»Verbotene Lieben« erschien 1898 zunächst in Fortsetzungen in einer Literaturzeitschrift in Istanbul. 1900 kam der Roman dann in Buchform heraus. Beide Veröffentlichungen waren in der damals für das Türkische gebräuchlichen arabischen Schrift gedruckt. Der Autor, Halid Ziya Usakligil, gehörte der literarischen Bewegung der Edebiyat-i Cedide (Die neue Literatur) an. Die Dichter dieser literarischen Bewegung folgten der Maxime »L’art pour l’art«. Mit ihrer Sprache und dem verwendeten Wortschatz, der viele Wörter arabischer und persischer Herkunft enthielt, wollten sie in erster Linie elegant und originell sein. Es drängte sie, Wörter in den Text einzustreuen, die im Türkischen nur wenig verbreitet waren. Andererseits verwendeten sie alltägliche Begriffe, jedoch nicht in den üblichen, sondern in ihren selten gebrauchten Bedeutungen.
Von mir als Übersetzer verlangte dies besondere Wachsamkeit. Bei meiner Arbeit begegneten mir auch Wörter, die ich in den einschlägigen Lexika nicht verzeichnet fand. Wenn ich diese Begriffe auch nach intensiver Suche, wobei ich alle denkbaren Schreibweisen ausprobierte, nicht finden konnte, gelangte ich manchmal durch einen Kniff ans Ziel: Ich stellte mir vor, wie das gesuchte Wort wohl in arabischer Schrift nach persischer Orthographie geschrieben würde. Darauf setzte ich auch die Vokalisierung nach persischem Muster an und konnte die Vokabel hier und da in einem persischen Wörterbuch finden. Auch die Suche über eine von mir angesetzte arabische Wurzel in einem arabischen Wörterbuch führte gelegentlich zum Erfolg.
Ein vom Autor überaus häufig eingesetztes Stilmittel ist die Verwendung von Komposita, die Verbindung zweier durch den Genetiv verknüpfter Begriffe. Oft haben beide Bestandteile des Kompositums gleiche oder ähnliche Bedeutung. Nicht selten fußen solche Genetivverbindungen auch auf einem weiteren Begriffspaar der gleichen grammatikalischen Konstruktion. Ergänzt werden diese übereinander geschichteten Konstruktionen noch durch eine Anzahl von schmückenden Adjektiven und – bezogen auf eines der Substantive – durch phraseologische Verben (ein Substantiv beschreibt eine Handlung in Kombination mit einem Verb, z. B. Aufwartung machen, Trost spenden). Um die Sätze in der deutschen Übersetzung verständlich zu gestalten, war ich häufig gezwungen, eines der beiden kunstvoll verbundenen Substantive als Adjektiv wiederzugeben. Hier fällt mir als Beispiel der vom Halid Ziya Usakligil häufig verwendete Ausdruck »lerzis-i hayal« ein (etwa: das Beben des Trugbildes), den ich im eben beschriebenen Sinne mit den Wendungen »schemenhaftes Schattenbild« oder »verschwommene Fantasievorstellung« (oder in ähnlichen Variationen) übersetzt habe. Die sprachliche Eleganz und Abgehobenheit dieses aus dem Persischen und Arabischen entlehnten Begriffspaars lässt sich im Deutschen nicht nachvollziehen, es sei denn, wir würden im deutschen Text ein z. B. französisches Begriffspaar akzeptieren, das lediglich die Aufgabe hätte, einen gewissen Wohlklang in den Satz zu zaubern.
Ein hier dem Stil Usakligils nachempfundener, konstruierter Beispielsatz soll verdeutlichen, wie sich die oben erwähnten sprachlichen Eigenheiten des Autors in einer Übersetzung darstellen würden, hätte ich nicht behutsam eingegriffen und die Sätze in eine für deutsche Leser akzeptable Form gebracht: »Sie erfreute sich an dem betörenden Duft der einen frischen Hauch des nahenden Frühlings verströmenden Blüten nahe bei dem in flimmernden Schatten geborgenen, verwunschenen Gartenhaus im Park der prunkvollen Villa am Ufer.«
Halid Ziya Usakligil verwendet in seinem Roman häufig lange Sätze. Sie enthalten neben dem Subjekt mehrere Nebensätze in der Form von unpersönlichen Gerundien oder Partizipien meist im Akkusativ oder Dativ, die jeweils durch ein Feuerwerk von Adjektiven und anderen Ergänzungen vervollständigt werden. Am Ende folgt dann ein einziges finites Verb, das mehr aus formalen Gründen in der Funktion einer syntaktischen Klammer gesetzt ist. Solche Satzgefüge können durchaus einmal eine halbe Buchseite umfassen.
Meist schildern diese ausufernden Satzgefüge sich dramatisch auftürmende Gefühlsempfindungen. Dramatische Entwicklungen der inneren Konflikte der Figuren werden etwa vor der Darstellung des Wetters inszeniert: Wolkenberge türmen sich auf, Sturzbäche ergießen sich, Gewitter mit grollendem Donner verfinstern den Himmel. Sie werden eingesetzt wie in einer Szene auf dem Theater, wie ein Bühnenbild, Theaterdonner. Dabei erklimmen die Schilderungen mit jedem Nebensatz eine höhere Stufe der Dramatik, wird die Spannung auf dem Weg zum Höhepunkt der Handlung jeweils weiter gesteigert.
Aber auch bei den weniger dramatischen Schilderungen, etwa der Beschreibung eines sonnendurchfluteten Gartens, oder einfach, um mitzuteilen, dass eine Figur des Romans glücklich ist, greift der Autor zu den beschriebenen umfangreichen Satzgefügen. Durch diese Technik wird ein gewisses unverbindliches Dahinplätschern erreicht, denn der Fortgang wird von unpersönlichen Partizipien oder Gerundien getragen. Jeder Nebensatz ist Teil eines leicht dahin getupften Bildes innerhalb eines umfassenden Szenarios. Dieses schwerelose Schweben über dem Wortmaterial, dem Satzgefüge, bei dem der Autor nie den Boden berührt, wie er das mit dem Setzen eines finiten Verbs gleichsam kontrapunktiv tun würde, und jede fantasievolle Ausschmückung eröffnet die Möglichkeit, unbegrenzt in eleganten Wendungen zu schwelgen und den Leser alleine auf der Gefühlsebene ansprechen.
Für mich als Übersetzer bedeuteten diese Satzgefüge eine große Herausforderung, da ich dem deutschen Leser diese überbordende Anhäufung von Satzteilen nicht zumuten konnte. Ich teilte die Sätze und musste angemessene, im Originaltext nicht vorhandene Verben finden, mit denen ich die jeweiligen Teilsätze abschließen konnte. Schließlich enthielt der Satz im Original ja meist nur ein einziges finites Verb, oft sogar nur ein Hilfsverb. Um trotzdem einen gewissen Spannungsbogen zu erhalten, habe ich die Folgesätze häufig mit Konjunktionen eingeleitet, die eine enge Verbindung zu dem vorhergehenden Satz und Sachverhalt herstellten.
In den Fällen, in denen alle Nebensätze eines langen Satzgefüges dem gleichen Muster folgten – etwa bei einer Reihe von Relativsätzen im Akkusativ – und bei denen es sich nicht um komplizierte Nebensatzformen handelte, habe ich häufig keine Teilung des Gefüges vorgenommen, da ihnen der Leser der deutschen Übersetzung relativ leicht folgen kann.
Ich will hier nur auf die Besonderheiten eingehen, mit denen ich mich bei der Übersetzung des Usakligil-Textes konfrontiert sah. Viele weitere Schwierigkeiten, die der Übersetzer insbesondere eines türkischen Textes zu bewältigen hat, sollen deshalb hier ausgespart bleiben.