Alle Menschen erzählen. Unser Alltag ist voll von Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählen und die somit unsere persönliche Lebenswirklichkeit mit der anderer Menschen verknüpfen. Fiktionale Prosa geht einen Schritt weiter als die Realität: Sie ist der Wipfel eines Baumes, dessen Wurzeln in den alltäglichen Dingen liegen, unseren Routinen, unserer Freude und unserem Frust als Teil eines Staates, einer Epoche oder einer speziellen Gemeinschaft.
Einen Roman zu schreiben ist für diejenigen, die diese alte und ehrwürdige Kunst ausüben, eine Möglichkeit, das Gewusste mit dem Erfundenen zu kombinieren, die empirische Erfahrung unserer Welt mit den Landschaften unserer Fantasie zu vermischen. In meinem Land war der Roman meist zu gleichen Teilen eine Hommage an die Vergangenheit und ein Versprechen für die Zukunft. Eine Beschwörung jener Geister, die uns als Volk verfolgen: Freiheit und Unabhängigkeit, Ungerechtigkeit und Rebellion, das Zentrum und die Peripherie. Das, was wir sein wollen und niemals erreichen.
Heute, wo das Lokale und das Globale zusammenfallen, wo die Besonderheiten jeder Kultur zum Gegenstand der Gegenwartskunst werden, bin ich Teil dieser Bewegung. Ich schreibe über Mexicali, die Stadt an der Grenze zu den Vereinigten Staaten von Amerika, genauer gesagt, zu Kalifornien und Arizona. USA und Mexiko, diese beiden Staaten repräsentieren sowohl die allerneuesten gesellschaftlichen Entwicklungen als auch die unberührte Landschaft des alten Westens. Meine Geschichten greifen auf, was es ausmacht, an der Peripherie zweier grundverschiedener, hier zusammenprallender Welten zu leben, an der Stelle, wo die hispanoamerikanische und die angelsächsische Kultur sich überschneiden.
Ich schreibe über das, was mir nahe ist: von meinen Leuten und ihrer Vergangenheit, vom Leben auf der Trennlinie zweier unterschiedlicher Kulturen. Aber ich schreibe mit dem Instrumentarium der alltäglichen Geschichten, in der Sprache meiner Zeit und meines Umfelds. Ich möchte das erzählen, was noch nicht erzählt wurde, denen eine Stimme geben, die in unserer Literatur bisher noch keine hatten: den Immigranten der Grenze, den Gründern der Wüstenstädte.
Wir müssen allen unseren Erzählungen Gehör schenken, allen Worten, die uns als Mitglieder einer Welt vereinen, die noch viele Geschichten zu erzählen hat. Kreativität entsteht zu Hause, dort, wo die ältesten und gleichzeitig modernsten, die lokalsten und gleichzeitig globalsten Dinge zu finden sind. Aus diesem Grund schreibe ich Kriminalromane: um die Geheimnisse meiner unmittelbaren Umwelt aufzudecken, den Knoten zu zerschlagen, der unseren Durst nach Gerechtigkeit und Wahrheit abwürgt. Ich schreibe gegen das Vergessen, damit die Vergangenheit lebendig unter uns weilt und nichts und niemand, der sie missbraucht und verzerrt, straffrei bleibt. Meine Romane sind Fiktion, aber alle Fiktion ist ein Wunsch, das Richtige zu tun. Eine Grenze zum Überschreiten.
Miguel Ángel Morgado ist ein Ermittler, der auf das große Mysterium der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten von Amerika gestoßen ist. Dieses Land ist vollgesogen mit Geheimnissen, Intrigen und Verbrechen, denen man nie auf den Grund kommt, ganz gleich, wie viele Jahre lang sie hinter einem Dokument, einer Fotografie oder einer Stimme verborgen waren. Morgado ist mehr als ein Detektiv, er ist ein Ausgräber, der die Realität des Lebens an der Grenze freilegt, der die Gewalt dokumentiert, die uns in allen möglichen Formen, Personen oder Umständen begegnet. Ein hartnäckiger Mann. Seine Welt ist die Weite der nordmexikanischen Wüste. Mit den offiziellen Lügen, den internationalen Absprachen und der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der anderen kann und will er sich nicht abfinden. Er ist ein Kreuzritter, dessen einzige Waffen Starrsinn und Ausdauer sind.