Halid Ziya Usakligil war der erste Sekretär des Sultans und saß an einem Fenster, das auf die bunten Blumenbeete der weitläufigen Gärten der osmanischen Paläste hinausging. Dabei stellte er sich die Stadt Istanbul außerhalb der dicken Palastmauern vor und dachte darüber nach, wie er sich dem Sultan gegenüber verhalten sollte, wie er auf die Entscheidungen des Padischahs Einfluss nehmen könnte, dessen heimlicher politischer Gegner er war, obwohl er im »Haus« des Herrschers lebte. In Situationen, für die er keine Lösung fand, beriet er sich mit führenden Mitgliedern der oppositionellen Partei für Einheit und Fortschritt.
Er war ein Mann mit widerstreitenden Gefühlen, ein Zivilist in einem kaiserlichen Palast, der aus den tiefen Träumen des Ostens erwachte und sich nach dem Leben im Westen sehnte, der die Traditionen liebte, andererseits aber eine moderne Zukunft anstrebte.
Halid Ziya Uÿakligil war ein Schriftsteller, der fast daran zerbrochen wäre, die eigene literarische Arbeit seiner politischen Karriere geopfert zu haben. Er war ein Autor, der sich danach sehnte, eigene Werke zu verfassen, während doch Texte der offiziellen Korrespondenz des Hofes aus seiner Feder flossen.
Ursprünglich war er kein Höfling, sondern Nachkomme einer ganz gewöhnlichen Familie, die in der Stadt Usak für ihren türkischen Honig berühmt war. Seine vermögenden Vorfahren hatten Helva – die Bezeichnung dieser Süßspeise –, in den Familiennamen aufgenommen: »Helvacizadeler«. Ein anderes Geschäftsfeld der Familie war der Handel mit Teppichen, die sie ins Ausland exportierte. Halid Ziyas Großvater siedelte nach Izmir über, um das Geschäft zu erweitern; eine in Istanbul eröffnete Filiale vertraute er seinem Sohn an.
Die Familie, die später den Namen Usakligil annahm, wohnte in Istanbul zunächst im Stadtviertel Eyüp in einem gemieteten Haus, später zog sie dann in ein Konak, ein großes Stadthaus, in der Gegend von Saraçhane. Dort wurde Halid Ziya geboren, wie er selbst sagte: »Im Zentrum des Türkentums, mit unvermischtem, ungetrübtem, echtem, türkischen Blut.« Hier wuchs er auf, betreut von schwarzen Sklavinnen, die man aus Afrika herbeigeschafft hatte.
Im Alter von vier Jahren erkrankte er schwer und brauchte lange Zeit, um wieder gesund zu werden. Bei seinem Schulanfang erinnerten sich seine Verwandten an seine Krankheit und hielten den Fußweg zwischen Haus und Schule für zu anstrengend. Das Einzige jedoch, was dem Kind Kummer bereitete, war sein Widerwillen gegen das strenge Unterrichtssystem der Schule, bei dem auch die Bastonade angewendet wurde.
Halid Ziyas Vater hatte Arabisch und Persisch in sehr kurzer Zeit erlernt. Auch der Sohn hatte sich das Alphabet im Nu angeeignet, doch als er sich den anderen Inhalten zuwendete, wurde ihm klar, dass er diese Schule nicht länger würde ertragen können. Ihm hatte es gereicht, einmal kurz bei der nahe gelegenen Grundschule des Viertels vorbeizuschauen, um auf der Stelle zu entscheiden, welche Art von Schulbildung er bevorzugte. Daher ging er aus eigenem Antrieb zur Saraçhane Tas Mektebi, einer Reformschule, und meldete sich selbst an.
Auf das Thema Bildung kam er in seinen späteren Werken immer wieder zurück, es war ihm geradezu zur Obsession geworden.
Die Familie Usakligil zog in der warmen Jahreszeit in ihr Sommerhaus im Stadtteil Üsküdar und badete an den Stränden von Salacak im Meer. Es kam auch vor, dass sie dort nur kurz Ferien machten. Als sie von einem solchen Aufenthalt zurückkehrten, erhielten sie eine erste Unglücksnachricht: Der russisch-türkische Krieg hatte begonnen. Eine zweite Neuigkeit jedoch betraf die Familie unmittelbar: Sie waren bei einem umfangreichen Exportgeschäft mit England und Frankreich betrogen worden und hatten angesichts der strengen Regeln, die der Krieg mit sich brachte, kaum Aussichten, sich von dem finanziellen Verlust zu erholen.
Halid Ziya musste also aus der letzten Klasse der Mittelstufe abgehen und mit seinen Eltern in das Haus seines Großvaters nach Izmir ziehen. Die erste Zeit in Izmir fühlte er sich wie ein unnützer Hausgenosse. Vielleicht flüchtete er sich in die Lektüre der Bücher in der Bibliothek seines Großvaters, um seine Lage etwas zu vergessen. Halid Ziya, den der Großvater mit dem Spitznamen »Papagei« neckte, weil er so viel sprach, begann zunächst seinem Großvater, später seinen Freunden aus Büchern vorzulesen. Wer seine Kommentare über das Gelesene hörte, war verblüfft. Der »kleine Enkel Halid« musste unbedingt seine Schulbildung fortführen.
Zwar wurde er wieder in eine Schule mittleren Niveaus eingeschrieben, doch erhielt er gleichzeitig noch Französischunterricht, denn das würde ihn befähigen, später eine von Ausländern geleitete fremdsprachige Schule zu besuchen. Was das Sprachenlernen anging, so waren Halids Begabung und Eifer so großartig, dass er schon nach einigen Stunden wie selbstverständlich begann, aus dem Französischen zu übersetzen. Es dauerte nicht lange, bis er auf Anregung seines Französischlehrers erfolgreich Dumas’ »Königin Margot« und Scribes »Liebesabenteuer« übersetzt hatte. Damals bekam er keine Erlaubnis zur Veröffentlichung seiner Übersetzungen, sondern lernte gleich auch die Zensur kennen.
Außerdem war er über beide Ohren verliebt. Der blonden, hellhäutigen Tochter eines höheren Beamten war er verfallen: Sie war dreizehn Jahre alt, ein so zartes Mädchen, fast ätherisch. Diese erste Jugendliebe, obgleich noch im begrenzten Rahmen der kindlichen Gefühle, hat ihn während seines ganzen schriftstellerischen Schaffens als eine Art unerreichbare Geliebte begleitet. Dieses blonde Mädchen, dessen Namen Halid Ziya sich kaum auszusprechen traute, war in keinem seiner Romane älter als sechzehn Jahre, und keine seiner Romanfiguren, die sie mit ihrem unschuldigen Lächeln verzauberte, durfte sie je heiraten.
Vielleicht nahm Halid Ziya auch wegen dieser Liebe bei einem professionellen Lehrer Musikunterricht und lernte Tanzen bei einem Nicht-Muslim, der im Laden seines Vaters beschäftigt war. Wenn diese Lehrstunden auch nicht dazu geführt hatten, das Halid Ziya und das geheimnisvolle kleine Mädchen ein Liebespaar wurden, so waren sie doch ein erster Schritt in der Entwicklung eines für seine Zeit recht fortschrittlichen Salonlöwen. Schließlich hat er sich dann als Schüler im neu gegründeten Kolleg der armenischen Mechitaristen-Mönche eingeschrieben. Der Betrag, den er in den Jahren, die er dort als einziger türkischer Schüler verbrachte, für Bücher und Zeitschriften ausgab, konnte von seiner Familie nur unter Schwierigkeiten aufgebracht werden.
Im letzten Schuljahr stand überwiegend Philosophie auf dem Lehrplan, und nach Halid Ziya war dies ein Fach, das man auch alleine zu Hause durcharbeiten konnte. Er wäre zwar gern nach Istanbul zur Verwaltungshochschule gewechselt oder hätte Jura studiert, doch musste er die Schule im letzten Jahr verlassen, um zum Lebensunterhalt beizutragen und im Laden seines Vaters mitzuarbeiten, wo man Feigen und Bonito verkaufte.
Daneben begann er eine Zeitschrift namens »Nevruz« herauszugeben. Doch dies war noch nicht genau das, was er anstrebte, denn ein junger Mann, besonders dieses Alters, konnte nicht allein durch sein Schreiben wirklich Einfluss gewinnen. Er sollte in die Dienste des Außenministeriums eintreten, sich in kurzer Zeit nach oben arbeiten und einer dieser Männer werden, die Entscheidungen fällen.
Mit einem Empfehlungsschreiben reiste Halid Ziya nach Istanbul. Zuerst sprach er beim Finanzminister vor, doch der wies ihn ab: »Aus dem Sohn eines Händlers wird niemals ein Beamter.« Danach klopfte er beim Erziehungsminister an. Abermals hatte er kein Glück, weil gerade das ganze Kabinett zurücktrat. Ein Telegramm, das ihn über die Krankheit seiner Mutter unterrichtete, rief Halid Ziya nach Izmir zurück. Als Resultat seiner Istanbul-Reise darf gelten, dass man ihm eine Stelle als Französischlehrer an einer höheren Schule in Izmir anbot.
Doch einigen Leuten in Istanbul musste er angenehm aufgefallen sein. Denn schon bald wurde er, zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Lehrer, bei der Osmanischen Bank in Izmir angestellt. Das war das Leben, das er sich gewünscht hatte, denn nun stand ihm der Weg ins Beamtentum offen und trotz einer hohen Arbeitsbelastung konnte er schreiben. Immerhin war »Hizmet Gazetesi«, die er herausgab, auch nach heutigem Verständnis eine richtige Zeitung.
In diesem Blatt veröffentlichte Halid Ziya seine ersten bedeutenden literarischen Arbeiten. Zuerst trat er mit Gedichten in prosaischer Form hervor, dann mit seinem Roman »Sefile«, dessen spätere Buchausgabe von der Zensur verboten wurde. Darauf erschien in Fortsetzungen der Roman »Nemide«, der mit größter Offenheit seine erste Liebe beleuchtete. Die Reaktionen der Leser in Izmir waren überwältigend. Halid Ziya, der während seiner ganzen Jugend viel gelesen hatte, wurde nun als Schriftsteller anerkannt.
Nachdem die Werke »Die letzten Seiten einer Denkschrift« und »Die Liebesgeschichte einer Ehe« erschienen waren, überwand sein Ruhm die Grenzen Izmirs – die literarische Welt begrüßte Halid Ziya. Das letztgenannte Werk fand, weil es unter dem Verdacht stand, ein Plagiat zu sein, ein großes Echo in der Presse. Nachdem Halid Ziya Ludovic Halevys »Sich aus Liebe heiraten« gelesen hatte, akzeptierte er zwar die Ähnlichkeit der bearbeiteten Themen, wegen des unterschiedlichen Stils der beiden Romane jedoch fand er sich zu Unrecht des geistigen Diebstahls beschuldigt.
Seine Stellung bei der Bank brachte es mit sich, dass der junge Halid Ziya, der an den geselligen Zusammenkünften der nichtmuslimischen Minderheit teilnahm, nunmehr persönlich eine Welt entdeckt, die er bisher nur vom Hörensagen kannte. Tags arbeitete er ruhelos in der Schule, der Bank oder der Redaktion seiner Zeitung. Nachts jedoch wurde er, nach den Regeln dieser neuen Welt, die mit Opernaufführungen, Theatervorstellungen und Hausmusikabenden glänzte, zu einem ganz anderen Menschen. Dass er sich von seiner Familie trennte und in eine Pension zog, kann man vielleicht als ein Zeichen dafür werten, dass er sein anstrengendes und bewegtes Leben in zwei Welten in ruhigere Bahnen lenken wollte und er für sich eine Wahl zwischen den beiden Lebensformen getroffen hatte.
Die Familie fürchtete, dass die Verbindung zu ihm abreißen könnte, und hielt es daher für das Beste, ihn zu verheiraten. Doch Halid Ziya, der in ein Mädchen verliebt war, über das er nichts wusste, hatte keine Zeit zu heiraten. Überwältigt von der Trauer, die er als Zwanzigjähriger beim Tod seiner Mutter empfand, willigte er schließlich ein und verlobte sich mit der von seiner Familie favorisierten Memnune Hanim, die er zuvor nur einmal gesehen hatte. Die Hochzeit wurde dann um ein Jahr verschoben, um seiner zukünftigen Frau Gelegenheit zu geben, eine Krankheit auszukurieren, die der Eheschließung zunächst im Wege stand. Halid Ziya nutzte das letzte Jahr seiner Junggesellenzeit, indem er sein hohes Arbeitstempo beibehielt, die Nächte durchbummelte und eine Reise nach Europa unternahm. Halid Ziya bewunderte das moderne Europa, war jedoch tief erschüttert von dem Anblick, der sich ihm dort bot.
Ein Wendepunkt im Leben Halid Ziyas war der Augenblick, in dem ihn der Dichter Recaizade Mahmut Ekrem, den er im Hafen von Izmir kurz vor dessen Abreise getroffen hatte, nach Istanbul einlud.
In einer Zeit, in der die Lage in der Schule und der Bank zunehmend angespannter wurde, war es durchaus vernünftig, sich in Istanbul niederzulassen. Halid Ziya besprach die Angelegenheit mit seiner Frau. Als er ein Telegramm aus Istanbul erhielt und ihm in der Monopolverwaltung eine Stelle mit einem Vielfachen seines damaligen Gehalts angeboten wurde, gab dies den Ausschlag für seinen Entschluss. Kaum in Istanbul angekommen, veröffentlichte er auch schon Artikel und Erzählungen in den gleichen Zeitschriften wie die bekannten Schriftsteller Tevfik Fikret, Cenap Sahabettin, Mehmet Rauf und Recaizade Mahmut Ekrem.
Den ersten großen Ruhm erwarb er sich mit dem Roman »Blau und Schwarz«, den er kurz nach seiner Übersiedlung in Istanbul veröffentlichte. In diesem Werk, das Halid Ziya als kaum Dreißigjähriger schrieb, stellte er die ehedem aktuellen Probleme in einer seiner Zeit angemessenen Form mit vielen schmückenden Elementen und auf seine ganz eigene Art dar. Durch seine gründliche psychologische Analyse verhinderte er, dass seine Romanfiguren blasse Schatten blieben.
Nach »Blau und Schwarz« folgte der Roman »Verbotene Lieben«, in dem es um ein junges Mädchen geht, das sich gegen ihre leichtlebige Mutter stellt und einen Mann heiratet, der wesentlich älter ist als sie. Mit dem Neffen ihres Mannes lässt sie sich in eine Liebesbeziehung ein, tritt in Konkurrenz zu ihrer Stieftochter und lebt in dauerndem Streit mit ihr. Nach diesem Roman war Halid Ziya ein Autor mit großer Anhängerschaft.
Beflügelt von diesem Erfolg begann er im darauffolgenden Jahr in Fortsetzungen das »Zerstörte Leben« herauszubringen, doch die Veröffentlichung dieses neuen Romans, der die gesellschaftlichen Probleme und ihre Auswirkungen auf einige Familien zur Sprache bringt, wurde von der Zensur gestoppt, und der Roman konnte erst dreiundzwanzig Jahre später vollständig erscheinen.
Auch wenn Halid Ziya unter unglaublichen Beschuldigungen, wonach er materialistisches Gedankengut im Land habe verbreiten wollen, von der Zensurbehörde zum Verhör einbestellt wurde, konnte dies seinen Aufstieg nicht aufhalten. Zu Beginn der zweiten Verfassungsperiode (ab 1908) wurde er zum Kommissar der Dienststelle ernannt, in der er zuvor einfacher Beamter war, gleichzeitig erhielt er einen Ruf auf den Lehrstuhl für europäische Literaturgeschichte an der Istanbuler Universität. Daneben engagierte er sich auch in der politischen Arbeit als Mitglied der Partei für Einheit und Fortschritt. Nach dem Umsturz vom 31. März 1909, als Sultan Abdülhamid II. gestürzt und an seiner Stelle Mehmet V. Resat den Thron bestieg, wendete sich das Schicksal Halid Ziyas erneut.
Auf Anordnung der Partei für Einheit und Fortschritt wurde er zum ersten Sekretär des Sultans berufen. Es wurde von ihm erwartet, dass er Unstimmigkeiten zwischen dem Sultan und der Regierung regelt und selbstverständlich war er bei allen Besprechungen des Herrschers zugegen. In gewissem Sinne war Halid Ziya ein Spion der Regierung.
Mit welchen Gefühlen er zum Dolmabahçe Palast, dem Sitz des Sultans, ging, hat er Jahre später so beschrieben: »Während es ganz menschlich war, Freude zu empfinden, wurde dieses Gefühl doch durch meine Angst überlagert.«
Das Schreiben musste Halid Ziya zunächst einmal einstellen, und dass er zu den sich lange hinziehenden Besprechungen kein Buch mitnehmen konnte, beklagte er heftig. In seinen Jahren im Saray musste er sich unter anderem auch bei den Gastmahlen, die für die Gäste aus anderen Ländern gegeben wurden, immer wieder anhören, wie rückständig das Osmanische Reich doch sei.
Halid Ziya verstand es, sein zwiespältiges Verhältnis zum Padischah so harmonisch zu gestalten, dass der Sultan nicht anders konnte, als für Halid Ziya, obwohl ihn dieser als Regierungsbeamter ja kontrollierte, große Sympathie zu empfinden und ihn zum Senator zu ernennen. Während ihn die politischen Freunde aus der Partei für Einheit und Fortschritt heftig bedrängten, in beiden Funktionen tätig zu sein, um den Einfluss der Partei noch weiter zu stärken, vertraten die Zeitungen in ihren Schlagzeilen eine ganz andere Meinung. Sie wendeten sich gegen seine Berufung zum Senator, da der Erste Sekretär am Hofe nicht gleichzeitig auch diese Funktion ausüben könne.
Weil er sich der Parteiraison unterworfen hatte, war er zur Zielscheibe der Journalisten geworden. Der müde, spät berufene Höfling trat angesichts dieses Proteststurms schließlich von seinem Senatorenposten zurück. Einige Zeit später bat er um Entlassung aus seiner Stellung bei Hofe und zog sich in sein von einem schönen Garten umgebenen Haus im Istanbuler Stadtteil Yesilköy zurück.
Seine Gesundheit erlaubte ihm kein anstrengendes Leben mehr. Er spürte, wie eine heimtückische Leberkrankheit langsam seinen Körper auszehrte. Wie jeder Mensch, der den Tod herannahen fühlt, wollte sich auch Halid Ziya von allem zurückziehen, wollte nur noch seinen Unterricht an der Universität halten, seine Erinnerungen niederschreiben und seine Werke in sprachlich modernisierter Form erneut herausgeben.
Doch es war nicht so leicht, wie er sich das gedacht hatte, die gewünschte Ruhe zu erlangen. Er musste zunächst als Botschafter des guten Willens in mehrere Länder reisen, hatte noch einmal eine Zeit intensivster Arbeit durchzustehen und sah sich gezwungen, das Angebot Mahmut Sevket Paschas, Präfekt von Bagdad zu werden, abzulehnen.
Als er nach seinen Reisen in die Heimat zurückkehrte, wartete eine Überraschung auf ihn: Er war zum Vorsitzenden des Verwaltungsrats der Tabak-Monopol-Gesellschaft bestimmt worden, bei der er zuvor als Kommissar beschäftigt war.
Im Jahr 1942 wurde Halid Ziya zum Vorsitzenden des Gremiums gewählt, das den Romanpreis der CHP, der Republikanischen Volkspartei, verlieh, und damit wurde er als einer der führenden Vertreter der literarischen Welt seiner Zeit anerkannt.
Inzwischen hatte er sich endlich in dem sicheren und ruhigen Leben eingerichtet, das er sich erträumt hatte: Er brachte seine Werke in eine moderne Sprache und konnte auf die schmückenden Elemente in seiner Literatursprache verzichten, als wollte er damit auch die jahrelange Fron im Saray abstreifen.
Als er aus einem Fenster seines Hauses in Yesilköy auf die bunten Blumenbeete in seinem Garten hinausschaute, war die Stadt Istanbul, diese melancholische Stadt, die er in all seinen Werken beschrieben hatte, nun kein Traumgebilde mehr, das hinter hohen Mauern verborgen war. Halid Ziya hatte wohl begriffen, dass die Freiheit, die er als einfacher Bürger genoss, wie das Licht einer riesengroßen Öllampe leuchtete. Und vielleicht war ihm bewusst, dass er uns mit der Macht seiner Sprache und seinem unwiderstehlichen Charme überwältigt, dass er unser Gemüt betäubt und uns fesselt.
Ich sehe noch immer den Mann vor mir, der seine Stirn an die kalte Scheibe des Fensters lehnt. An einem hellen Istanbuler Tag flüsterte er mir zu: »Was man Kraft und Begabung nennt, tötet die Freiheit.«
Aus dem Türkischen von Wolfgang Riemann
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin