen von Blumen und Schmetterlingen. Damit ist die Parodie perfekt. Da der Landrat, der Doktor und der Staatsanwalt, die in der ersten Reihe sitzen, rauchen, ist alles vernebelt, und die Leute in den hinteren Reihen können kaum die Bühne erkennen. Die Autorin hat auf der Bühne eine Atmosphäre geschaffen, die den verschiedenen Weltanschauungen der Zuschauer und den verschiedenen sozialen Schichten entspricht und auch die Verständnisschwierigkeiten aufgezeigt – hat alles arrangiert wie auf einer Karnevalsbühne.
Aysel gerät später in einen schweren Konflikt. Als Studentin hatte sie soziale Werturteile als altmodisch über Bord werfen können, als Lehrerin bzw. Dozentin muss sie die Form und den Schein wahren. Als Intellektuelle liegt ihr daran, auf der Karriereleiter weiterzukommen, wie aber kann ihr dies gelingen, wenn sie ein Tabu bricht – und mit einem ihrer Studenten schläft?
Es wirkt wie ein unverzichtbares Spiel, dass Adalet Agaoglu sich im Text immer wieder besinnt. Mit Gedichten, Liedern, Märschen, hochtrabenden Reden, einer im Traum erlebten Speisetafel und einem Symposium hat Agaoglu verschiedene Formen des Erzählens miteinander vermischt.
Die Erzählerin ändert ihren Stil recht häufig. Komisches, unpassende Begegnungen und Dinge, die durcheinander geraten sind, folgen aufeinander. Ernstes und Konventionelles stehen zusammenhanglos nebeneinander oder werden einander gegenüber gestellt.
Träume spielen eine ziemlich große Rolle für den Erzählfluss. Alltägliches und Heiliges, Ernst und Komik werden miteinander konfrontiert und treten in den Träumen noch stärker hervor. Der lange, ausdrucksvolle Traum, der stellvertretend für Aysels Mühe steht, ihre Habilitationsthese vorzutragen, in der auch Atatürk eine Rolle spielt, schafft außerordentlich groteske Bilder, und indem er die Geschlossenheit des Textes auflöst, hat er die Funktion, alle monologischen Aussagen zuzuteilen und zu zerstückeln.
Das Hauptelement in dem Traum, in dem die Ich-Erzählerin ihr Examen ablegt, ist ein Esstisch. Die Speisetafel erinnert an Symposien in der Antike oder im Mittelalter, und dies verstärkt das karnevaleske Element des Karnevals um so mehr. Die Parodie, das Heilige und das Vergnügen bei den Gastmählern, die in Europa vermutlich im 5. und 6. Jahrhundert beschrieben wurden, angefangen bei Coena Cypriani, ist eines der wichtigsten Elemente. Beim Gastmahl sind alle heiligen Namen von Adam bis Jesus am Tisch versammelt. Und in Agaoglus Traum ist Atatürk als heiliger Name für unsere Gesellschaft mit dabei.
Wie alle Autoren, die sich auf eine solche literarische Gestaltung einlassen, reizt auch Agaoglu die Möglichkeiten der Traumwelt und ihrer Bilder bis zum Äußersten aus.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch »Karnaval ve Türk Romanı« (Der Karneval und der Türkische Roman) von A. Alper Akçam. Der Band ist erschienen bei Ürün Yayinlari, Ankara 2006.
Aus dem Türkischen von Monika Carbe.